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wurde mit der Umdeutung des Missio Dei-Begriffs zu einem innerweltlichen Kampfgeschehen die Tür zum Religionspluralismus aufgestoßen. Man war jetzt überzeugt, dass Gott sein Heil in der Welt auch ohne die Kirche wirkt. Gott sei in der Welt befreiend am Werk und bediene sich dazu auch revolutionärer Bewegungen. Gott sei auch in den nicht christlichen Religionen Heil schaffend am Werk. Islam, Hinduismus und Buddhismus seien legitime Heilswege. Verkündigung müsse durch Dialog ersetzt werden.56

      Zweitens wurde die Kirche durch die einseitige Fokussierung auf Gottes Wirken in der Welt ihrer missionarischen Bedeutung beschnitten. Wenn Gott für die Mission verantwortlich ist, wenn sie von ihm ausgeht und wenn sie sein Werk ist, dann ist die Kirche nicht für die Missio Dei zuständig und wird dazu auch nicht benötigt. „Eine kirchenorientierte Mission mit dem Ziel einer Einfügung von Menschen in den Leib Christi und der Sammlung der Glaubenden, wie sie noch in der Vergangenheit praktiziert wurde, kann es somit nicht mehr geben.“57

      Drittens kam die von den westlichen Ländern angeführte Mission zu einem Stillstand. Angesichts der missionstheologischen Entwicklungen wundert es nicht, dass in Bangkok ein Moratorium (Aufschub) für die Aussendung westlicher Missionare verlangt wurde.58 Die Krise von Willingen führte zum totalen Stillstand von Bangkok. Die Missio Dei hatte keines der drängenden missionstheologischen Probleme lösen können und war selbst zum Problem geworden.

      Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten war die Missio Dei ins Gegenteil ihrer ursprünglichen Bedeutung verkehrt worden. Zumindest gilt das für das heilsgeschichtliche Verständnis von Mission, wie es Walter Freytag und Karl Hartenstein in Willingen vertraten. Nur so ist es zu verstehen, dass das Konzept der Missio Dei zur Begründung dafür wurde, die Kirche müsse überhaupt keine Mission mehr treiben.

       2.3Die evangelikale Alternative

      Man kann von einer Säkularisierung des Missio Dei-Begriffs zwischen Willingen 1952 und Bangkok 1973 reden. Mission wurde als Befreiung und Humanisierung verstanden, nicht mehr als das Angebot der Rechtfertigung durch den Glauben an Christus.59 Diese Veränderung im Missionsverständnis zeigte eine weitere Auswirkung: Die evangelikalen Kräfte schieden aus dem ökumenischen Prozess aus. Zwischen 1966 und 1974 fanden intensive Diskussionen zwischen Evangelikalen und Ökumenikern statt, in der Hoffnung, die sich öffnenden missionstheologischen Differenzen überbrücken zu können – ohne Erfolg.60 Der Bruch zwischen beiden Lagern trat immer sichtbarer zu Tage.61

       Die Wheaton Erklärung 1966

      Je mehr sich die Ökumeniker einem humanistischen Ziel der Mission verpflichtet fühlten, desto stärker begannen die Evangelikalen, eine Alternative zu entwickeln. Sie wollten das traditionelle Missionsverständnis beibehalten, es gleichzeitig aber mit den Herausforderungen der modernen Welt in Verbindung bringen. Zu diesem Zweck, und um die evangelikal gesinnten Kräfte zu bündeln, begannen sie, eigene Missionskonferenzen abzuhalten.

      Vom 9. bis 16. April 1966 versammelten sich 938 Delegierte aus 71 Nationen in Wheaton, Illinois, um über die Aufgabe der Kirche in der Welt nachzudenken. Angesichts der Entwicklung in der ökumenischen Bewegung hin zu einem sozialen Evangelium, stand die Frage nach dem Verhältnis von Verkündigung und sozialer Verantwortung als ungelöste Frage im Raum. Die Delegierten in Wheaton räumten der Evangelisation Vorrang vor der sozialen Verantwortung ein und setzten damit einen Parameter, der über die Jahrtausendwende hinaus Gültigkeit haben sollte.62 Gleichzeitig wurde bedauert, dass sich die Evangelikalen zu wenig um soziale Fragen gekümmert hatten. In der Wheaton-Erklärung heißt es:

      Wir haben schwer gesündigt. Wir haben uns einer unbiblischen Isolation von der Welt schuldig gemacht, die uns nur allzuoft davon abhält, ihren Anliegen offen ins Auge zu sehen und sie anzugehen (…) Während die Evangelikalen im 18. und 19. Jahrhundert führend waren in der sozialen Verantwortung, haben im 20. Jahrhundert viele die biblische Perspektive verloren und sich ausschließlich auf die Verkündigung eines Evangeliums der individuellen Erlösung beschränkt, ohne ausreichend ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Als der theologische Liberalismus und der Humanismus in die protestantischen Kirchen eindrangen und ein „soziales Evangelium“ proklamierten, wuchs unter den Evangelikalen die Überzeugung, es bestünde ein Gegensatz zwischen sozialer Aktion und der Verkündigung des Evangeliums. Heute hingegen sind die Evangelikalen zunehmend davon überzeugt, dass sie sich in die großen sozialen Probleme involvieren müssen, denen wir gegenüberstehen. Sie kümmern sich um die Bedürfnisse des ganzen Menschen wegen des Vorbilds ihres Herrn, seiner sie drängenden Liebe, ihrer Verbundenheit mit der menschlichen Rasse und der Herausforderung ihres evangelikalen Erbes. Evangelikale suchen in der Schrift nach Anleitung, was zu tun ist und wie weit sie gehen sollten, um ihre soziale Verantwortung auszuleben, ohne die Priorität der Verkündigung des Evangeliums der individuellen Erlösung einzuschränken.63

      Die Wheaton-Erklärung macht deutlich, dass das soziale Gewissen der Evangelikalen aus seinem Tiefschlaf erwacht war. Dieser Umstand war einerseits auf die Herausforderung zurückzuführen, welche der missionstheologische Kurs der Genfer Ökumene darstellte. Anderseits waren es evangelikale Theologen aus der Zwei-Drittel-Welt, welche eine positive Einstellung zur sozialen Verantwortung einforderten.64 In Wheaton wurde ein vorsichtiger Anfang in der Aufnahme der sozialen Frage gemacht, doch „eine theologische Integration der sozialen Verpflichtung in den Missionsauftrag war in Wheaton noch nicht in Sicht“.65 Dennoch war Wheaton bedeutsam:

      Wheaton ist bedeutsam durch die Tatsache, dass hier erstmals die sonst mehr auf Abgrenzung bemühten Evangelikalen in einem Kongress zusammenkommen und eine gemeinsame Erklärung zu den Fragen der Weltmission verabschieden, dass sie damit den Anschluss an die theologische und methodische Reflexion der Mission suchen, dass sie erstmals die sozialen Nöte und deren Bedeutung in der Mission ansprechen (…) und dass man sich von der seit 1961 in der Ökumene gängigen sichtbaren und universalen Interpretation der Heilsgeschichte distanzierte.66

       Die Frankfurter Erklärung 1970

      Ein weiterer Schritt in Richtung eines an die Bibel gebundenen Missionsverständnisses war die Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission von 1970.67 War die Wheaton-Erklärung eine Standortbestimmung für die sich sammelnden Evangelikalen selbst gewesen, suchte man mit der Frankfurter Erklärung die Konfrontation mit der Ökumene.

      Positiv bejaht sie das Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden im Sinne einer Begleitung und Beglaubigung der Mission. Auch die humanisierenden Konsequenzen der Bekehrung wurden gewürdigt. Diese könnten aber nichts mehr als Hinweise auf den kommenden messianischen Frieden sein. Allerdings machen die bejahenden Aspekte nur einen kleinen Teil der Erklärung aus, denn sie geht von einer Situation der „inneren Zersetzung“ der Missionstheologie aus, auf die geantwortet werden musste.68

      Negativ bemängelt wurde der missionstheologische Kurs der Genfer Ökumene. Dir „Irrlehre“, wonach die Religionen und Weltanschauungen „Heilswege neben dem Christusglauben seien“, müsse verworfen werden.69 Humanisierung sei nicht vorrangiges Ziel der Mission, sie könne nur Folge davon sein. Der immer stärker hervortretende Heilsuniversalismus der ökumenischen Bewegung wurde scharf kritisiert und als unvereinbar mit dem biblischen Zeugnis betrachtet:

      Wir bestreiten, dass „christliche Präsenz“ unter den Anhängern der Fremdreligionen und wechselseitiger religiöser Austausch mit ihnen im Dialog ein Ersatz für die zur Bekehrung drängende Verkündigung des Evangeliums seien, statt allein eine gute Form missionarischer Anknüpfung. Wir bestreiten, dass die Entlehnung christlicher Ideen, Hoffnungsziele und sozialer Verhaltungsweisen – auch abgesehen von deren ausschließlicher Beziehung auf die Person Jesu Christi – die Fremdreligionen und Ideologien zu einem Ersatz für die Kirche Christi machen können. Sie geben ihnen vielmehr eine synkretistische und damit antichristliche Ausrichtung.70

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