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Missionale Theologie. Roland Hardmeier
Читать онлайн.Название Missionale Theologie
Год выпуска 0
isbn 9783862567621
Автор произведения Roland Hardmeier
Жанр Религия: прочее
Издательство Bookwire
Im Exodus zeigt sich exemplarisch Gottes Handeln mit der Welt.83 Gottes Plan ist es, Heil zu schaffen, und dieses Heil betrifft den Menschen ganzheitlich. Israel wurde durch das Passa von seinen eigenen Sünden erlöst, aber im Exodus ebenso von der an ihnen begangenen Sünde der Unterdrückung befreit. Aus dem Exodus lassen sich Grundzüge missionalen Handelns mit Gültigkeit für die christliche Mission ableiten: In der Mission wendet sich Gott den Menschen ganzheitlich zu und begegnet der ganzen Bandbreite menschlicher Bedürfnisse. Christliche Sendung muss, wenn sie sich Gottes Sendung anschließen will, immer den ganzen Menschen im Blick haben.
Gott beruft
Durch das gesamte Alte Testament hindurch wird deutlich, dass Gott sich Menschen sucht und sie zu Mittlern des Heils macht. Die Sprache der Berufung und Sendung durchzieht das ganze Alte Testament: Gott gibt seinem Volk Richter, um sie zu befreien (Ri 3,9). Gott sendet seine Propheten, um sein Volk zu warnen und zu leiten (Ri 6,8). Gott sendet Samuel, um mit der Salbung von Saul (1Sam 15,1) und David (1Sam 16,1) eine neue Ära einzuleiten. Das Sendungsmuster des Alten Testaments ist durchgängig dasselbe: Gott ist der Sendende, der Menschen zu seinen Gesandten macht, damit diese in seinem Namen reden und handeln.
Grundsätzlich für das Alte Testament ist, dass Israel ein gesendetes Volk ist, um zeichenhaft unter den Völkern zu leben. Israel existierte als priesterliches Volk um der Völker Willen (2Mo 19,5f).84 Als gehorsames Volk war es dazu bestimmt, unter den Segen Jahwes zu kommen, damit die Völker voll Staunen auf Israel und seinen Gott blickten (5Mo 4,6–8; 28,10). Auf diese Weise sollte Israel ein missionarisches Volk sein und Zeuge bis an die Enden der Erde werden (Jes 49,6).85
Die prophetischen Bücher machen am ausführlichsten von der Sprache der Sendung Gebrauch: Gott sendet seine Propheten zu seinem Volk und zu den Völkern (Jer 1,7). Gott sendet Gericht unter sein Volk (Hes 5,16) und unter die Völker (Hes 39,6). Gott sendet sein Wort, damit es bewirkt, was ihm gefällt (Jes 55,11). Gott sendet Ägypten einen Retter (Jes 19,20). Seinem Volk sendet er aus seinem Erbarmen Korn, Wein und Öl (Joel 2,18f).
In der Berufung der Propheten zeigt sich, dass Gott Werkzeuge sucht, die sein Heil vermitteln. Diese Werkzeuge sind gewöhnliche Menschen, die von Gottes Ruf so in Beschlag genommen werden, dass sie sich Gott völlig zur Verfügung stellen (2Mo 3,1ff; Jer 1,4–10). Sie hören Gottes Worte, sehen in Visionen seinen Willen für das Volk und treten mit der prophetischen Formel „so spricht der Herr“ in seinem Namen auf. Sie sind Gottes Gesandte, die er aus Mitleid zu seinem Volk sendet (2Chr 36,15f).
Dass Gott beruft, um zu senden, zeigt sich exemplarisch bei Jesaja. Gott offenbarte sich ihm in einer Vision im Tempel: „Danach hörte ich die Stimme des Herrn, der sagte: Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen? Ich antwortete: Hier bin ich, sende mich!“ (Jes 6,8). Gott beauftragte Jesaja zu gehen und trug ihm auf, was er dem Volk sagen sollte. Er wurde zum Mund Jahwes für sein Volk. Später ist die Rede vom Gesalbten Jahwes, den er durch seinen Geist zu seiner Sendung befähigt: „Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Jes 61,1f). Hier sind alle wesentlichen Elemente biblischer Sendung vorhanden: Gott sendet aus Liebe und Barmherzigkeit, um das Elend der Menschen zu wenden. Er bedient sich dabei eines menschlichen Werkzeugs und befähigt ihn zu einer ganzheitlichen Mission durch die Salbung mit dem Heiligen Geist.
Als Jesus seinen Dienst antrat, bezog er in der Synagoge von Nazaret Jes 61,1f auf sich (Lk 4,16ff) und definierte so sein messianisches Selbstverständnis. Jesus ist der Gesalbte Jahwes, dessen Mission darin besteht, den Menschen Gottes rettende Gnade anzubieten. Dieser Text ist in der evangelikalen Bewegung im ausgehenden 20. Jahrhundert zu einem bedeutenden Missionstext geworden.86 Nimmt man Jes 61,1f als Missionstext ernst, dann gehören Verkündigung („ein Gnadenjahr ausrufen“) und Dienst („und alle heile, deren Herz zerbrochen ist“) zusammen.
Am Ende des Prophetenbuches weitet sich die Sendung zum weltweiten Geschehen: „Ich stelle bei ihnen ein Zeichen auf und schicke von ihnen einige, die entronnen sind, zu den übrigen Völkern: nach Tarschisch, Pul und Lud, Meschech und Rosch, Tubal und Jawan und zu den fernen Inseln, die noch nichts von mir gehört und meine Herrlichkeit noch nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkünden“ (Jes 66,19). In diesem Text haben wir in einzigartiger Weise Mission in neutestamentlichem Sinn vor uns: Gott sendet Entronnene aus seinem Volk, dass sie die Grenzen zur Heidenwelt überschreiten und Gottes Herrlichkeit unter den Völkern verkünden. Damit ist im Alten Testament eine Theologie der Sendung angelegt, die zur Konkretion drängt und so vorbereitend auf das Neue Testament wirkt.
2.5Mission in Christ‘s Way
Die im Alten Testament grundgelegte Theologie der Sendung wird im Neuen Testament expliziert und konstitutiv für die Kirche. In den synoptischen Evangelien spielt die Sendung Jesu eine zentrale Rolle: Jesus weiß sich von seinem Vater zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (Mk 9,37). Jesus muss das Evangelium vom Reich Gottes verkündigen, denn dazu ist er gesandt (Lk 4,43). So wie Jesus gesandt war, sandte er die Zwölf (Lk 9,1–6) und später die Zweiundsiebzig (Lk 10,1ff) und wies sie an, den Vater zu bitten, weitere Arbeiter in die Ernte zu senden (Lk 10,2). Aus der Sendung Jesu ergibt sich so die Sendung der Kirche.
Der Vater sendet Jesus
Besonders die Schriften des Johannes enthalten eine ausgesprochene Sendungstheologie. Diese entfaltet sich in einem Dreierschritt: Der Vater sendet Jesus, Jesus sendet die Jünger, der Vater und der Sohn senden den Geist. Kein Evangelium ist so durchdrungen von der Sprache der Sendung wie das vierte Evangelium. Der grundlegende Text ist Joh 3,16f: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ „Hingeben“ (3,16) und „senden“ (3,17) bilden eine sachliche Parallele. Zentrales Motiv der Sendung Jesu durch den Vater ist die Liebe zur Welt. Diese Liebe drängt Gott dazu, seinen Sohn hinzugeben. Er sendet ihn nicht nur in die Welt, sondern er gibt ihn hin in die Hände der Menschen.
Hintergrund dieses Liebeshandelns Gottes bildet die Erwartung eines zukünftigen Weltgerichts, das in Joh 3,17 angedeutet wird und den Sinn eines noch nicht vollzogenen Gerichts hat. Eines Tages wird Gott für Gerechtigkeit sorgen, indem er zum Gericht erscheint (2Thess 1,6–10; Offb 20,11–15). Mission ist nur möglich, weil dieses Gericht noch nicht vollzogen wird, und sie geschieht im Hinblick auf dieses Gericht.
Der entscheidende Unterschied zwischen der allgemeinen jüdischen Endzeiterwartung in neutestamentlicher Zeit und der Botschaft Jesu bestand im Gericht. Die Juden erwarteten aufgrund der alttestamentlichen Verheißungen, dass Gott durch seinen Messias zum Gericht über die Gottlosen erscheinen würde. Auf diese Weise würde das Reich Gottes anbrechen und Israel erlöst werden. Nun kam Jesus und verkündete dieses Reich als herbeigekommen (Mk 1,14f), aber er vollzog das Gericht über die Sünder nicht. Er verkündete Gott als den, der auf das Recht der Vergeltung verzichtet und seine Souveränität erst im Endgericht wiederherstellt. Jürgen Moltmann hat in diesem Zusammenhang von einer Revolution im Gottesbegriff gesprochen: „Alles was man bei Jesus unter dem Stichwort ‚Gewaltlosigkeit‘ aufzählen kann, ist zuletzt auf diese ‚Revolution im Gottesbegriff‘ zurückzuführen, die er demonstrierte: Gott kommt nicht zur gerechten Rache an den Bösen, sondern zur gnädigen Rechtfertigung der Sünder, ob Zeloten oder Zöllner, ob Pharisäer oder Sünder, ob Juden oder Samaritaner, und in Konsequenz: ob Juden oder Heiden.“ 87
Das Gericht ist mit Jesus nicht aufgehoben, es wird auf die Zukunft verlegt und Jesus selbst, der als Richter erscheint, wird es vollziehen (Joh 5,22). Mission macht nur Sinn,