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und ruderte sich auf dem alten breiten Graben herum, der das Schloß wie ein kleiner See umgab.

      Frau von Brinken stand, von einem Gang durch den Park zurückkehrend, droben auf der Brücke und rief.

      Anne hatte sich in ihre Gedanken eingesponnen wie eine Spinne in ihrem eigenen Gewebe, sie hörte nicht.

      Die Dame rief lauter.

      Rief zweimal, dreimal, da schaute das Mädchen endlich auf.

      „Komtesse, ich möchte gern etwas mit Ihnen wegen der Tischordnung bei der Verlobung besprechen, mit Komtesse Ilse ist nicht viel anzufangen.“

      Anne nickte eifrig.

      „Glaube ich gern, Frau von Brinken.“ Sie steuerte den Kahn ans Ufer und hüpfte mit einem Vorwärtsschnellen des geschmeidigen Körpers ans Land, um gleich darauf neben der Gesellschaftsdame zu stehen.

      „Ich bin überzeugt, Frau von Brinken, die Zeit vor Verlobung und Hochzeit ist wie eine Krankheit. Ilse hat entschieden den Brautrappel, denn für andere Menschen, als den Christian Weststetten, den sie sich erkoren, ist sie ungenießbar wie saurer Schlagrahm!“

      Frau von Brinken zuckte zusammen. Schrecklich, wie Anne sich ausdrückte — sie konnte es einfach nicht lassen.

      „Jede glückliche Frau ist ein wenig verträumt“, entgegnete sie, um weiteren drastischen Vergleichen vorzubeugen, „und andere, die nicht Braut sind, träumen ja auch“, redete sie in leichtem Plauderton weiter, „denn ich kenne ein Komteßchen, das mußte ich vorhin erst wieder und wieder rufen, um es aus dem Phantasieland zur Wirklichkeit zurückzuführen.“

      „Stimmt, Tante Brinken, stimmt, und nun raten Sie mal, wo ich mit meinen Gedanken herumgestrolcht bin?“

      ‚Tante Brinken‘ pflegte Anne ihre Gesellschafterin nur in sehr guter Laune zu nennen, aber die Dame hörte es gern, wenn das Töchterchen der Erlaucht es tat. „Oh, von was träumen junge Mädchen, schwer zu erraten ist das wohl nicht? Vom Zukünftigen natürlich, wie er aussieht und ähnliches.“

      Wie eine Flamme lohte es über das feine Gesichtchen der Komtesse, und die Antwort klang gequält.

      „Falsch geraten, ganz falsch. Ich dachte an Frankfurt und an den Herrn, der uns ein kurzes Wegstück durch die alten Gassen begleitete, ich sann darüber nach, was er wohl sein mag.“

      Malvine von Brinken riß die Augen auf. Hatte Anne den unangenehmen Menschen noch nicht vergessen, der sie kurzweg ‚Frau Brinken‘ genannt und getan hatte, als gäbe es den Titel ‚Gnädige Frau‘ überhaupt nicht? Gut, daß man so gar nichts von ihm wußte, daß er wieder so untergetaucht, wie er plötzlich erschienen war, denn Annes Aufmerksamkeit für den Menschen war ihr sofort unangenehm aufgefallen. Die Welt war riesengroß, und der Weg der Komtesse und dieses Fremden kreuzte sich sicher nicht mehr. Aber sie ärgerte sich über Anne, und sie konnte sich die heimtückische Freude, eine kleine Bosheit auszuspielen, nicht versagen.

      „Vielleicht ist der Herr Schneidermeister, denn er war wirklich tadellos gekleidet“, sagte sie leichthin.

      In Annes Augen blitzte hellste Empörung.

      „Nun, Frau von Brinken, ich achte und ehre jeden Menschen, der auf anständige Weise seinen Lebensunterhalt verdient, aber daß Lorenz Hammerschlag etwas anderes ist, als Sie eben meinten, das steht fest.“

      Ihre kleinen Hände bewegten sich heftig hin und her.

      „Er ist etwas Besonderes, ist ein Herr über viele.“ Ihre Stimme ward warm. „Ein Baumeister könnte er wohl sein oder ein mächtiger Fabrikherr — oder ein Grubenbesitzer.“

      Sie lachte kurz auf.

      „Aber schließlich ist es doch gleich, was er ist, ich sehe ihn ja doch nicht wieder.“

      Weshalb zitterte die junge Stimme nur plötzlich, weshalb legte es sich wie ein feuchter Schleier über die braunen Mädchenaugen?

      Malvine von Brinken erschrak. Herrgott, stand es so? Aber wie konnte denn das nur so rasch geschehen?

      Armes Ding, dachte sie mitleidig, und ein warmes Wort wollte ihr über die Lippen springen, doch ehe sie noch eine Unüberlegtheit zu beklagen hatte, lachte Anne abermals und sagte im oberflächlichsten Tonfall:

      „Wenn ich mich mal verliebte, tue ich es nicht unter einem Manne, der mir eine geschlossene Krone bringt.“

      „Das sind gesunde Ansichten, Komtesse“, lobte Frau von Brinken, und dann gingen sie ins Haus und besprachen die Tischordnung für das Verlobungsmahl der Komtesse Ilse.

      *

      Ilses Verlobungstag war herangekommen. Vom frühen Morgen an herrschte reges Leben auf Schloß Willerstein. Es waren viele Einladungen ergangen, und die Pferde vom Lindenwirt und vom Kreuzbauern aus dem nahen Dorfe waren eingespannt worden, um die verschiedenen Herrschaften von der Bahn abzuholen.

      Die Söhne der Pferdebesitzer saßen in stocksteifer Haltung auf dem Bock, sie fühlten sich zwar sehr würdig in den blauen Röcken mit der neunzackigen Krone auf den Knöpfen, aber auch etwas unbehaglich. Der Kreuzbauern-Schorsch erklärte einem ihn bewundernden Dorffreund im Vertrauen: Mistfahren sei viel gemütlicher.

      Auch zur Bedienung im Schlosse waren ein paar junge Leute aus dem Dorfe geborgt, und Frau von Brinken hatte es übernommen, sie ‚auszubilden‘. Leicht war das nicht gewesen, und ob der Erfolg die Mühe aufwog, schien ihr äußerst zweifelhaft, aber Erlaucht hatte es gewünscht.

      Die Gäste fuhren an. Als erster, Burggraf Christian von Weststetten, der Bräutigam. Er bewirtschaftete das große Rittergut Guldenhof, eine Bahnstunde von hier entfernt. Er kam mit den Eltern, die sich seit Jahresfrist gar nicht mehr um das Gut kümmerten und es vollständig dem Sohn übergeben hatten. Sie sahen sehr vornehm aus, ebenso die Tochter, die in einer entfernten kleinen Residenz Hofdame und Vertraute der jungen Fürstin war.

      Christian von Weststetten trug ein Monokel, sein Gesicht war schmal und klug, die hochgesattelte große Nase verschönte es nicht gerade, gab ihm eher das Gepräge einer interessanten Häßlichkeit. Rassig und gepflegt und vornehm von dem schnurgeraden braunen Scheitel bis zu den tadellosen Stiefeln sah er aus. Er paßte in seinem ganzen Wesen ausgezeichnet zu Ilse.

      Bei der Begrüßung rief Anne dem Brautpaare zu:

      „Nun gebt euch aber an solch hohem Tage einen ordentlichen, schallenden Kuß, sowas macht gleich Stimmung!“

      Ilse warf ihr einen empörten Blick zu, und Frau von Brinken seufzte. Wann würde Anne es lernen, ihre spontanen Gedanken für sich zu behalten?

      Christian von Weststetten tat, als habe er nichts gehört, er neigte sich ein wenig und zog Ilses Hand an die Lippen. Nicht um den Bruchteil einer Sekunde schneller, als es sich, ohne aufzufallen, gehört, und nicht wärmer, als sei es die Hand einer Königin, bei der man es nicht wagt, die Etikette auch nur um ein winziges zu überschreiten.

      Ein huldreiches Lächeln spielte um Ilses Mund. So liebte sie die Männer, vor der Welt kühl und beherrscht bis in die Fingerspitzen. Ihre Küsse kümmerten niemand etwas, die brauchte kein neugieriges Auge zu erspähen. Daß Burggraf Christian von Weststetten auch anders küssen konnte, das ging nur sie ganz allein an. — — —

      Wunderhübsch sah die junge Braut in dem mattgrünen Kleid aus, zu dem sie nur eine Schnur Perlen trug, die ihr Christian Weststetten gestern gesandt. Die Seide des Stoffes war von einem feinrankigen Muster durchwebt, und alte ererbte Spitzen aus dem Nachlaß der toten Mutter krausten sich um Halsausschnitt und Ärmelabschluß. Wie rötliche Bronze flammte das köstliche dichte Haar und Graf Ferdinand mußte, da er seine beiden, sich im Äußeren sehr ähnlichen Mädchen ansah, daran denken, wie sehr sie der toten Mutter glichen. Dasselbe wundervolle Haar, dieselben Augen hatte sie besessen, und er war bis zu ihrem Tode der schönen Gattin eifrigster Anbeter gewesen. In der vollen reifen Blüte ihrer Schönheit war sie gestorben.

      Schade, ewig schade, daß sie die Freude des heutigen Tages nicht mehr erlebt hatte.

      Ilse

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