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mal schneller. Ein abruptes Unterbrechen, wobei der eine oder andere einige Takte allein weiterspielte. Das erahnte genervte Bitten, er möge doch aufhören, es gebe da doch etwas zu besprechen. Wenn man die Worte nicht versteht, die gesprochen werden, sondern nur die Stimmlage und Töne, entsteht eine eigentümliche Musik, eine andere Form des Quartettspielens: Erst sagt einer etwas, dann vermischen sich alle vier Stimmen, legen sich übereinander, eine Stimme wird lauter, einer redet schneller, um nicht unterbrochen zu werden, dazwischen blitzen kurze, bissige Töne. Es konnte passieren, dass sich dann einer nicht mehr an der Diskussion beteiligte und sein Schweigen lauter wurde als die Stimmen der anderen, das Gleiche, wenn inmitten des Spielens einer aufhörte. Es dauert einen Moment für den Außenstehenden, der weder zusieht noch die Partitur wirklich kennt, dieses Fehlen zu erkennen. Nur etwas klingt anders, wird bedrückend. Im Gesprochenen wie im Spielen konnte die latente oder offene Aggressivität eine schier unerträgliche Spannung übertragen. Auch beim Nichthinhören oder Nichthinhören-Wollen konnte sich die Zeit manchmal lang hinziehen, bis die vier Herren entweder mit dem vorläufigen Ergebnis sich für heute zufriedengaben oder sich mit anderen Passagen Sauerstoff oder neuen Zündstoff holten. Es gab auch andere (Hör-)Bilder, wenn sie anfingen zu spielen und einfach weiterspielten, sich an ihrem Spiel freuten, und ich die Vereinigung, das natürliche Miteinander-Atmen mitbekam. Ihre Freude, ihr erleichtertes Lachen übertrug sich auf mich. Ich konnte die leichte Verlegenheit spüren, die sie beschlich, weil sie sich erkannt hatten, wie frisch Verliebte.

      Zu Hause konnte ich so den Alltag eines Streichquartetts miterleben und gewann dadurch wertvolle Innenansichten eines Streichquartettlebens, auch wenn kein Quartett dem anderen gleicht. Lange Zeit, die ich hier meine Lehrzeit nennen möchte, konzentrierte ich mich darauf, meinen Beruf zu erlernen, die Mechanismen im Spiel zwischen den Künstlern und den Veranstaltern und die Nöte beider Seiten zu verstehen, das Katastrophenmanagement zu beherrschen, indem ich mir für die täglichen »Unfälle« stählerne Nerven zulegte und vor allem mit der Zeit zu dem tröstenden Schluss kam, dass, solange es nicht um Leben und Tod geht, es für fast alles eine Lösung gibt.

      Was tun, wenn zum Beispiel die Eisenbahner in den spontanen Streik treten und kein Zug fährt, also auch nicht derjenige, der die Künstler zum nächsten Ort fahren sollte? Die Autovermietungsstellen sind überfüllt. Wen kennt man in der fremden Stadt, der ein Auto leihen kann, das groß genug ist für vier Personen mit Instrumenten – immer das Cello! – und Gepäck?

      Oder wenn dem Bratschisten im Bahnhof von Mailand die Tasche aus der Hand gerissen wird, in der er seine Noten hat, und die sofort eingeschaltete Polizei verständnisvoll den Fall aufnimmt, aber keinerlei Hoffnung auf ein Wiedererlangen der Tasche lässt? Was steht auf dem Programm? Zwei der Werke liegen beim örtlichen Musikalienhändler vor, der sich bereit erklärt, die Bratschenstimmen kopieren und im Hotel hinterlegen zu lassen, damit der Bratschist bei seiner Ankunft noch das eine oder andere aus dem Kopf eintragen kann. Aber das dritte Werk gibt es nicht im Laden zu kaufen. Wer könnte das noch im Repertoire haben, den man anrufen kann, der zufällig zu Hause ist, die Noten kopieren und faxen kann?

      An einem Montagmorgen läutet das Telefon schon Sturm, als ich die Tür zum Büro aufschließe. Ich verstehe zunächst nicht, was gesagt wird, ich habe noch nie mit Japan telefoniert, die Leitung ist schlecht, der Akzent, mit dem Englisch gesprochen wird, sehr gewöhnungsbedürftig, ich bin noch nicht wirklich da. Quartett, Visa, Gefängnis … Plötzlich verstehe ich nur zu gut. Eines meiner Quartette war am Sonntag nach Japan geflogen, hatte kein Visum, saß im Flughafengefängnis und wurde nicht ins Land gelassen. Ein riesiges Missverständnis: Die notwendigen Visapapiere hatten wir ihnen geschickt, per Einschreiben, um sicherzustellen, dass sie nicht verloren gehen. Der Angeschriebene bekam zwar die Meldung per Post, fürchtete jedoch eine ihm unangenehme Sendung und holte den Brief einfach nicht ab. Der Konsul wurde bemüht, der Kulturminister des Landes, aus dem die Künstler kamen, der Tag verging mit hektischen Telefonaten, das Quartett kam frei, zwei Stunden vor seinem ersten Konzert.

      Ich machte fast jedes Mal die wunderliche Erfahrung, dass Konzerte, denen eine wirkliche oder Beinahe-Katastrophe vorausgegangen war, besonders erfolgreich waren, obwohl dem Publikum die Schwierigkeiten verschwiegen worden waren: der berühmte Adrenalinstoß.

       BESETZUNGSWECHSEL

      Je selbstverständlicher mir das »Professionelle« von der Hand ging, desto konzentrierter richtete sich mein Blick auf das andere, das nicht direkt mit Konzerten zu tun hatte. Im Laufe meiner ersten Berufsjahre erlebte ich einige Umwälzungen und zum Teil schwerwiegende Krisen: Besetzungswechsel bei manchen meiner Quartette, die Geburt meiner beiden Kinder und der Spagat zwischen Muttersein und Beruf. Das LaSalle Quartet, das ich seit meiner Kindheit kannte, das Cleveland Quartet, das ich seit mehr als zehn Jahren betreute, und das Brahms Quartett stellten ihre Quartettaktivitäten ein, meine erste Ehe zerbrach. Es kamen neue, junge Quartette, die nun von mir hören wollten, wie man eine Karriere macht. Es galt das, was ich von den Älteren gelernt hatte, den Jüngeren zur Verfügung zu stellen.

      Einige Jahre später heiratete ich wieder, branchenfremd. Es gab keine Proben mehr im Haus und Quartettdiskussionen am Küchentisch, sondern Seminare und psychoanalytische Diskussionen, ein anderer Diskurs. Ich konnte feststellen, dass das Interesse, ja die Neugier an dem »Phänomen« Streichquartett über die Musik hinaus auch oder vor allem bei Nichtmusikern sehr groß war.

      Viele aus meinem beruflichen Alltag resultierende Fragen und meine Versuche, aktuelle Situationen bei meinen Künstlern zu verstehen, bekamen im Gespräch mit meinem Mann, einem Erziehungswissenschaftler und Psychoanalytiker, und manchen seiner Kollegen konkretere Formen und Sätze. Aus den stillen, über Jahre angesammelten Beobachtungen wurden aufgrund der mir gestellten Fragen Beschreibungen.

      So zum Beispiel das von meinem Mann auf einem Zettel festgehaltene Ergebnis einer hitzigen Diskussion anlässlich eines Besuches bei Freunden:

      ~Quartettspieler erkennt man nicht.

      ~Quartett ist die kleinstmögliche Form, in der Individualität in Kollektivität übergehen kann.

      ~Redewendungen von der ersten und zweiten Geige

      ~Quartett und die Stimmlagen, die sogenannten natürlichen: Tenor, Bass – Sopran, Alt

      ~(Instrumente als Imitation der menschlichen Stimme); Vorläufer des Quartetts (vielleicht nicht historisch, aber logisch) war der Madrigalchor.

      ~Geschlechtslose Stimme

      ~Quartett tendiert dazu, wie Institutionen überhaupt, geschlechtslos (im Symbolischen, nicht tatsächlich) zu sein beziehungsweise der Struktur nach homosexuell (deshalb auch paranoiaanfällig).

      ~Dyade

      Trio

      Quartett: Im Quartett ist einer zu viel.

      ~Warum haben ausgesprochene Opernkomponisten keine Quartette geschrieben (Wagner, Puccini) und wiederum Komponisten, die ein enormes Quartettwerk hinterlassen haben, kaum eine Oper (Beethoven, Schubert)?

      ~Kann man Kirchenmusik und Quartette schreiben?

      ~War das Quartett eine spezifische Erfindung des werdenden Bürgertums, das Wohnzimmer, Salons hatte, aber keine riesigen Paläste?

      ~Vielleicht handelt es sich beim Quartett um ein Subjekt, aber um vier Individuen (wer verleiht den Namen? Gibt es in der Struktur der Quartette einen Unterschied, wenn sie den Namen des Gründers tragen oder einen gemeinsamen Namen, der nichts mit dem Namen eines Mitglieds zu tun hat. Welche Arten von Namen werden von Quartetten getragen?).

      ~Die beiden Geigen sind das Problem. Zwischen beiden Geigen wird verglichen (Dialektik von Herr und Knecht), sie sind vielleicht doch eins. Daraus der kühne Schluss: Das Quartett ist eigentlich ein Trio. Weil es aber dennoch ein Quartett ist, gibt es immer noch einen fünften, fiktiven Platz.

      Als mein Mann mir Wochen später den Zettel übergab, fasste ich einen Entschluss: Ich fing an, überall Notizen zu machen, Gedanken zu skizzieren, wie und wo sie kamen, die Rückseiten meiner Kladden und lose Blätter zu beschreiben, ein absolutes Chaos. Notizen, die ich suchte, fanden sich nicht mehr, längst vergessene tauchten wieder

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