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ein angesehener Anwalt, spielte wöchentlich Streichquartett mit den Solisten der Hamburger Philharmonie. Das habe ich leider nie gehört, denn er wanderte 1933 nach Antwerpen aus: Da war ich sechs Jahre alt.

      Übrigens erfand er eine schlaue List, sein Vermögen mit ins Ausland zu nehmen (was in Nazi-Deutschland streng verboten war). Er kaufte ein ganzes Streichquartett: vier Instrumente der Brüder Hieronymus und Antonio Amati.2 Die wurden leicht über die Grenze gebracht, weil sie nicht neu waren! In den zehn Nachkriegsjahren verwaltete ich dieses Quartett in Paris, bis es für die Erbgemeinschaft verkauft wurde.«

      Die Familie meines Vaters floh 1938 – mein Vater war elf Jahre alt – vor dem Nazi-Regime aus Deutschland nach Paris. Wie viele assimilierte Juden hatten sie sich sehr spät entschieden, zu emigrieren. Kurze Zeit danach mussten sie noch einmal vor den einmarschierenden Deutschen weiter nach Süden fliehen. Sie schafften es gerade noch, versteckt und unter falscher Identität in Südfrankreich durch den Krieg zu kommen, und ließen sich danach in Paris nieder.

      »Cello hatte ich schon in Hamburg zu lernen begonnen. Während der Kriegsjahre, versteckt in Frankreich, verbrachte ich meine Tage mit Celloüben, denn ausgehen war gefährlich. Nach dem Krieg, in Paris, wurde ich eines Tages auf mein Cello angesprochen: ›Sind Sie Amateur?‹ ›Ja.‹ ›Dann sind Sie der, den ich suche.‹ Thevernot war der Bratschist eines Kriegsgefangenen-Quartetts, das im Lager die klassische Literatur durchgespielt hatte. Pigot, ein Ingenieur, war Erster Geiger, seine Schwester war Berufspianistin am Radio. Der Bratschist, Bijou, war angehender Frauenarzt. Der Cellist war gestorben, und so forderte man mich auf, an seiner statt einzuspringen. Man setzte mir als erstes Mozarts D-Dur-Quartett vor. Eine Zumutung!«

      Adorno beschreibt sein Idealbild der musikalischen Erziehung als das des Kindes, das spätabends im Bett liegt und den im Wohnzimmer kammermusizierenden Eltern zuhört; »dieses Kind«, schrieb er 1957, »wird in dieser dem Schlaf gestohlenen Zeit tiefer in die geheimen Zellen der Musik eindringen, als wenn es jahrelang zur Aktivität in Spielkreisen organisiert ist«. Seit jeher hörte ich Streichquartettmusik und die deutsche Sprache, somit gehören sie auch eng zusammen und repräsentieren die verlorene Welt im Exil, die Sprache und die Farbe der Vergangenheit. Ich konnte weder das eine noch das andere, und doch haben sich beide zu Hauptkomponenten meines Lebens entwickelt. Aus dem Streichquartett habe ich meinen Beruf gemacht, Deutsch ist zu meiner Hauptsprache geworden, und es ist die Muttersprache meiner Kinder. So ist das Streichquartett – und die für mich dazugehörende deutsche Sprache – die Brücke zur Welt meiner väterlichen Familie, zu meinem Ursprung im deutschen Judentum und letztlich zum Judentum selbst.

      Der Zufall wollte, dass die erste feste Stelle meines späteren Berufslebens, die der Kammermusik-Sachbearbeiterin (so wurde es genannt!) bei der Konzertdirektion Schmid in Hannover war, und die ersten Künstler, die ich zu betreuen hatte, unter anderen das Guarneri Quartet, das Alban Berg Quartett und das Cleveland Quartet waren. Ich stieg in eine sehr durchdachte Organisation ein, in der alles präzise definiert und übersichtlich sortiert war. Allein die Besonderheiten eines jeden Künstlers stehen in keiner Ablage. So mussten meine damaligen Künstler mir – mit mehr oder weniger Geduld – erst den Beruf beibringen, bevor ich mit der Zeit ihr Vertrauen gewinnen konnte und als Partnerin akzeptiert wurde.

      Die Künstler beschränkten sich nicht darauf, Direktiven zu erteilen, sie erklärten sie mir, ausführlich und farbig. Sie erzählten mir Geschichten von unterwegs, sie beschrieben mir die Säle, in denen sie spielten, deren Akustik, Größe und Atmosphäre, die Besonderheiten der Veranstalter und der Zuhörer in den verschiedenen Orten und Ländern. Sie beschrieben mir die Stimmung der Werke und erklärten mir, wie sie ihre Programme zusammenstellen, dass ein Programm nicht gut ist, wenn die Zuhörer in düster-depressiver Stimmung nach Hause entlassen werden, so wie wenn man zum Beispiel das 15. Streichquartett von Schostakowitsch und das 6. Streichquartett von Bartók in einem Programm vereinigen würde. Sie machten mir klar, dass Entfernungen zu dem Konzertort und innerhalb des Ortes, ordentliche Garderoben und die Bestellung des Licht- und Bühnenmeisters zur Probe wesentliche Faktoren im Leben eines reisenden Musikers sind und ein gelungenes Konzert auch davon abhängt. Zimmer neben dem Aufzug sind in jedem Hotel eine Nachtplage, ganz egal, wie modern und leise die Aufzüge sind. Für viele der Hotels, die wir für unsere Künstler buchen, versuchen wir, die Nummernendziffer der »Aufzugszimmer« zu erfahren und bitten ausdrücklich, diese nicht an unsere Künstler zu vergeben. All das und noch viel mehr sagten sie mir und jeder ein bisschen anders. Ich verstand, dass ihre Forderungen nicht Divenallüren waren, sondern der schlichte – und manchmal verzweifelte – Versuch, Bedingungen zu schaffen, um ihren Beruf mit großer Konzentration ausüben zu können.

      Als ich 1989 mein Impresariat mit dem erklärten Ziel gründete, eine Agentur ausschließlich für Streichquartette zu führen, belächelten viele meinen Entschluss, hielten mich für verrückt und kaufmännisch suizidal. Allein die Streichquartette – nicht nur die, die ich vertrat, sondern auch viele andere, wie ich im Laufe der weiteren Jahre zu hören bekam – dankten mir dafür, weil ihnen damit ein voller Rang und Platz eingeräumt wurde. Sie waren nicht mehr Zierde auf einer Liste, sondern Zentrum.

      Den Schritt in die Selbständigkeit hätte ich nicht machen (und finanziell überleben) können, wenn nicht Künstler wie das Alban Berg Quartett, das Guarneri Quartet, das Tokyo String Quartet, das Cleveland Quartet mich hierzu ermutigt und ihrerseits die Entscheidung getroffen hätten, mir zu folgen. Immerhin bedeutete es für sie, eine sehr etablierte und respektierte Agentur zu verlassen, um einer jungen Agentin zu einem eigenen Namen zu verhelfen. Das Risiko, das sie trugen, war kalkulierbar, denn zu diesem Zeitpunkt kannten wir uns schon lang und gut. Sie alle waren meine Lehrer gewesen und wussten, dass ich bereits eine eigene Beziehung zu vielen Veranstaltern aufgebaut hatte. Nach einigen Jahren kamen die ersten Solisten, die das suchten, was sie »die kammermusikalische Betreuung« nannten, etwas, das schwer zu beschreiben ist, aber einen Gegenpol zu der solistischen kommerziellen Hetze bilden sollte.

      1Wie ich kürzlich erfuhr, gehörte mein Urgroßvater zu den aktiven Gründern und Förderern der Hamburger Philharmonischen Gesellschaft.

      2Die Instrumente befanden sich in der Obhut eines Brüsseler Museums, wo sie zusammen mit Gütern vieler anderer jüdischer Familien auf der Flucht im Keller deponiert und während des Krieges verwahrt wurden, mit einem Munitionsdepot nebenan, wie sich später herausstellte. Alles blieb heil.

       AUF TOURNEE

      Eines Tages riss Günter Pichler, dem Ersten Geiger des Alban Berg Quartetts, die Geduld. Ich hatte ihm die Liste von Städten für eine nächste Tournee geschickt. Alles schien mir, vom Lesen der Karte her, sinnvoll und logisch zu sein, aber die Reisen hatte ich nicht im Detail geprüft. Mir schien, 300 bis 400 Kilometer seien nicht so weit, auf der Karte sind es ja nur einige Zentimeter. Er bat Herrn Schmid darum, mir zu erlauben, einige Tage – ich glaube, es waren drei – mit ihnen auf Tournee zu gehen, damit ich endlich begreife, was es heißt, zu reisen. Der Abschnitt der Tournee, bei dem ich mitreiste, war an sich unproblematisch, alles war mit dem Zug leicht zu bewältigen (nur bei einer der Strecken musste man einmal umsteigen). Insgesamt überstiegen die Reisezeiten von Hotel zu Hotel keine vier Stunden. Ich kam so erschöpft zurück, als hätte ich die ganze Reise in einer schlecht gefederten Kutsche gemacht. Dabei musste ich weiter nichts tun, als mitreisen, die Künstler mussten dazu noch üben, proben und spielen. Ich hatte lediglich einen kleinen Koffer für drei Tage, die Musiker schleppten große Koffer für vier Wochen Tournee, samt Konzertanzug, Noten und ihr Instrument. Die Uhr tickt bei solchen Reisen besonders schnell: morgens packen, Hotelrechnung bezahlen – scheinbar wollen alle anderen Hotelgäste genau dann auch bezahlen –, das Gepäck sinnvoll im Taxi verstauen, damit nicht noch ein drittes Taxi gerufen werden muss, am Bahnhof den richtigen Bahnsteig finden, die Rolltreppe ist außer Betrieb, Gedränge vor dem Wagenstandsanzeiger, der Wagen ist am anderen Ende des Bahnsteigs. Im Zug ist alles eng, das Gepäck zu sperrig, es muss hochgehievt werden. Am Ankunftsbahnhof stehen nicht genügend Taxis, man muss warten, es regnet. Im nächsten Hotel wurden die Reservierungsbedingungen – ruhige, weit voneinander liegende Zimmer – nicht befolgt, die Empfangsdame versteht nicht, warum dies für gerade mal eine Nacht so wichtig sein soll. Auspacken, etwas

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