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einen richtigen Mutter-Ausspruch. War es nicht viel romantischer, früh durch Nacht und Nebel laufen zu müssen, als vom Schulbus an der Tür abgeholt zu werden? Petra meinte das übrigens auch.

      Sie fuhren eine enge Waldstraße entlang, dann kam ein Schild: Für Kraftfahrzeuge verboten, Anlieger frei. Frau Hartwig bog ein, ein wenig zweifelnd, ob es richtig war. Petra zappelte auf ihrem Rücksitz und deutete aufgeregt auf ein Stück Weideland, um das ein doppelter Drahtzaun lief, etwa in Höhe von fünfzig und achtzig Zentimetern. Der Draht ging von Pfosten zu Pfosten und war an honigfarbenen, durchsichtigen Haltern angebracht.

      „Elektrozaun, das macht man für Pferde!“ verkündete sie aufgeregt. „Wir sind bestimmt richtig!“

      Wirklich, jetzt kam ein Dorf. Keins, in dem reiche Fabrikanten sich geschmackvolle Eigenheime mit schönen Gärten gebaut hatten, sondern ein richtiges Bauerndorf mit Scheunen und Ställen. Ziemlich schmutzig, fand Anja, sagte aber nichts. Petra deutete wild winkend nach links.

      „Dort müssen wir einbiegen, Dagmar hat mir’s am Telefon genau beschrieben. Ein schmaler Weg links, auf dem man nicht mehr umdrehen kann.“

      „Und wie soll ich wieder rauskommen?“ fragte ihre Mutter und fuhr langsamer.

      „Ach, irgendwie. Rückwärts vielleicht. Dort! Dort! Das Haus muß es sein! Seht ihr nicht, da hängen Hufeisen über der Tür!“

      „Das hat nichts zu sagen, die gibt’s jetzt überall“, sagte Vater. „Hufeisen oder alte Wagenräder oder Mistkarren und solchen Klimbim – man ‚trägt Pferd’, das ist jetzt Mode.“

      „Aber Nummer 69! Das hat Dagmar gesagt. Seht ihr nicht, dort hängt doch eine 69, aus Hufeisen gemacht!“

      Wirklich, über der Tür des langgestreckten Bauernhauses rechts von der Straße hingen zwei alte, geschickt zurechtgebogene Hufeisen, dünngewetzt, blinkend, eins wie eine Sechs aufrechtstehend und eins daneben umgekehrt, wie eine Neun. „Hier ist es. Bestimmt, hier wohnen sie!“

      Frau Hartwig fuhr dicht heran und hielt. Petra und Anja purzelten mehr heraus als daß sie ausstiegen, und gleichzeitig ging die Haustür auf. Ein junges Mädchen in Reithosen und Gummistiefeln trat heraus, mit einer Hand einen großen, schwarzen Hund am Halsband zurückhaltend, der vorwärts zog – die andere Hand war umwickelt. Das mußte Dagmar sein, kein Zweifel! Sie lachte den Ankommenden entgegen, das wunderschöne rötliche Haar aus der Stirn schüttelnd.

      „Grüß dich, Dagmar“, schrie Petra aufgeregt, „kann ich sie halten? Die Hündin, meine ich. Weil du doch nur eine Hand hast. Komm, laß mich –“

      „Ich hab’ noch zwei“, lachte Dagmar und übergab ihr das Halsband. „Denkst du, die andere ist ab? Nicht mal gebrochen, wie sich beim Röntgen rausstellte, nur verstaucht. Der Arzt sagte, wir brauchten keinen Gips, ein Zinkleinenverband genügte. Und ich hab’ euch herzitiert ... aber eine kleine Hilfe tut mir eben doch furchtbar gut, das seht ihr ein, nicht wahr? Ich kann ja fast – fast – fast gar nicht zufassen –“ sie lachte so kläglich wie möglich – „da, halt die Brumme, Petra, ja, so. Sie tut immer mächtig wütend, ist aber im Grunde ganz lieb. Sie ist alt und etwas wunderlich geworden, das werden Menschen ja auch manchmal. Im großen und ganzen kommt man schon mit ihr aus, und wachsam ist sie, alle Achtung!“

      „Und das? Wer ist das?“ fragte Petra weiter. Ein schmaler Hund, halbgroß, braungelockt, guckte jetzt aus der offenstehenden Tür.

      „Das ist die Prinzessin. Komm, Zessi, und stell dich vor. Sie ist noch jung und dumm, aber eine Seele von Hund. Ja, kannst sie ruhig streicheln, Anja – das bist du doch, oder?“ Sie lächelte Anja an.

      Anja konnte sich noch nicht recht entschließen, zuzugreifen. Sie war als kleines Kind einmal von einem Hund angefallen und umgeworfen worden und hatte das nicht vergessen. Zögernd trat sie näher heran.

      „Du brauchst sie ja nicht gleich am Halsband zu nehmen“, sagte Vater beruhigend hinter ihr, „laß sie an dir schnuppern, dann mag sie dich sicher sogleich gern, weil du nach Pferden riechst.“

      „Riech ich denn?“ fragte Anja beglückt. Vater lachte.

      „Und ob! Wie eine ganze Kavalkade, wenn du aus dem Reitverein kommst. Man riecht das schon auf zehn Meter Entfernung. Siehst du, Zessi tut dir nichts.“

      „Aber ihr habt doch noch mehr Hunde?“ fragte Petra eifrig.

      „Natürlich, die Willia und ihre Jungen. Sieben waren es, vier haben wir noch. Ich zeige sie euch gleich. Aber erst –“

      „Erst die Pferde!“

      „Nein, erst kommen Sie doch bitte herein, ich hab’ Kaffee gekocht“, sagte Dagmar zu den drei Erwachsenen, „Kaffeekochen kann man auch mit einer Hand. Aber sonst ist eben doch manches zu tun, was ich einhändig nicht so recht hinkriege. Meine beiden Schwestern sind mit meinen Eltern verreist, wissen Sie –“ Sie schloß die Haustür hinter sich. „Hier, legen Sie doch bitte ab, denn ein bißchen Zeit haben Sie doch hoffentlich mitgebracht?“

      Es klang herzlich bittend. Mutter fand Dagmar sehr sympathisch – gleichzeitig bescheiden und vernünftig.

      „Nicht sehr viel, aber etwas“, sagte sie und schlüpfte aus ihrem Mantel. „Ich habe zu Hause zwei Babys, und es war nicht leicht, eine Nachbarin zu finden, die sie für einige Zeit zu sich nimmt. Zwei auf einmal will niemand so sehr gern übernehmen.“

      Dagmar hatte ihr den Mantel abgenommen. Vater sah sich aufmerksam um. Ja, umsehen mußte man sich hier, bereits der Flur war so, daß sich das Umsehen lohnte.

      Ein altes Haus, neu gerichtet. Die Decke war mit hellem Holz getäfelt, mitten im Flur aber stand ein alter Balken, der diese Decke trug, richtig knorrig und voller schräg laufender Risse. Aber man sah, daß er ordentlich mit einer scharfen Bürste bearbeitet worden war, so daß man ihn anfassen und streicheln konnte, ohne sich Splitter einzuziehen. Er lief oben in drei Teile auseinander, wie eine Geburtsrune, und stützte die Decke. Die Treppe, die links davon in den oberen Stock führte, war auch aus so altem, nachgedunkeltem Holz; sie besaß kein Geländer, aber an ihrer Seite lief ein fast armdicker Strick, an dem man sich festhalten konnte. Der Fußboden des Flures bestand aus hellen Klinkern, rechts hingen Mäntel und Jacken an unregelmäßig eingefügten Holzhaken, auch ein Waldhorn und ein Feldstecher in ledernem Etui. Eine Tür stand auf; sie führte ins Wohnzimmer.

      Ach, das Wohnzimmer! Sogar Petra und Anja, die eigentlich nur auf Pferde und Hunde und anderes Getier warteten, merkten, daß hier eine besonders glückliche Hand am Werk gewesen sein mußte, als man aus einem alten Bauernhaus einen Wohnsitz nach heutigem Geschmack machte. Wunderschön war es geworden, mit weißen Wänden und schwarzen Balken an der Decke und einem Kaminplatz mit Rundbank, die etwas tiefer lag, so daß man auf Stufen hinuntersteigen mußte. Dort saß man sicherlich herrlich, wenn das Feuer flackerte und draußen der Sturm heulte. Die Möbel waren alt, meist dunkel, sicherlich ererbt oder zusammengesucht; an der einen Wand stand ein schöner bunter Bauernschrank.

      „Och, hier gefällt mir’s“, seufzte Petra unwillkürlich. Sie war noch nie bei Dagmar gewesen.

      Diese nötigte ihre Gäste in ein zweites Zimmer, das an das erste anschloß und fast ganz ausgefüllt war von einem riesenhaften Tisch. Hier mochte früher das Gesinde gesessen und gegessen haben, als es noch Gesinde gab. Dagmar hatte den Tisch hübsch gedeckt mit dunkelroten Bechern und ein paar Kerzen in der Mitte, auch die Kaffeekanne stand schon parat auf einem schmiedeeisernen Stövchen, aus dem eine Wärmekerze herausschimmerte. Die Angekommenen setzten sich, und die Unterhaltung ging gleich los.

      Dagmars Eltern waren mit den zwei jüngeren Schwestern nach Wien gefahren, zu einem berühmten Arzt, der die Kleinste untersuchen sollte.

      „Sie ist nicht meine richtige Schwester, sondern ein Waisenkind aus Korea. Meine Eltern haben sie adoptiert“, erzählte Dagmar. „Wir haben sie seit drei Jahren. Aber irgend etwas stimmt nicht bei ihr und deshalb sind meine Eltern nach Wien gefahren. Es soll ein sehr guter Psychologe sein, zu dem sie sie bringen wollen, vielleicht kann er ihr helfen. Wir haben sie sehr lieb.“

      Später

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