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ob es schmeckt.“

      O ja, es schmeckte. Anja fand zwar, daß der bitterliche Rotweingeschmack gut hätte fehlen können, aber dafür war es eben fast ein Erwachsenentrunk. Sie leckte sich die Lippen, nachdem sie das Glas abgesetzt hatte. Und jetzt fiel es ihr viel leichter, zu antworten, als Mutter nun erneut fragte – es war, als hätte Vaters Freundlichkeit zusammen mit dem heißen Getränk ihre Zunge gelöst.

      „Petra will – eine Bekannte aus dem Reitverein, Dagmar, du kennst sie noch nicht, sie ist etwas älter als wir –“ setzte sie an. „Ja, sie haben zu Hause auch Pferde, und ihre Eltern sind verreist, und sie hütet das Haus und die Hunde und alles – die hat sich also die Hand gebrochen oder jedenfalls angebrochen, und jetzt war sie beim Röntgen und ist in Gips gekommen und kann gar nichts mehr tun, es ist auch noch die rechte –“

      „Aha. Und was hat das alles mit dir zu tun?“ fragte Vater in seiner behutsamen Art, als Anja stockte. Sie sah ihn flehend an.

      „Petra hat versprochen, dorthin zu gehen und ihr zu helfen, und da wollte sie – da will sie – es wäre doch besser, wir wären zu zweit –“

      „Wo wohnt diese Dagmar denn?“ fragte Vater nach einer kleinen Weile. Anja gestand, daß sie das nicht wüßte. Vater meinte, das wäre dann wohl das erste, was man feststellen müßte.

      „Irgendwo auf dem Land hier in der Nähe. Sie haben außer den Pferden auch Hunde –“

      „Solche wie Onkel Kurt?“

      Vater lachte. Kurt, sein jüngerer Bruder, der Tierarzt war, besaß eine große Menge winziger Hündchen, die Anja vor einiger Zeit kennengelernt hatte. Anja mußte auch lachen.

      „Nein, solche nicht. Solche sind bestimmt sehr selten. Sie haben große. Eine Dogge, soviel ich weiß, und einen Windhund, aber einen anderen, wie man denkt – er ist nicht gefleckt –“

      „Und was noch?“

      „Mehr weiß ich nicht. Aber –“ Anja verstummte. „Vater“, sagte sie dann, und es klang auf einmal ganz erwachsen und vernünftig, „wir haben doch noch Ferien. Und wenn ich dorthin ginge, könnte ich vieles lernen beim Helfen. Ihr habt mir erlaubt, daß ich in den Reitverein gehen darf, ab Januar im nächsten Jahr, aber ich versteh’ doch gar, gar nichts von Pferden. Und dort sind welche, und ich könnte lernen, wie man mit ihnen umgeht, wie man sie putzt und was sie zu fressen bekommen und das alles. Petra kann das, ihre Eltern hatten immer Pferde, sie weiß alles, was ich noch nicht weiß. Ich könnte dort vielleicht auch ein Tagebuch schreiben. Nach den Ferien kriegt man in der Schule meistens einen Aufsatz auf: Mein schönster Ferientag oder so ähnlich. Da könnte ich alles genau beschreiben, einen Bericht, nicht nur so in der Phantasie, bei der alles nur ausgedacht ist, sondern wirkliche Tatsachen –“ sie verstummte. Vater lächelte ihr zu.

      „Und damit du einen recht schönen, selbst erlebten Aufsatz schreiben kannst, willst du also mit Petra zu Dagmar? Nur deswegen?“ fragte er.

      „Aber Vater! Natürlich nicht! Ich möchte halt gern hin, und Dagmar braucht wirklich Hilfe, das siehst du doch ein –“

      „Und Mutter? Mutter bleibt ohne Hilfe?“

      Anja schwieg. Was war dazu zu sagen? Hilfeflehend sah sie zu Vater hin. Der guckte verschmitzt.

      „Hör zu, große Tochter“, sagte er. „Erst erkundigen wir uns mal bei Dagmar, ob sie wirklich Hilfe braucht. Vielleicht fahren wir einfach mal hin und sehen uns dort um. Ich habe ja auch noch Ferien, genau wie du. Wenn ich auch einiges tun muß, was ihr Schüler nicht braucht ... Lehrer haben es ja nicht so leicht wie ihr – ja, da könnte ich Mutter ja solange helfen, bis du wieder da bist. Solange ich keine Schule habe, könntest du Anja vielleicht entbehren, Mutter?“ fragte er vorsichtig.

      Mutter schwieg.

      „Wenn sie verspricht, später –“ sagte sie dann. Es klang zögernd, ein wenig mutlos. Anja hörte genau heraus, was sie jetzt dachte. Sie wurde dunkelrot.

      „Versprechungen verlangen, sich auf später vertrösten zu lassen, das ist eine Sache, die ich eigentlich gar nicht gern habe“, sagte Vater, ehe Anja antworten konnte, und wiegte den Kopf. „Ich bin weniger für Versprechen als für Halten. Wollen wir es nicht Anja überlassen, ob sie nicht nur jetzt bei Dagmar, sondern später auch Mutter hilft, von sich aus? Auch, wenn wir keine Pferde und Doggen und keine Windhunde haben, sondern nur –“ er betonte dieses Wörtchen lustig und so, daß es wirklich keinem weh tun konnte – „ein paar süße kleine Buben, die eine große Schwester sehr nötig brauchen, neben der Mutter, wenn der Vater wieder Stunden halten und Hefte korrigieren muß? Na, wie wäre das?“

      „O Vater! Ich verspre – – nein, du wirst es aber erleben! Darf ich? Darf ich Petra anrufen und ihr sagen –“

      „Anrufen darfst du sie, sollst du sogar. Sie muß ja wissen, woran sie ist. Am besten, du sagst ihr, sie soll ganz schnell mal herkommen. Sie hat doch ein Fahrrad, oder? Na siehst du. Und da unterhalten wir uns erstmal ein bißchen mit ihr. Das weitere findet sich.“

      „Danke! Danke! Ich ruf’ gleich an!“ Anja stürzte aus der Küche, gleich darauf hörten Vater und Mutter das leise „Kling“ des abgenommenen Hörers. Sie sahen einander an.

      „Wir kennen doch die Leute gar nicht. Und Anja war noch nie allein weg von uns“, sagte Mutter. Es klang verzagt.

      Vater lachte.

      „Erstens kann man Leute, die man bisher noch nicht kannte, kennenlernen. Das heißt, wenigstens diese Dagmar mit der verknacksten Pfote. Das hab’ ich ja gesagt. Und allein fort? Sie geht ja mit Petra dorthin, und Petra und ihre Eltern kennen wir ja nun schon eine ganze Weile. Und“, er zog das Wort in die Länge und sah Mutter an, jetzt ernst, ein bißchen mahnend.

      „Und?“ fragte sie, als er innehielt.

      „Und? Auch kleine und bisher einzige Töchter werden eines Tages groß und wollen sich in der Welt bewähren, nicht nur immerzu zu Hause bleiben und Muttern helfen“, sagte Vater leise. „Hast du dir das schon mal überlegt? Diesmal ist es das erstemal, und alles, was das erstemal ist, ist eine große Sache. Besinnst du dich noch darauf, wie es war, als Anja das erstemal allein in den Kindergarten ging? Und das erstemal allein in die Schule ...“

      Er sah Mutter an. Um ihren Mund zuckte es, aber sie versuchte zu lächeln. Er legte den Arm um ihre Schulter.

      „Es wird ihr guttun, keine Frage“, sagte er herzlich, „und dir auch. Eine Trennung ist manchmal sehr heilsam, denn gar zu einig seid ihr ja wohl in letzter Zeit nicht gewesen, Anja und du, oder? Na also. Und dann hast du etwas, worauf du dich freuen kannst, wenn sie wiederkommt. Ist das nicht hübsch?“

      Drüben telefonierte Anja, daß man denken konnte, der Telefondraht müßte ins Glühen kommen.

      „Sicherlich erlauben sie es – aber wissen wollen sie natürlich, wo es ist – wir müßten jemanden finden, der uns hinfährt, meine Mutter ist nun mal so, immer hat sie Angst um mich. Ob deine Mutter es nicht täte? Die ist doch immer so toll – fragst du sie mal? O Petra, bis zum Schluß der Ferien sind es noch zehn Tage. Zehn Tage Pferde und Hunde und wir beide zusammen, und –“

      Das alles in Lautstärke zwölf, als könnte Petra sie sonst nicht verstehen.

      „Und – und – und –“

      Vater und Mutter sahen einander an und mußten lachen.

      Ja, es war wirklich ein toller Plan!

      Wie manche Leute wohnen

      Dagmars Eltern wohnten wirklich „hinter Pfui-Teufel“, wie man zu sagen pflegt. Frau Hartwig jedenfalls machte ein etwas pikiertes Gesicht, als sie den Wagen durch eine enge Kurve zog und immer noch kein Schild mit „Hinterhopfingen“ kam. Gerade hatten sie eine Brücke überquert, und der Nebel hüllte den Wagen ein, daß man mit Licht fahren mußte, und das am hellen Vormittag. „Wo mögen die Kinder wohl in die Schule gehen?“

      „Sie fahren zweiundzwanzig Kilometer“, meldete Petra von

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