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ganzen Tag lang im Erdgeschoß und unter dem Dach so ganz allein beschäftigen?

      Je länger ich dort zur Miete wohnte, desto mehr hatte ich Angst davor, daß sie sterben könnte, und ich dachte, daß sie vielleicht mausetot oben bei sich auf dem Fußboden lag, während wir in dem Zimmer unter ihrem Schlafzimmer gerade zugange waren. Aufgrund einer Art primitiver Furcht aus der Urzeit glaubt man, daß die Liebe mit Schicksalsschlägen, Schrecken oder dem Tod verbunden sein muß, oder zumindest mit schlimmen Nachrichten. Ich weiß, daß das ein Aberglaube ist, und ich erkenne ihn an mir selbst, doch es ist egal, wie sehr ich auch versuche, Verstand und Vernunft walten zu lassen, ich weiß, daß die Liebe mit dem Tod verbunden ist und daß wir (wahrscheinlich ich) früher oder später das Leben opfern müssen, vielleicht nicht für sie, sondern wegen ihr.

      Natürlich bin ich darauf gefaßt, daß einer von uns oder wir beide Aids bekommen müssen, die Krankheit paßt wie die Faust aufs Auge des Aberglaubens, daß die Leidenschaft und die Liebe untrennbar mit einer Tragödie verbunden sind. Seitdem man die Krankheit zum ersten Mal diagnostiziert hat, war sie in den Augen des Christenmenschen die Strafe dafür, daß eine bestimmte verdorbene und gottlose Sorte Menschen die Liebe und das Bedürfnis nach körperlicher Nähe zu Intimität machte, die ihrem eigenen Zweck diente, die Liebe war Genießen und die Nähe an und für sich. Diese besondere Sorte im voraus verurteilter Menschen befreite sich mit ihrem Verhalten aus den Fesseln des gängigen Denkens und suchte eine Abreaktion und Befriedigung nur im Fleisch um des Fleisches willen, und obendrein beim eigenen Geschlecht.

      Die Krankheit, das lodernde Schwert, kam deshalb in die Welt, geschickt von Gott, der einen speziellen Strafvirus erschuf, um den Körper des Verdorbenen mit einem schrecklichen Tod zu belegen, weil er die Liebe nicht auf gesunde Art in einer Ehe nach christlichen Regeln genoß, die Vermehrung der Menschen aus dem Mutterleib im Sinn und die Bevölkerung der Erde. Die Seuche entstand, weil Jemand wider das Heiligtum der Frau gelästert hatte, welches der Ursprung des Lebens ist, und dieser selbe jemand begehrte wohl niedrigere und dunklere Schluchten oder Öffnungen am Körper, wo kein Licht aus der Dunkelheit geboren wird und der Samen ausgesetzt wird, bevor durch Zeugung die Kinder entstehen, wie bei primitiven Leuten.

      Dennoch mußte es an den Tag kommen, daß das Leben mechanisch und seelenlos ist, die Krankheit war nicht das Resultat des Wunschdenkens des Glaubens im Herzen christlicher Männer und Frauen, sondern sie war immun gegen Trauer und drang in alle Öffnungen und in jede Art von Blut ein, vornehm oder niedrig, blau oder rot, sie nahm ihren Weg, nichts verpflichtet außer ihren eigenen Gesetzen, und sie war nicht als Strafe für Verbrechen gegen die Gebote Gottes und seine Zeugungslöcher gekommen. Sie war allein gegen alle, auf dieselbe Art wie jeder andere Tod auch.

      Ich habe Kinder gezeugt, aber nichtsdestoweniger erwachte in mir das komische Verlangen danach, an dem teuflischen Virus zu sterben. Es ist es durchaus wert, daß man auf eine besondere Weise für die Wahrheit von Seele und Körper stirbt. Es verschafft einem ein Gefühl der Versöhnung, heute wie damals, zur Zeit der großen Erleuchtung, als überzeugte Menschen für eine Idee sterben wollten, sterben für ihre Ansichten, das Leben für den Glauben lassen oder etwas anderes, das dem Menschen nahesteht, wie zum Bespiel sich für den Vater zu opfern, Mutter, Frau oder Kinder, Gott oder die Gesellschaft: für die ganze Welt, auf dieselbe Weise wie der Erlöser es getan hat; die Kunst, ihm nachzufolgen, ist zu den Tugenden gezählt worden. Doch Aidskranke werden kaum von irgend jemand zu den Heiligen gerechnet, sich zu lieben und deshalb an einer realen und fürchterlichen Krankheit zu sterben hat nichts mit Philosophie oder Ökonomie oder Göttern zu tun, sondern mit einem unklaren und unberechenbaren Verlangen, von dem christliche Menschen behaupten, daß es pervers sei, denn es stirbt an sich selbst, sowie es befriedigt worden ist.

      Damals wußte ich noch nicht, daß es einmal ans Licht käme, daß nach wissenschaftlichen Untersuchungen alle Menschen, gute oder schlechte, gerechte oder ungerechte, ebenso wehrlos und anfällig für diese Krankheit sind wie auch für andere, weil Krankheiten kaum einen Unterschied zwischen den Menschen machen, sie haben keine Moral, Vernunft oder Logik wie gebildete Menschen, und sie haben keinen Gott, und sie bekennen sich zu keinem Gesetz und keiner wahren Religion.

      So dachte ich in dem Zimmer.

      Als ich einen Telefonanschluß bekommen hatte und fand, daß nun alles fertig und bereit sei, daß mein Gefährte anrufen könnte, wann immer er wollte, da rief er vor ein paar Wochen an und sagte:

      Jetzt komme ich dir nicht mehr nahe, bis du einen Aidstest gemacht hast und ein Attest vom Arzt vorzeigen kannst, daß du nicht infiziert bist.

      Ich betrachtete das als Beleidigung, meinen Überlegungen zum Trotz und dem Bedürfnis nach heiligen Martyrien, und ich fühlte mich, als ob mir jemand eine Ohrfeige verpaßt hätte, und ich sagte:

      Soweit gehe ich dir zuliebe nicht; das tue ich nie, lieber krepiere ich.

      Na, das war’s dann wohl und tschüß, sagte er.

      Also ging ich zur Untersuchung und wedelte mit dem Attest in seinem Gesicht herum. Er strahlte vor Zufriedenheit und wurde ganz stolz.

      Tja, was man sich nicht alles traut, quietschte er vor Vergnügen. Was steht im Attest?

      Daß ich serenpositiv bin, antwortete ich.

      Was bedeutet das?

      Ich habe positives Blut, antwortete ich.

      Du bist immer positiv mir gegenüber gewesen, sagte er vergnügt.

      Ja, sagte ich. Ich habe ein positives Leben gelebt.

      In meinem ist auch alles positiv, sagte er und wurde noch vergnügter.

      Gut, sagte ich.

      Ja, was man sich nicht alles traut, quietschte er wieder.

      Ich war es, der sich getraut hat, sagte ich mit Nachdruck. Und ich traue mich auch für meine Wesensart und meine Krankheit zu sterben.

      Spar dir bloß deine Heldendarstellungen, sagte er kurz und drohend. Ich war es, der die Idee hatte, weil ich dachte, daß ich Aids von du weißt schon bekommen und dich angesteckt hätte.

      Manchmal betrachtete er das Attest und war so begeistert, daß er vergaß, weshalb er gekommen war.

      Was würde passieren, wenn etwas anderes dastehen würde und du mit Aids infiziert wärst? fragte er und antwortete sich sofort selbst: Natürlich würde meine Frau alles herauskriegen, und ich wäre ebenfalls dem Tod geweiht.

      Man ist nicht nur hierin dem Tod geweiht, sondern in allem, seit wir geboren sind, sagte ich kalt und barsch.

      Er hörte dieser Wahrheit nicht einmal zu und wiederholte ständig dieselben Worte:

      Verdammt, wie kalt man sein kann; ich habe es gewagt, dich hinzuschicken!

      Was würde passieren, wenn ich Aids hätte und es von dir bekommen hätte? fragte ich und versuchte, die Fassung zu bewahren.

      Ich müßte Selbstmord begehen, bevor es alle mitbekommen haben, wie dein Jugendfreund es gemacht hat. Der war kaltschnäuzig.

      Wie denn? fragte ich, und mir gefiel diese Art von Gespräch nicht.

      Das ist ja wohl klar, daß es am mutigsten überhaupt ist, wenn man sich umbringt, antwortete er.

      Ich verstand nicht, was daran mutig sein sollte, sich das Leben zu nehmen, bis er sagte:

      Sich selber umzubringen ist mutiger, als andere umzubringen, weil man so gleichzeitig die ganze Welt für sich umbringt.

      Warum? fragte ich und sah ihn an, wich dabei aber irgendwie aus, gefühlsmäßig betrachtet.

      Natürlich deshalb, weil man dann den Schmerz selbst spürt, antwortete er, verwundert über meine Einfalt. Wenn man einen anderen umbringt, spürt keiner den Schmerz, außer dem, der umgebracht wird.

      Ich hatte nie an unser ständiges Spiel gedacht und an das Vergnügen, das darin besteht, den Schmerz herauszufordern.

      Einmal, als mein Gefährte kam und begeistert mit dem Aidstest dasaß, schien ihm ein Licht aufzugehen, und er sagte halb verwundert:

      Das

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