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ich und versuchte, mich gut, doch nicht zu gut auszudrücken.

      Da antwortete sie und sagte geheimnisvoll:

      Man darf nie etwas buchstäblich nehmen. Manche Leute leben ohne Zusammenhalt, und ihr Leben paßt sich daran an. Doch das kann ein ausgezeichnetes Leben sein. Und damit du es weißt, ich fand dabei die Methode des jungen Mannes gut, wie er die Zeit, die vergeht, mit der Zeit verband, die in unserem Zusammenleben mit anderen gewöhnlich zum Stehen gekommen ist und in Scherben in einer Küche liegt, vielleicht in einem Schlafzimmer, in einem Bad, in einem Gang oder an den unmöglichsten Orten.

      Ja, sagte ich. Die Ehe war vielleicht etwas ausgeleiert und ohne Zusammenhalt.

      Das kann man wohl sagen, stimmte sie zu. Er betrog natürlich seine Frau und gab zu, daß das Schwierigste gewesen sei, dem Alten, der ihm den Gang vermietete, klarzumachen, daß er einen Gang mieten wolle, der nicht zu einer Wohnung führe. »In was für einem vernünftigen Haus sind die Gänge so?« rief der Alte wütend, wie ratlose alte Leute es tun. Der junge Mann erklärte ihm daher, daß das Heim, das er gegründet hatte, in Trümmern lag, und es deshalb logisch wäre, daß er eine Wohnung mietete, die in Stücken über die ganze Stadt verstreut war. Da beruhigte sich der Alte und begriff den Stand der Dinge, und der Junge bekam den Gang, aber ich sagte: »Die Frauen, die dir das Schlafzimmer vermieten wollten, haben dieselben gewichtigen Argumente nicht verstanden, mein Lieber.« Darauf antwortete er: »Es ist ihr gutes Recht, nur das zu verstehen, was ihnen gerade paßt.«

      Und was hast du gesagt? fragte ich.

      Ich sagte nur: »Ach so, und wo soll dann deine Frau bei einer so seltsamen Lebensweise bleiben, soll sie dich kreuz und quer durch die ganze Stadt verfolgen?«

      Nein, antwortete er, wir haben Trennung von Tisch und Bett, doch wir wohnen zusammen, jeder auf seine Weise, so daß sich die Mietverhältnisse danach zu richten haben. Wenn ich im Bad in dem einen Stadtteil bin, ist sie in der Küche im anderen und dann im Schlafzimmer, während ich in dem Zimmer bin, das du mir hier im Keller vermieten würdest. Andererseits begegnen wir uns mit unseren Herzen in der Stadtmitte in dem Gang, der zu keiner Wohnung führt, falls wir uns überhaupt begegnen, aus Furcht vor dem Alten, der an uns vermietet und den Gang benutzt, um dort herumzulaufen, furchtbar wütend darüber, wie schlecht man wieder das Erste Programm im Radio empfängt.

      Sie seufzte geistesabwesend, rührte sich etwas und sagte:

      Daran kannst du sehen, daß dieses Zimmer in mancher Beziehung viel Glück bringt. Ständig kamen Leute zu ihm.

      Hoffentlich wird es bei mir genauso sein, aber nicht in derselben Beziehung, sagte ich.

      Im selben Moment öffnete sie die Tür zum Zimmer und führte mich in ein kleines Bad mit Klo, und dann öffnete sie eine andere Tür, die zu einer Küchenzeile führte, und sie fügte mit einem leisen Schnalzen hinzu:

      Du bekommst beide Türen dazu. Hier kannst du tun und lassen, was du willst. Ich bin sowieso schon halbblind, so daß ich nichts sehe, und dann bin ich auch noch mehr als taub, so daß ich nichts höre außer dem, was man mir direkt in die Ohren schwatzt.

      Zum Beweis dafür sah sie mich an und sperrte die leeren Augen auf, ohne zu sehen oder sich über irgend etwas zu vergewissern, und schnalzte ein paarmal mit den Lippen und fügte hinzu:

      In einem gewissen Alter wollen alle Männer das Leben genießen, und oft ist es höchste Zeit für sie; du bist in diesem Alter. Mein Mann dagegen war viel zu normal und anständig, daß er in seinen Sehnsüchten und Phantasien weiter gekommen wäre, als das Kabuff hier einzurichten, um es ganz für sich zu haben, wenn er miese Laune hatte und beleidigt war. Er hatte sein ganz privates Mieselaune-Zimmer, bis zu seinem Tod, ich aber setzte da nie einen Fuß hinein und vermiete es an andere Leute, die einen ähnlichen Zufluchtsort brauchen. Was wolltest du noch mal damit machen?

      Ich sagte, daß ich daran gedacht hätte, es zum Schreiben oder zum Meditieren zu benutzen.

      Ja, das ist eine gescheite und moderne Beschäftigung, sagte sie. Jetzt sehe ich, daß du eine Menge Kraftpunkte hast.

      Übrigens bin ich Lehrer, sagte ich.

      Sie sagte »Ja«, und ich dachte, daß sie noch hinzufügen wollte: »Das ist gescheit, weil die Lehrer eine Unzahl Kraftpunkte haben«, doch sie wurde plötzlich geistesabwesend und schien das Interesse ebenso verloren zu haben wie jemand, der sicher zu sein meint, daß er den anderen kein Wort mehr zu glauben braucht, alles ist unwahr, und er weiß es besser.

      Im Benehmen der alten Frau war eher der Stil einer vergangenen Zeit als der Formbruch und die Gekünsteltheit der heutigen Zeit, die durch ihr ständiges Hin und Her jede Art von Zeit tilgt. Später sollte sich noch heraussteilen, daß sie niemals, weder zu Zeiten noch zu Unzeiten, im Keller herumschnüffelte, obwohl sie natürlich manchmal herunterkam, um in irgendwelche Schachteln zu schauen. So wird es auf der Erde bleiben, solange es Schachteln mit Krimskrams und alte Leute gibt. Ich sollte noch erfahren, wie gut es sein kann, sich zu lieben, während alte Frauen gerade auf der anderen Seite der Wand des Genießens nach altem Kram schauen oder darin herumsuchen, es ist, als ob man liebenswürdig gegen die weibliche Natur sündigte und sich gegen die Autoritäten auflehnte. Die alten Frauen wissen undeutlich, was auf der anderen Seite der Trennwand los ist, sie bekommen es durch den Instinkt mit und freuen sich, daß man sich endlich den Pflichten verweigert. Deshalb ist es wunderbar, mit Unterstützung der alten Weiber in solche gleichermaßen seltenen und schwierigen Situationen zu kommen.

      Ich spürte, daß sie am liebsten wollte, daß ich meine Frau in einen tiefen Brunnen hinunterwarf, und sie mir und meinem Kumpan beim Liebesspiel am Brunnenrand zusehen durfte, während ich mich über den Brunnen beugte und so tat, als ob ich sie aus dem Wasser retten würde. Ich dachte bei mir: »Die Alte hätte gerne, daß meine Frau glaubt, meine Schreie wären Angstschreie, weil sie im kalten Wasser ist, daß ich Angst habe, sie würde aufgeben zu strampeln und ertrinken, doch die Alte amüsiert sich, und trotz ihrer Blindheit und Taubheit sieht und hört sie, daß die Schreie durch etwas anderes ausgelöst werden. Ich ertränke die Sorgen, während ich die Ehefrau ertränke. Das amüsiert die Alte. Doch ich bin kein Mörder, außer vielleicht ein theoretischer Mörder, sondern ein Mensch, der seine Pflichten nach festen Regeln erfüllt, obwohl ich sie umgehe und mich im Sonnensystem der Sittlichkeit nicht ganz auf der rechten Bahn halten kann.«

      Gesegnet sei die Natur, die ihr Sonnensystem vergißt, sagt die Alte zum Schluß.

      Wenn ich der armen Alten, die an mich vermietet, über den Weg laufe, tut sie, als ob sie mich nicht sieht, und erwidert nichts, wenn ich sie grüße. Andererseits nimmt sie am Letzten jeden Monats die Miete entgegen, entschieden, aber uninteressiert. Ich habe jedesmal Angst davor und denke, daß sie mir die Leviten liest oder mir kündigt, was sie nie tut. Trotzdem schlägt mein Herz heftig, wenn ich anklopfe und sie anscheinend schon gespannt auf die Bezahlung gewartet hat, doch sie öffnet die Tür nie mehr als gerade nötig, so daß sie einen Arm durch den Spalt stecken und das Geld entgegennehmen kann. Dann reicht sie mir die Quittung, die sie bereithält, und schlägt unter beträchtlichem Lärm die Tür zu.

      Dann hallt der Knall im Takt des Herzschlags und eines fürchterlichen Schuldgefühls wider, doch das Verwunderlichste und Schlimmste dabei ist, daß trotz des Knalls – oder vielleicht gerade deswegen – in mir ein fast unwiderstehliches Verlangen erwacht, der Alten die Wahrheit zu sagen und um Trost oder Verständnis zu betteln, obwohl ich weiß, daß es in solchen Dingen nicht möglich ist, von anderen Trost oder Verständnis zu bekommen. Jeder Mensch muß mit seinen Gefühlen leben, das Leben leben, das er sich gewählt hat, und den Attacken, die eher von innen her gegen ihn und seine Zweifel erfolgen als von der Umgebung, zum Opfer fallen, falls es so kommen sollte, oder ihnen standhalten, denn es gibt kaum etwas so Schwächliches, daß es nicht die Attacken von etwas anderem als sich selbst abwehrt.

      Zunächst war am auffälligsten, wie schrecklich die Stille im Haus war. Als ich versuchte herauszufinden, ob die Alte mich ausspionierte, und ich still dasaß und kaum zu atmen wagte, dachte ich, das Haus würde unter der Last der Stille zusammenbrechen und über mir einstürzen, bersten, nur um die Stille im Haus und die Unruhe in meiner Brust zu zerreißen. Ich konnte kaum atmen vor erstickender Ruhe und dachte:

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