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Tanz- und Liebesstunde. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Tanz- und Liebesstunde
Год выпуска 0
isbn 9788711461440
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wissen konnte er es nicht, aber er ahnte, daß er irgendwo in Ungnade gefallen war, als man ihn nicht, wie er erwarten durfte, in den Generalstab zurückberief, sondern als Kommandanten in diese kleine Burg versetzte – sein Name wurde zum bösen Omen. Die pathetisch klingende Begründung, seine Aufgabe sei es, die gefährlichsten Feinde des Reiches aus ganz Europa zu bewachen, die entweder zum Tode verurteilt waren oder ganz im Gegenteil in dieser Isolation als Objekte eines möglichen politischen Kuhhandels heil überleben sollten – verbarg sich da nicht etwa der landesverräterische Gedanke einer deutschen Niederlage? –, konnte an der Tatsache nichts ändern, daß man einen Soldaten jählings zum Kerkermeister gemacht hatte.
Das war hart. Es traf ihn schwerer als die Splitter der Mine, beschädigte aber nicht seine Seele. Er war überzeugt, daß er in den zwanzig Jahren, die er der Bewegung diente, in den elf Jahren, die er ihr Mitglied war, und in mehr als vier Kriegsjahren nicht nur keinen Menschen umgebracht oder unrechtmäßig hatte umbringen lassen, sondern auch seine Träume und seinen menschlichen Anstand durch blutigen Sumpf hindurch gerettet hatte. Das konnte auch seinen Vorgesetzten nicht verborgen geblieben sein. Er hatte sich langsam zu der Überzeugung durchgerungen, daß darin wohl auch der Sinn dieses befremdlichen Kommandos zu suchen war. Dieser scheinbar verlorene Posten, auf dem sein Befehl Gesetz war, ermöglichte es ihm vorzuführen, daß die deutsche Gerechtigkeit streng, aber menschlich sein konnte.
So, wie er war, setzte er die Existenz vieler ähnlich Denkender voraus, die sich nach dem Vorbild des Führers richteten. Seine Fronterfahrung hatte es ihm erlaubt, den weiteren Verlauf des Rußlandfeldzugs realistisch einzuschätzen. Der Rückzug, nach Stalingrad unvermeidlich, mußte vorübergehend Panik auslösen, die alle Parasiten am künftigen Deutschland, jenen trüben Abschaum von Fanatikern und Zynikern an den Fronten und im Hinterland, aufdeckt und wegschwemmt. Und des Führers Getreue werden dann unter seinem Kommando mit neuer Begeisterung und fürchterlichen Waffen die rote Lawine zum Stillstand bringen, einen würdevollen Frieden mit den Staaten der westlichen Kultur schließen, mit dem Endsieg über die Russen die Welt vor dem Bolschewismus retten und ihr für Jahrhunderte eine Pax Germanica – den Deutschen Frieden zu bescheren.
Er war kein Weichling. Schickte er einerseits deutsche Männer wegen disziplinarischer Verstöße an die Front, so verhielt er sich gegenüber jenen um so weniger sentimental, die sein Volk daran hinderten, seine historische Mission zu vollenden. Todesurteile der Gerichtshöfe in Oslo, Prag, Paris und vielen anderen Städten ließ er auf vorgeschriebene Weise in der vorgeschriebenen Frist vollstrecken. Das Verschulden prüfte er nicht nach, dazu war er nicht befugt, und die rechtens Verurteilten erregten bei ihm kein Mitleid, solange er nicht einem formellen Fehler auf die Spur kam.
Nahm er jedoch die geringste Unstimmigkeit wahr – und als ihm aufging, daß sein Stellvertreter Grube zu den unzuverlässigen Zynikern gehörte, überprüfte er die Todesurteile persönlich –, legte er kompromißlos gegen die Exekution sein Veto ein. Der Chef der Prager Gestapo, dem zu Ohren kam, daß eine kommunistische Agitatorin nur deswegen nicht hingerichtet worden war, weil sie in den Begleitpapieren irrtümlich einen Tag älter als in der Urteilsausfertigung angegeben war, kam höchstpersönlich angereist, um diesem beschissenen Bürokraten einzuheizen. Er fand heraus, daß seine Leute eine andere Person, eine Gemüsefrau und Konfidentin, zum Schein wegen geringfügiger Schiebereien eingesperrt, vor die Gewehrläufe geschickt hatten, und konnte sich bei dem Festungskommandanten gar nicht genug entschuldigen.
Kleinburger hatte gleich in den ersten drei Tagen seiner hiesigen Tätigkeit nach und nach allen drei Wachmannschaften zu verstehen gegeben, was er bedingungslos verlangte. Unter anderen Selbstverständlichkeiten auch die strengste Einhaltung der Gefängnisordnung seitens des Wachpersonals. Alle drei Ansprachen beendete er mit denselben Worten.
«Offiziere, Unteroffiziere, Männer der SS! In seinem Werk ‹Mein Kampf› hat unser Führer klar und für jeden verständlich dargelegt, welche Eigenschaften ein deutscher Mann besitzen muß, damit seine Rasse Anspruch auf Weltherrschaft hat. Die harten Kriegsjahre sind eine Feuerprobe, die alles verbrennen soll, was Plutokraten und Judenbolschewisten in die deutsche Seele gesät haben. Unser Volk muß die Verkörperung der unbesiegbaren Kraft werden. Ihr untrennbarer Bestandteil ist auch die Gesetzlichkeit. Ein Herr bestraft seinen Hund streng, aber gerecht, will er dessen Ergebenheit oder mindestens seine treuen Dienste nicht verlieren. Die hier festgesetzten Personen, ob in Schutzhaft genommen oder zur höchsten Strafe verurteilt, auf deren Bestätigung und Vollstreckung sie hier warten, haben die deutsche Strenge bereits kennengelernt. Aus unserem Verhalten ihnen gegenüber müssen sie begreifen, daß sie sich einer neuen Zivilisation barbarisch widersetzt haben, die wir hier verkörpern. Soldaten des Führers! Nehmt meine Worte nicht auf die leichte Schulter. Ich sage das ein für allemal, denn ich bin es nicht gewohnt, mich zu wiederholen, und vor allem: Wer die Ideen des Führers jetzt nicht verstanden hat, der wird sie nie verstehen können. Die Folgen hat sich dann jeder selbst zuzuschreiben!»
Die Männer der Wachtruppe hörten eine solche Rede zum ersten Mal. Dafür hatten sie schon mehr als ein Großmaul erlebt, das mit ähnlichen Phrasen zu verdecken suchte, daß es weit hinten in der Etappe, mit allen ihren Annehmlichkeiten, Privilegien und Vorzügen, überleben durfte. Deshalb machten sie unbeirrt weiter. Für die meisten von ihnen waren die Gefangenen nur rechtloses Vieh, an dem sie ihre Wut und Ängste auslassen konnten, die ihnen die Meldungen von der Front, die Briefe aus dem zerbombten Reich oder aber die Verluste im Casino einjagten. Ein paar Sadisten befriedigten hier ihre perversen Gelüste.
Am siebten Tag nach Antritt des neuen Kommandanten erhielten ein Offizier, fünf Unteroffiziere und elf Männer die Anweisung, ihre Siebensachen zusammenzupacken und sich beim Ersatztruppenteil der Waffen-SS in Aussig an der Elbe zu melden. Was das bedeutete, wußten sie, und auch, daß über die meisten von ihnen, ehe ihre eventuelle Beschwerde verhandelt würde, bereits Gras gewachsen war. Fluchen half nicht, sie konnten nur beten, falls sie es noch konnten. Als Kleinburger am achten Tag unterwegs zu seinem Dienstzimmer war, wußte er, daß zumindest in seiner kleinen Garnison deutsche Ordnung herrschte.
Jetzt geht er wieder die Lindenallee entlang, und wie immer, seit er nicht mehr laufen kann, atmet er in tiefen Zügen frische Luft ein, die heute nach welkem Heu duftet. Erstaunlicherweise trübten keine Gewissensbisse die Ankunft der Tochter, und die zärtliche Nachtstunde mit Trudl ließ ihn seine Verkrüppelung vergessen. Nicht einmal die Prothesen schmerzen heute, und außerdem freut er sich auf die Überraschung, die Gertrud Punkt acht erleben soll. Als er davon erfahren hatte, wollte er das Vorhaben verbieten, als unerlaubten Mißbrauch der Mannschaft zu Privatzwecken. Er erfuhr jedoch gleich, daß die Festungsfrauen die Abgeltung der Unkosten für die Mitwirkenden ordnungsgemäß beim Regimentsstab in Leideneritz bezahlt hatten, und ließ dann der Sache gern ihren Lauf.
Um so mehr geht ihm das zweite Versprechen im Kopf herum, das er Gertrud vor einer Woche gegeben hatte. Schon der bloße Gedanke an Kolatschek hob ihm jedesmal den Magen. Hielt er, wie er sie bezeichnete, Fanatiker und Zyniker für das größte Unglück der Bewegung, so verkörperte für ihn Kolatschek deren Verderbnis. Er wußte, daß jeder Umsturz auch den moralischen Abschaum hochspült, es berührte ihn jedoch peinlich, daß dieser sich in erster Linie im Sicherheitsdienst breitmachte.
Grundsätzlich war er für ein Europa ohne Juden, seit ihm verständlich gemacht worden war, daß sie nach den Worten eines deutschen Historikers, den der Führer oft zitierte, ein «Ferment der Dekomposition» seien – Kleinburger hatte sich diese magische Formel eingeprägt und benutzte sie auch gern –, eine stete Bedrohung der nationalen Gesellschaften, die sie für ihre gewinnsüchtigen Ziele zu gegenseitigem Blutvergießen aufhetzten. Als Einzelne waren die Juden trotzdem für ihn Menschen, denen die zivilisierte Welt so manches verdankte. Deshalb war er mit ihrer Konzentration in einer Art Ost-Israel – ja, und warum nicht gerade im Generalgouvernement? – einverstanden, oder in Galizien, wo sie seit jeher in großen Kommunitäten gelebt hatten.
Die immer wieder auftauchenden Gerüchte, sie würden systematisch ausgerottet, hielt er für zionistische Propaganda. Die sollte dem Reich in den Augen der natürlichen Verbündeten im Westen schaden, die sich – für beide Seiten gleichermaßen