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Tanz- und Liebesstunde. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Tanz- und Liebesstunde
Год выпуска 0
isbn 9788711461440
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Dienst, den beide Kleinburgers ihrem Führer Adolf Hitler und seinen verfolgten Anhängern ebenso unauffällig wie unschätzbar leisteten, währte viele Jahre. Abwechselnd und gleichzeitig waren sie Boten, gewährten gesuchten Parteigenossen Unterschlupf, versteckten verbotene Drucksachen und Waffen. Belohnung war gelegentlich ein Wort des Dankes – die Geldquellen waren längst versiegt: Wer wollte schon eine Handvoll Abenteurer ohne Chance und ohne Zukunft unterstützen. Die Druckereien waren inzwischen politisch fest in der Hand von Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Betriebsleitung hatte Karl gebeten, Mitglied einer der beiden Parteien zu werden, gleichviel welcher, nur damit er in seiner Funktion verbleiben konnte. Auch die Bewegung riet, es zum Schein zu tun. Das lehnte er ab, weil er seiner Überzeugung nach dazu nicht fähig war. Er wußte zu schweigen, nicht jedoch zu lügen. Beim nächsten Konflikt zog er es vor zu kündigen.
Er hielt sich lieber mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, und Gertrud half ihm tapfer dabei. Als aber Christine geboren wurde, konnten sie nicht länger von der Hand in den Mund leben. Sechsundzwanzigjährig meldete Karl sich zur Reichswehr, die Berufsunteroffiziere suchte, und wurde angenommen. Mehr als der Heldentod seines Vaters sprach für den Anwärter, daß er politisch ein unbeschriebenes Blatt war. Für das Heer, das in einem von revolutionären Wirren geschüttelten Land über den Parteien stehen mußte, war er einer Erscheinung vergleichbar, einer sechsundzwanzigjährigen Jungfrau.
Politische Diskussionen gehörten nicht zum soldatischen Handwerk, und Karls Ansicht von der Notwendigkeit einer Wiedergutmachung der Schmach von Versailles unterschied sich im übrigen nicht von der Meinung der meisten Berufssoldaten. Auch wenn einer seiner Vorgesetzten ahnen sollte, daß mit Kleinburger ein gläubiger Anhänger Hitlers in das Berufsheer gelangt war, überging er das nachsichtig als die unschuldige Marotte eines vorbildlichen Unteroffiziers.
Seine Überlegenheit innerhalb des Vereins stupider Schreihälse von Ausbildern konnte nicht verborgen bleiben. Und als man nachträglich feststellte, daß er Abitur hatte – diese Rubrik fehlte im Fragebogen der Unteroffiziersaspiranten –, schlug man ihn augenblicklich für die Offizierslaufbahn vor.
Nachdem die anhaltende Torheit der Weltmächte, die nicht bereit waren, das Diktat von Versailles zu revidieren, und die Lawine der Weltwirtschaftskrise Adolf Hitler mit atemberaubendem Tempo zur Macht emporgetragen hatten, enttarnte die Bewegung ihre Maulwürfe, um ihren Einfluß im Staatsapparat zu stabilisieren. Die plötzliche Erkenntnis, daß Oberleutnant Kleinburger, bereits Adjutant des Stadtkommandanten von Berlin, ein Nazi war, erfüllte die Stabsoffiziere mit Ekel und Grauen. Der Reichstagsbrand hatte bereits den letzten Kampf entfesselt, der mit unnachsichtiger Vergeltung gegenüber den genauso unbarmherzigen politischen Gegnern von gestern einherging.
Gerade als der bis dahin nazifeindliche Stadtkommandant und sein Stellvertreter beschlossen, daß sie, ausschließlich der Soldatenehre verpflichtet, zuerst den Verräter und dann sich selbst erschießen würden, trat er zu ihnen, erwies ihnen feierlich die Ehrenbezeigung und übermittelte den Dank des Führers für ihre Treue zu Volk und Reich. Sie hatten der Aufforderung falscher Demokraten nicht Folge geleistet, das Rad der deutschen Geschichte mit Waffengewalt zurückzudrehen. Dann bat er gehorsamst, sich entfernen und seine bisherigen Aufgaben weiter erfüllen zu dürfen.
Dabei blieb es nicht lange, die Beförderungen ließen nicht auf sich warten, obwohl er nie darum nachgesucht hatte. Auch wenn es sich bald herumsprach, daß sein Parteibuch eine dreistellige Nummer hatte – bezeichnend war, daß man es ihm per Post geschickt hatte, weil er nie einer Ortsgruppe der NSDAP angehörte –, war ihm mit der Zeit der Ruf eines «anständigen Nazis» geblieben. Wahrscheinlich deshalb erlangte er später nie den Rang eines Standartenführers, der ihm längst zugestanden hätte.
Für die Funktionäre blieb er weiterhin ein sonderbarer Vogel, der für sie trotzdem unentbehrlich wurde, da er nie müde war, der Partei lebenswichtige Dienste zu leisten. Der weitverzweigte, für Zivilisten schwer faßbare Organismus des Heeres ließ sich unmöglich so einfach vereinnahmen wie alle anderen staatlichen Institutionen oder gleichschalten wie die Wirtschaft. Nur Spezialisten, die viele Jahre darin verbracht hatten, beherrschten ihn. Männer von Kleinburgers Format, die zu erkennen vermochten, ob er den Bedürfnissen der Bewegung nicht zu dienen aufhörte oder sich gar an einem Putsch gegen sie beteiligte, waren rar wie Nickel, eine beliebte Floskel aus jener Zeit, als es der Reichswehr noch immer verwehrt war, sich anständig zu bewaffnen.
Deshalb blieben ihm die innerparteilichen Kämpfe erspart, die mit der berüchtigten Nacht der langen Messer ihren Höhepunkt fanden. An jenem Junitag 1934, als Tamtams die Nachricht von der Exekution zahlreicher hoher SA-Führer in München und Berlin verbreiteten, die einem Gemetzel gleichzukommen schien, erklärte Kleinburger auf einer Besprechung mit Stabsoffizieren – er war inzwischen avanciert –, der Führer sei berufen, Deutschland die Ehre zurückzugeben; wer immer sie gegen Schweinemist eintausche, verdiene das Schlachtmesser. Erwartungsgemäß befriedigten und beruhigten gerade diese ungewohnt scharfen Worte die Soldaten. Einen «grausamen Ehrenmann», nannte ihn ein Stabsoffizier, und das Wort machte die Runde.
Bei Kriegsausbruch meldete er sich wiederholt zur Front, das glaubte er, dem Vater schuldig zu sein. Die Partei wollte ihn aber auch weiterhin als ihren Aufseher in der Höhle des Löwen haben. So ergab es sich, daß ihn seine Frau und die Tochter, die soeben an der Schwelle der Pubertät angelangt war, oft bei sich hatten. Mit ihm gemeinsam kletterte auch Gertrud in all den Jahren auf der gesellschaftlichen Leiter nach oben, hielt trotzdem an seinen Prinzipien fest, die sie beide der Tochter einzuprägen suchten. Sich an sie zu halten war schwer in Zeiten wie diesen, die die niedrigsten menschlichen Triebe und Sehnsüchte begünstigten, aber das gelebte Vorbild der Eltern trug zum Gelingen entscheidend bei.
Der unerwartete Rückschlag vor Moskau im Spätherbst 1941 hatte die Front erschüttert. Männer wie Kleinburger, die das Vertrauen in Führer und Sieg verbreiteten, wurden plötzlich ganz vorne gebraucht. So wurde Karl zur Waffen-SS versetzt und zum stellvertretenden Divisionsführer der SS-Infanteriedivision «Das Reich» ernannt. Die Kragenspiegel seiner Uniform zierten seither silberfarbene Knöpfe, und an die Stelle des Rangs eines Oberstleutnants trat der ihm entsprechende eines Obersturmbannführers.
Auf die Härte der russischen Front war er durch seine asketische Natur vorbereitet. Strapazen und Gefahren ertrug er mit einer solchen Selbstverständlichkeit, daß niemand in ihm eine «Stabsratte» vermutete. Seine Ankunft hatte die Moral der Frontoffiziere, die die Bewegung längst nur noch an den Berliner Bonzen maßen, beachtlich gestärkt. Dieser Mann, weder ein Fanatiker noch ein Zyniker, imponierte ihnen nicht nur durch seine Ruhe und Beherrschtheit, sondern auch, weil er die Lagekarte genausogut beherrschte, wie er über markige Schillerworte verfügte; Bücher gehörten bei ihm zur eisernen Ration.
Was ihn dagegen beunruhigte, war nicht die zutage tretende Verzagtheit, in der Lage dieser steckengebliebenen und frierenden Armee nur zu begreiflich, sondern die Fälle barbarischer Unmenschlichkeit gegenüber dem tatsächlichen und dem mutmaßlichen Feind, mit der die Truppe an diesem oder jenem Abschnitt ihre Depressionen auszugleichen suchte. Als er zum ersten Mal erfuhr, daß in einem niedergebrannten Dorf, kurz zuvor von den Russen verlassen, alte Frauen, die sich in Erdhütten verkrochen hatten, ohne Urteil aufgehängt worden waren, übergab er den befehlshabenden Offizier dem Kriegsgericht.
Dem Divisionskommandeur, der ihn auf den geheimen Befehl des Armeeführers zur Sonderbehandlung von Banditen hinwies, antwortete er heftiger, als es seine Art war, kein deutscher Offizier könne dabei Mord an Greisinnen im Sinn gehabt haben; sollte sich dergleichen wiederholen, werde er dem Führer persönlich Meldung erstatten. Zum ersten Mal seit Landsberger Zeiten hatte er sich auf ihn berufen. Man brachte diese Drohung schleunigst mit der Nummer seines Parteibuchs in Zusammenhang und war verunsichert. Die ungesetzlichen Eigenmächtigkeiten im Aktionsradius der Division nahmen tatsächlich ab, weil man sie jetzt langwierig durch Gerichtsverfahren legalisieren mußte.
Damit hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben Feinde gemacht und den Spitznamen «Onkel Wanja» bekommen. Als dann unter seinem Kübelwagen eine von Partisanen gelegte