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werden mußte, ein Sandhaufen, der anders zu berechnen war, und du sahst und hörtest nichts mehr und murmeltest kaum eine Entschuldigung und hetztest zurück in dein Amt mitten in der Nacht, und wenn du nach Stunden wiederkamst, warst du mürrisch und zu Tode erschöpft und schliefst hier im Sessel ein, indes ich schon lange schlief oder nicht schlafen konnte und aufwachte oder noch wach lag und dich mit Mühe zu überreden hatte, dich vernünftig niederzulegen. Und früh ging dann die gleiche Hetze von neuem los, Tag für Tag, Woche für Woche, kaum daß ein Sonntag dir notgedrungen etwas Interesse für deine Wohnung oder gar für mich abnötigte ...“

      „Ich weiß, Perchta“, murrte er zerknirscht, hob dann aber die Stimme, kam ihr einen Schritt näher, hob auch die Hände ein wenig, diese Hände, die sie zu lieben immer vorgegeben hatte, denn sie waren feiner, als sie eigentlich zu seiner massigen Erscheinung paßten. „Aber jetzt ist es geschafft, mein Deern, nur noch ein paar Nichtigkeiten sind durchzupauken, und auch das ist für die Katz. Die Bagger sind schon beordert, ich werde mich an Ort und Stelle noch einmal von den abgesteckten Vermessungen zu überzeugen haben; es ist alles auf dem Sprung zu beginnen, damit ich endlich einmal Ferien machen kann.“

      „Das hast du schon vor einem Jahre gesagt, Arnold“, erwiderte sie, und da sie seinen Namen nicht wie gewöhnlich abwandelte, ermaß er ihre Entschlossenheit, sich nicht zurückhalten zu lassen. Seine Hände, noch eben bereit, sie so zärtlich als besitzanzeigend an den Schultern zu packen, sanken bleiern nieder, indes sie hastig fortfuhr: „Und so wird es immer weitergehen. Du wirst verstehn, daß ich endlich einmal einen anderen Inhalt brauche, als nur von fern und immer ferner von deiner Arbeit zu hören.“

      „Ich wollte dich damit verschonen“, antwortete er dumpf.

      Sie lachte trübe auf. „Ich weiß, du meinst, ich habe keine Ahnung, und wirklich ist es mir auch gleichgültig, ob der neue Hafen drei oder zehn Kilometer lang wird und die Kaimauern aus Basalt oder Beton oder grünem Käse bestehen. Ich habe keinen Hafen, sondern dich geheiratet.“

      „Das ist dasselbe“, knurrte er hilflos.

      „Das hast du mir anfangs zu verschleiern gewußt“, sagte sie bitter: „Was bleibt mir denn übrig? Ich hab mich notgedrungen auf meinen Hafen besonnen, und das ist die Musik, und mein Schiff die Violine. Aber hier, in diesem verärgert mithorchenden Haus und in diesem Leerlauf des vergeblichen Bereitseins für dich und zwischen diesen von allen Börtern und Wänden grinsenden Abgeltungen deiner Verbundenheit und dem kalten Andenken deines Zigarrenqualms, hier kann ich nicht spielen, kann nicht üben, kann nicht, kann nicht ...“

      Sie begann verhalten zu schluchzen, und dann, im Takt der erstorbenen Geigenschreie, versetzte sie hastig: „Das ist es, dein Mißtrauen, das bedrückt mich all die Jahre schon. Immer hast du von meinem ersten Konzert geschwärmt, bis ich fürchtete, nie wieder so gut spielen zu können und mir selber nichts mehr zutraute und es schließlich ganz aufgab. Aber nun, wo ich in meiner Verlassenheit mein Instrument wieder hervorgeholt habe, da will und muß ich es noch einmal zwingen. Hörst du? Ich muß es noch einmal zwingen, so wie damals, vor zwanzig, vor dreiundzwanzig Jahren.“

      Tidemunt, mit niedergeschlagenen Augen, knurrte etwas Trostwilliges. Sie aber blickte ihn an, als wolle er sie hindern, und als spreche sie mit sich selber, sagte sie: „Und darum fahre ich jetzt zu meinem alten Lehrer nach Salzburg. Da wird sich hier jemand freuen, endlich ohne Uhrzeit und Heimweg und Trost-Souvenirs und hilflose Entschuldigungen irgendwo nach Belieben zu essen und meinswegen im Büro zu übernachten.“ In Tidemunt schoß ein Unwetter hoch. Er zwang es nieder und lachte gutmütig: „Aber Perchta, bloß wegen der albernen Doppelgriffe und Dissonanzen ...“

      Nun senkte sie die Lider und erwiderte schluckend: „Danach wird es vielleicht wieder weniger langweilig sein zwischen uns.“

      Er versuchte, sie zu packen, aber sie wandte sich ab, ging an den kleinen Tisch, wo das Telefon stand, wählte nervös und bestellte eine Taxe. Ihre Stimme war gefestigt. Danach sagte sie über die Schulter hin: „Du wirst verstehen, daß ich deinen Amtswagen nicht privat benutzen möchte.“

      „Er ist auch schon weg“, sagte er abgekühlt. Er starrte auf die Asche seiner Zigarre, machte eine Handbewegung, als suche er eine Notbremse, setzte sich dann ächzend wieder in den Sessel. Sie schien auf einen Zornausbruch oder eine Tirade zu warten. Jetzt ein gutes, hartes, klares, erlösendes Wort, dachte er, und sie bleibt. Aber er vermochte das rechte nicht zu finden. Und dann sagte sie, und ihre Stimme zitterte ein wenig: „Vielleicht hast du auch schon längst Ersatz.“

      Er schnaufte betroffen. Sie ließ ihm keine Zeit zur Entgegnung. Ein letztes Ventil war gelockert, eine letzte Scheu verflog. Sie warf ihm vor, sein Herz hafte zumindest an irgendeiner Vergangenheit, an ihrer früh verstorbenen Vorgängerin, an der Tochter, die in Kanada geheiratet hatte, an dem Sohn, der aus dem Kriege nicht heimgekehrt war. Und sie beklagte sich — was sie nie zuvor getan — selber keine Kinder zu haben, und warf ihm vor, daß er es nicht entbehre und womöglich bewußt schuld habe.

      Tidemunt ließ alles über sich ergehen. Er saß geduckt und regungslos in der Zange der Sessellehnen. Sie schien noch lange nicht zu Ende, indes Tränen über ihre Wangen liefen, aber da schrillte das Telefon, und sie nahm, jäh abbrechend, den Hörer. Tidemunt vermeinte, in der näselnden Muschel ein männliches Organ zu vernehmen. Er hörte seine Frau mit veränderter, mit freundlicher Stimme antworten: „Ja, ja, gut! Zum nächsten Zug bin ich bestimmt rechtzeitig da.“

      Danach, ohne das klagende Gespräch fortzusetzen, beeilte sie sich, vorm Spiegel nebenan die Tränenspuren zu tilgen. Zwängte dann die Geigenschachtel in eine graue Regenhülle, setzte einen Hut auf, einen schlichten, aber neuen braunen Filz. Ihr Mann hatte sich wiederum erhoben. Er wollte ihr in den Mantel helfen, kam aber schon zu spät. Man vernahm von der Straße herauf das gellende Taxisignal. „Du trägst mir den Koffer wohl eben hinunter?“ bat sie geschäftig.

      Es war kein großes Gepäck. Sie kommt bald zurück, dachte er, und ihm war, als sei er belauert von der fremden Stimme im Telefon. „Hast du denn deine Fahrkarte?“ fragte er: „Und wie ist es mit Geld?“

      „Du denkst plötzlich an alles“, lächelte sie, nahm die Geige und ging hinaus. Schon auf der Treppe sagte sie: „Sogar Schlafwagen. Der kleine Lorns hat alles besorgt. Er hat ein paar Bilder an die Amerikaner verkauft und legt es erst aus. Er fährt sowieso nach München, zur Ausstellung.“

      Der kleine Lorns war einer ihrer Schüler gewesen, hatte aber umgesattelt. Tidemunt hatte Gemälde von ihm im Kunstverein bewundern müssen, hatte auch eine Landschaft zu Bertas Geburtstag gekauft, und sie hing im Schlafzimmer. Die wilden Meeresstrandstudien im Wohnzimmer waren seine eigenen frühen Erzeugnisse.

      Im Hausflur, dort, wo die Töne der Geige dem nach Hause Kommenden so zirpend begegnet waren, drehte die Künstlerin sich leichthin um. „Ich wollte es dir erst im letzten Augenblick sagen, Arnus; wollte dich nicht in deiner Arbeit stören, hätte dir auch lieber einen Zettel hingelegt, als so mit dir zu streiten, und fast hätte ichs überhaupt verschwitzt, wenn du nicht so unversehens gekommen wärst.“

      Tidemunt gab den Koffer an den Taximann. Dann sagte er höflich: „Gestritten haben wir nicht, wir waren einseitig deutlich, Berta. Aber ich bring dich trotzdem zum Bahnhof und kann dann gleich weiter ins Büro. Geld schicke ich dir nach Salzburg auf die Post.“

      Sie versetzte rasch: „Nein, heute bleibst du zu Haus, gehst in die Küche, dort steht alles, was du für ein vernünftiges Abendbrot brauchst, und Tee steht noch warm auf der Heizung und eine Flasche Bier in der Speisekammer. Nun ... leb wohl und grüß deinen Hafen!“

      Sie kam dicht an ihn heran, schob den Schleier hoch, legte die behandschuhte Rechte auf seinen Arm, schnupperte, als wolle sie seinen Tabakduft mit auf die Reise nehmen, und hauchte einen Kuß an sein Ohr hin, stand dann eine Sekunde wie versteint, so, als verpresse sie ein lautes Aufweinen. Schon war er im Begriff, sie ungeachtet des Taxikutschers an sich zu reißen, da löste sie sich, sagte leise und bitter: „Daß es so weit kommen mußte ...“ und verzog sich, den Geigenkasten wie einen Schild vor sich haltend, rücklings in den Wagen.

      3

      Tidemunt ging wieder hinauf.

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