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Das Anthropozän lernen und lehren. Группа авторов
Читать онлайн.Название Das Anthropozän lernen und lehren
Год выпуска 0
isbn 9783706560832
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Pädagogik für Niederösterreich
Издательство Bookwire
Denn die vier Wurzeln aller Dinge höre zuerst: Zeus der schimmernde und Hera die Leben-Spendende sowie Aidoneus und Nestis, die durch ihre Tränen irdisches Quellwasser fließen lässt. (31B6)
Die vier Elemente und ihre mythischen Bedeutungsdimensionen wurden oft in allegorischen Darstellungen transportiert, auch so wurde ihr Bildungsgut lebendig gehalten:
Abbildung 15: Antonius Wierix (um 1552–1624, Antwerpen), Elemente: Das Wasser, Kupferstich. Die Subscriptio lautet: „Pflanzen und Felder begrünen sich durch meine Feuchtigkeit und durch meine Gabe schenke ich den Fischen das Leben.“ 64
Der Triumphwagen wird von den Meeresrossen Poseidons gezogen, der Wagenlenker treibt sie mit Windhauch an und symbolisiert damit die dynamische Kraft. Die Wasser-Tierkreiszeichen sind vorhanden: Steinbock, Wassermann und Fische. Poseidon tritt als doppelköpfiger König mit einem Schlüssel auf: Er ist Meeresbeherrscher und Erderschütterer. Hinter ihm steht seine Gattin Amphitrite und hält seinen Dreizack (oder es ist eine Flussgöttin, worauf der Krug als Flusssymbol in ihrer Linken hindeuten würde). Peitschende Wellen und drohende Wolken belegen eindrucksvoll seine Macht.
Antonius Wierix hat in dieser Serie entsprechende Kupferstiche auch für die anderen Elemente – Feuer, Erde, Luft – angefertigt.65
Auf ganz andere Weise ist zur selben Zeit und auch in Antwerpen der Maler Joachim de Beuckelaer mit den Motiven der vier Elemente umgegangen; in allen vieren zeigt er farbenfreudige Alltagsszenen, das Bild zum Element Wasser beispielsweise einen Fischmarkt:
Abbildung 16: Joachim De Beuckelaer (um 1530–1573/74), Die vier Elemente: Wasser. Fischmarkt mit dem wunderbaren Fischzug im Hintergrund 66 ; alle genannten Gemälde: National Gallery London 67
Die Gemälde zu den vier Elementen (Feuer: eine Küchenszene mit Jesus bei Maria und Martha im Hintergrund; Wasser: siehe oben; Erde: Der Gemüsemarkt mit Flucht nach Ägypten im Hintergrund; Luft: Geflügelmarkt mit Gleichnis vom verlorenen Sohn im Hintergrund) sind in den Jahren 1569 und 1570 entstanden.
Für Empedokles repräsentieren die vier Elemente göttliche Naturmächte mit unterschiedlichen, sogar gegensätzlichen Charakteren, aber gleich an Stärke und von gleich alter Abstammung, und abwechselnd gewinnen Einzelne an Stärke oder treten wieder zurück. Diese Tendenzen des Mit- und Gegeneinanders, des Sich-Anziehens und -Abstoßens repräsentieren das lebendige Prinzip dieser Vierheit, die eine Einheit ist. Die Spannungen, die dabei entstehen, werden als Liebe und Hass bezeichnet – symptomatisch für Empedokles’ poetische, aber oft missverständliche Ausdrucksweise68:
Abwechselnd herrschen [die vier Elemente] im Umschwung des Kreises und vergehen und entstehen in und aus einander in festbestimmtem Wechsel. Denn nur diese [vier Elemente] gibt es: durcheinander laufend werden sie zu Menschen und anderer Tiere Geschlechtern; bald vereinigen sich alle zu einer Ordnung in Liebe, bald auch trennen sich wieder die einzelnen [Elemente] im Hasse des Streites, bis sie, kaum zum All-Einen zusammengewachsen, [wieder] unterliegen.69
Der periodische Wechsel von Dominanz und Schwäche, dieses wogende Durcheinander, führt bei Empedokles nie zu Ausgleich und Stillstand. Damit näherte er sich nicht nur den aristotelischen Vorstellungen von der Konstitution der organischen Stoffe, sondern wies voraus in Vorstellungen von Materie-Konsitutionen, die von Attraktion und Repulsion bestimmt werden und in der Tradition des Dynamismus (Leibniz, Bošković, Kant, Schelling) ihren Ausdruck fanden, bis zum Atombegriff der modernen Teilchenphysik.70
Exkurs: Paul Klee und das Wasser
Ähnlichen Fragen wie Empedokles widmete sich fast zweieinhalb Jahrtausende später Paul Klee (1879–1940), und auch er bewegte sich in allen Elementen und Zonen des Wirklichen – des Menschlichen, Tierischen, Pflanzlichen, Dinglichen –, als bildender Künstler näherte er sich ihnen zeichnend und malend. Auch er dachte über die wahrnehmbare Wirklichkeit hinaus, es ging ihm nicht um Abbildung, sondern um die nicht über die Sinne erfassbaren Eigenschaften des Natürlichen, und er forderte vom Maler: „Die sichtbare Welt ist in ihrer Sichtbarkeit für ihn erschöpft. Er muss fortschreiten zum Bild“71, zum Unsichtbaren, und das waren für ihn die Formkräfte der Natur, die Kräfte, die das Lebendige lebendig machen. Nicht um „Form als Erscheinung“, sondern „Form im Werden“, als Genesis, ging es ihm, um die Natur als sichtbare Form unsichtbarer Kräfte und Mächte. Eine besondere Nähe entwickelte er zum Wasser als Zwischenreich und Zone, wo sich das Irdisch-Gewohnte mit dem Unwirklichen und Unglaublichen vermischt, und zu Fischen in ihrer elementaren Form und verschwenderischen Formenvielfalt. Diese erweiterte er noch mit Fantasie und Humor und war auf diese Weise auch Schöpfer. „Satire darf kein überflüssiger Unmut sein, sondern Unmut in Hinblick auf das Höhere. Lächerlicher Mensch, göttlicher Gott.“72
Wie so viele Künstler hatte auch er auf seinen Reisen wesentliche Impulse für seine Arbeit erhalten, insbesondere auf seiner Tunis-Reise 1914. „Die Farbe hat mich. Ich bin Maler“, kommentierte er damals einen wesentlichen Entwicklungsschritt.73
Abbildung 17: Paul Klee, Fische (1921) 74
Das freie Element, das Meer, musste früher oder später ein Wesen seiner Art hervorbringen, ein äußerst freies, gleitendes, wogendes, fließendes Wesen, so fließend wie die Flut selbst. Doch musste seine bewundernswerte Beweglichkeit sich einem noch größeren inneren Wunder verdanken, einem zentralen, feinen und starken, sehr elastischen Organismus, wie bis dahin kein Tier noch einen vergleichbaren besaß.75
Alexander von Humboldt
Mit Platon (427–347 v.Chr.) und Aristoteles (384–322 v. Chr.) und dem Übergang vom Mythos zum Logos begann die Verwissenschaftlichung der Vier-Elemente-Lehre – sie büßte an Farbigkeit und Skurrilität ein –, ihre Wanderschaft (nach Ägypten und zurück nach Europa) und ihre Weiterentwicklung, sodass Alexander von Humboldt Jahrhunderte später behaupten konnte:
Empedocles behauptete die Gleichartigkeit aller Materie, und bezeichnete die zuerst von ihm aufgestellten 4 Elemente als einen Zustand der Materie. Diese 4 Elemente haben durch viele Jahrhunderte sich erhalten, und erst in neuerer Zeit76 ist es mit Mühe gelungen, sich davon los zu machen.77