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der natürlichen Umwelt infrage, indem Gebäude und Infrastruktur nicht mehr unabhängig oder abgegrenzt von „Naturphänomenen“ entworfen, gebaut und erhalten werden können (Allenby & Chester 2018). Das wärmere und nassere Wetter führt zu vermehrter Erosion der Hangseiten um Longyearbyen, weshalb Straßen zeitweise gesperrt und Gebäude evakuiert werden müssen – teilweise auch permanent – wegen der Gefahr von Erdrutschen. Außerdem ist die ganze Stadt auf Permafrost gebaut. Um Setzungsschäden zu verhindern, müssen die Gebäude entweder auf Stelzen oder anderen Metallstrukturen gebaut werden, oder Kühlelemente im Boden haben, sonst dringt die Wärme der Gebäude in den Boden ein und der Permafrost taut auf. Aufgrund der erhöhten Temperaturen auf Svalbard werden die Stelzen heute tiefer in den Permafrostboden, oder so tief bis man auf Fels stößt, gebohrt, um die Stabilität der Gebäude zu gewährleisten. Eine andere Möglichkeit ist es, Gebäude auf justierbare Metallgerüste zu stellen. Durch die Klimaveränderungen wird Svalbard nicht nur wärmer, sondern das Wetter auch feuchter. Diese Kombination führt dazu, dass viele alte Holzstelzen instabil werden und ausgetauscht werden müssen. Eine Anpassungsmaßnahme sind neue Stelzen aus Metall. Viele Gebäude in Longyearbyen wurden bereits neu fundamentiert, und IngenieurInnen sagen vorher, dass dies eine große und teure Aufgabe in den kommenden Jahren sein wird.

      Ein wärmeres und nasseres Klima bedroht auch das physische Kulturerbe von Longyearbyen. Die Stadt wurde als ein Kohleminencamp am Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet. Die Überreste der Kohleminenindustrie stellen im Kontext der heutigen Strukturänderungen hin zu einer postindustriellen Ökonomie basierend auf Tourismus, Serviceindustrie, Forschung und Bildung wichtige „markers of identity“ der Stadt dar. Die hölzernen Stützböcke der ehemaligen Seilbahnen sind im Zentrum und in den Hangseiten über der Stadt zu sehen. Ein wärmeres und nasseres Klima macht die Holzstrukturen morsch und der tauende Permafrostboden in Kombination mit mehr Niederschlag als Regen destabilisiert den Grund, auf dem sie stehen.

      Obwohl hier keine direkte Kausalität besteht, weisen WissenschaftlerInnen darauf hin, dass die Klimaveränderungen das Risiko von Schneelawinen um Longyearbyen erhöhen (Norsk Klimaservicesenter 2019). Seit den zwei schweren Lawinen in 2015 und 2017, die mehrere Häuser zerstörten und zwei Personen töteten, ist die Sicherung von Häusern eine Toppriorität der lokalen Gemeinde geworden. BewohnerInnen in ausgesetzten Gebieten werden regelmäßig evakuiert, und im Winter 2019 wurde damit begonnen, 139 Wohneinheiten abzureißen. Dies trägt maßgeblich zum derzeitigen Wohnungsmangel in Longyearbyen bei. Andere Teile der Siedlung werden derzeit durch Stützverbauungen, Schneezäune und Dämme vor Schnee- und Schlammlawinen gesichert. Aufgrund der Schnee- und Schlammlawinengefahr fühlen sich viele EinwohnerInnen in Longyearbyen nicht mehr sicher in ihrem eigenen Zuhause.

      Zusammenfassung und Konklusion

      Im Zeitalter des Anthropozäns werden die Verschränkungen zwischen Mensch und Natur deutlich und bringen neue Herausforderungen wie den anthropogen verursachten Klimawandel hervor. Anthropogene Emissionen aus niederen Breiten verändern das globale Klima, was zu Veränderungen beispielsweise der arktischen Kryosphäre führt, an die sich die Menschen in der Arktis wiederum anpassen müssen. Diese Wirklichkeit erfordert ein Naturverständnis, das den Menschen und menschliches Handeln nicht als abgegrenzt von, sondern als Teil der Natur versteht. Die Benennung der derzeitigen geologischen Epoche als Anthropozän deutet ein Umdenken von Mensch-Umwelt-Beziehungen in der westlichen Naturwissenschaft an, und das Konzept des Anthropozäns eröffnet eine Diskussion über die Verschränkung von Mensch und Umwelt und die Natur-Kultur-Dichotomie auch außerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften. Die großen Herausforderungen unserer Zeit können nicht mithilfe der Naturwissenschaften und der Technik allein gelöst werden, sondern es bedarf eines grundlegenden Verständnisses des Anthropos, des Menschen, und seiner Lebensweisen, die sowohl die Natur fundamental verändern, als auch von diesen Veränderungen betroffen und beeinflusst werden. Die Kultur- und Sozialanthropologie, die Wissenschaft des Menschen als kulturelles und soziales Wesen, bietet in diesem Zusammenhang sowohl theoretische und konzeptuelle Perspektiven als auch die methodischen Werkzeuge, um die unterschiedlichen menschlichen Lebensweisen im Anthropozän dokumentieren und verstehen zu können.

      Literatur

      Allenby, Brad & Mikhail Chester 2018. Reconceptualizing Infrastructure in the Anthropocene. Issues in Science and Technology 34(3).

      AMAP 2012. Arctic Climate Issues 2011: Changes in Arctic Snow, Water, Ice and Permafrost.

      SWIPA 2011 Overview Report. Oslo: Arctic Monitoring and Assessment Programme.

      Bartsch, Annett & Alexandra Meyer 2017. „Klimawandel in der Arktis: Perspektiven aus den Natur- und Sozialwissenschaften“, in Gertrude Saxinger, Peter Schweitzer & Stefan Donecker (Hg.): Arktis und Subarktis: Geschichte, Kultur und Gesellschaft. Wien: New Academic Press, 166–183.

      Chua, Liana & Hannah Fair 2019. „Anthropocene”, in Felix Stein, Andrew Sanchez, Hildegard Diemberger, Sian Lazar, Joel Robbins, Matei Candea & Rupert Stasch (eds.): The Cambridge Encyclopedia of Anthropology. https://www.anthroencyclopedia.com/entry/anthropocene

      Crutzen, Paul J. & Eugene F. Stoermer 2000. The „Anthropocene”. Global Change Newsletter – The International Geosphere–Biosphere Programme (IGBP): A Study of Global Change of the International Council for Science (ICSU) 41: 17–18.

      Descola, Philippe & Gísli Pálsson (eds.) 1996. Nature and Society. Anthropological Perspectives. London & New York: Routledge.

      Dove, Michael & Carol Carpenter (Hg.) 2009. Environmental Anthropology: A Historical Reader. Oxford: Wiley.

      Ford, James D., Trevor Bell & Dominique St-Hilaire-Gravel 2010. „Vulnerability of Community Infrastructure to Climate Change in Nunavut: A Case Study From Arctic Bay”. In Grete K. Hovelsrud & Barry Smit (eds.): Community Adaptation and Vulnerability in Arctic Regions. Dordrecht, Heidelberg, London, New York: Springer, 107–131.

      Gibson, Hannah & Sita Venkateswar 2015. Anthropological Engagement with the Anthropocene: A Critical Review. Environment and Society: Advances in Research 6: 5–27.

      Hanssen-Bauer, I., E. J. Førland, H. Hisdal, S. Mayer, A.B. Sandsø, A. Sorteberg 2019. Climate in Svalbard 2100 – a knowledge base for climate adaptation. Oslo: Norwegian Environmental Agency.

      Haraway,

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