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ging nach oben, aß ein paar belegte Brote, machte sich einen starken Kaffee. Der Kaffee tat ihr gut, neue Hoffnung erwachte in ihr. Jetzt konnte sie fast über sich lachen. Wie man nur so dumm sein konnte!

      Mehr als einmal war Heinrich doch erst am frühen Nachmittag erschienen, ja, es war eigentlich die Regel, und nur um sie zu sehen, konnte er doch schließlich nicht seinen ganzen Tagesplan über den Haufen werfen. War es denn wichtig, ob er eine Stunde früher oder später kam? Kommen würde er bestimmt, und das war doch die Hauptsache.

      Heinrich kam nicht. Es wurde drei, es wurde vier Uhr, die Ladentür ging auf und zu, die Leihbücherei war voller Menschen, aber Heinrich war nicht unter ihnen.

      Inas erwartungsvolle Spannung steigerte sich fast zur Hysterie. Ihr war, als müßte sie mit dem Kopf gegen die Wand rennen, nur um diesem unerträglichen Zustand ein Ende zu machen. Plötzlich fiel ihr ein, daß er vielleicht anrufen würde. Er hatte noch nie angerufen, aber vielleicht heute. War das Telefon umgeschaltet? Sie ließ die Kunden allein im Laden und rannte die Treppe hinauf.

      Es war alles in Ordnung. Wenn jemand anrief, mußte das Telefon im Laden klingeln. Natürlich, wie konnte es anders sein, sie hatte das noch nie vergessen.

      Sie blickte im Vorübergehen in den Spiegel und stellte fest, daß sie gehetzt und gequält aussah. So durfte sie Heinrich nicht begegnen! Sie zwang sich zur Ruhe, zu einem Lächeln. Sie hätte weinen mögen.

      Als das Telefon klingelte – wirklich und wahrhaftig klingelte – schoß Farbe in ihre Wangen. Das mußte Heinrich sein, anders war es ja gar nicht möglich. Er rief an, weil er nicht kommen konnte, vielleicht rief er sogar an, um sich mit ihr zu verabreden.

      Sie nahm den Hörer nicht gleich ab, bediente weiter, versuchte sich zu sammeln.

      Erst als es das drittemal klingelte, hob sie ab und sagte mit bewußt tiefer Stimme: »Hallo!« in den Apparat.

      »Hallo, Ina! Entschuldige bitte, ich habe doch wahrhaftig ganz vergessen, dir zu sagen …« Es war Verena.

      Ina ließ den Hörer sinken, ihr Mund verzog sich. Verenas Stimme quäkte unverständlich aus dem Telefon.

      Ina sah die Blicke der Kunden auf sich gerichtet und riß sich zusammen. »Ja, Verena …«, sagte sie mit zitternder Stimme.

      »Bist du mir böse?«

      »Nein, natürlich nicht …«

      »Ich komme so früh wie möglich nach Hause!«

      Plötzlich war Ina bei der Sache. »Wieso? Wo gehst du hin?«

      »Aber das habe ich dir doch gerade eben lang und breit erklärt!«

      »Ich habe kein Wort verstanden!«

      »Ich gehe zu Bri-git-te! Hörst du? Brigitte hatte mich gestern …«

      »Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?«

      »Weil ich es vergessen habe!«

      »Du wolltest es mir nicht sagen!«

      »Nun hör mal, Ina … jetzt spinnst du wirklich!«

      »Ach, es ist dir ja ganz egal, was ich denke …«

      »Ina, bitte!«

      »Warum hat mich Brigitte nicht auch eingeladen?«

      »Aber, Ina! Du kannst Brigitte doch nicht leiden!«

      »Das ist kein Grund. Wenn du es ihr nicht erzählt hast …« Ein kleines Schluchzen stieg in Inas Kehle, sie schwieg, weil sie nicht gut hier im Laden vor allen Leuten in Tränen ausbrechen konnte.

      Auch am anderen Ende der Leitung blieb es still. Dann sagte Verena tastend: »Hör mal, Ina … hast du vielleicht schlechte Nachrichten … von deinem Heinrich?«

      Ina warf den Hörer auf die Gabel und putzte sich heftig die Nase.

      Die Kunden blätterten mit scheinbar größtem Interesse in den ausgelegten Büchern.

      Der Regen strömte unablässig.

      Verena stand, schon im Trenchcoat, am Fenster und schaute zum Himmel empor. Es sah nicht aus, als ob es jemals wieder aufhören wollte.

      Sie hörte, daß die Tür hinter ihr geöffnet wurde und fuhr herum. Neuhausen steckte den Kopf ins Zimmer.

      »Verenchen, gut, daß ich Sie noch treffe …«

      Sie sah ihn schweigend an.

      »Ich wollte nur fragen, ob ich Sie in meinem Wagen mitnehmen kann bei dem Sauwetter.«

      »Das ist nicht nötig«, entgegnete sie steif.

      »Nur im Geschäftsinteresse, Verenchen!« Er zeigte sein Gebiß. »Eine erkältete Cheflektorin scheint mir nicht wünschenswert!«

      »Bitte«, sagte sie kühl, »aber ich muß in die Betunienallee …«

      »Um so besser, das ist ja ganz in meiner Nähe!« Er öffnete ihr die Tür und ließ sie vorausgehen. »Nicht, daß ich Sie nicht liebend gern bis ans Ende der Welt bringen würde, Verenchen!«

      Im Wagen war es feucht und kühl. Neuhausen stellte die Heizung an.

      Verena behielt die Hände in den Taschen, die Aktenmappe unter den Arm gepreßt und starrte geradeaus. Der Scheibenwischer bewegte sich hin und her, geräuschlos und unermüdlich, und bei jeder Bewegung schuf er ein blankes Halbrund auf der beschlagenen Scheibe.

      »Übrigens«, begann Neuhausen, ohne Verena anzusehen, »ich habe mir das überlegt – mit dem Vorwährungsreformmanuskript …«

      Sie schwieg beharrlich.

      »Man könnte es vielleicht doch mal damit versuchen.«

      Er machte eine Pause, als wartete er auf Verenas Reaktion, aber sie rührte sich nicht.

      »Ich denke da an Gatze und Co … Der alte Gatze hat sein Geld im Zuckergeschäft gemacht und der Junior bringt es jetzt mit seinem Verlag durch, der liebt solche Sachen, wie Sie wissen. Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, denen das Manuskript anzudrehen, damit wir auch noch was von dem Segen abbekommen, bevor sie bankrott sind.«

      »Das müssen Sie wissen, Chef«, sagte Verena endlich.

      Eine Weile fuhren sie schweigend.

      »Was für einen Eindruck hat denn dieser junge Mann auf Sie gemacht«, begann Neuhausen dann wieder, »dieser … Jochen Schmitz?«

      »Er heißt Schmidt«, sagte Verena, »und im übrigen ist er sechsundzwanzig Jahre alt.«

      »Zu jung für Sie, Verenchen … viel zu jung«, sagte Neuhausen und schnitt eine Kurve.

      »Das sollten Sie nicht tun, Chef!« entfuhr es Verena.

      »Was?«

      »Kurven schneiden … noch dazu bei dem Wetter!«

      Er grinste. »Ich bin schon gefahren, als Sie noch nicht auf der Welt waren, Verenchen! Sie haben doch keine Angst um mich?«

      »Nein, aber um mich!« erwiderte sie böse.

      »Ihre Ehrlichkeit wirkt auf mich immer wieder erschütternd!«

      Sie merkte, daß sie ihn jetzt ernstlich verletzt hatte. »Ach«, sagte sie wütend, »das ist doch zu dumm! Sie wissen ganz genau, wie aufgeschmissen ich wäre … wir alle … wenn Ihnen etwas zustieße! Was sollte dann aus der Agentur werden? Also, bitte, fahren Sie vorsichtig … oder wenigstens vernünftig, zum Teufel!«

      »Sie sind heute ordentlich geladen, wie?« Er grinste schon wieder.

      Sie schwieg.

      »So, hier sind wir«, stellte er fest, »Betunienalle … welche Nummer wohnt Ihr Freund?«

      »Siebenundvierzig! Und zu Ihrer Beruhigung … es ist eine Freundin!«

      »Sie machen mir Sorgen, Verenchen, wollen

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