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Eine Frau von dreißig Jahren. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Eine Frau von dreißig Jahren
Год выпуска 0
isbn 9788711718728
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
»Möglich. Aber weißt du, ich habe einfach kein gutes Gefühl …«
»Na hör mal, Ina. Früher oder später hätte er es ja doch erfahren. Eine Leihbuchhandlung fällt ja nicht einfach vom Himmel, nicht wahr? Und es wäre bestimmt falsch gewesen, wenn du dir ein ganzes Lügengewebe ausgedacht hättest, nur um diese Tatsache zu verheimlichen.«
»Aber ich hätte es ihm doch nicht gleich heute zu erzählen brauchen! Nicht gleich am ersten Abend!«
»Es muß ihm ein Beweis für deine Offenheit sein.«
»Schon, nur …«
»Und wenn er nun abspringt … wäre das denn so schlimm?«
»Scheußlich!« erwiderte Ina nach einer kleinen Pause.
»Du hast doch nicht etwa ernste Absichten, Ina? Du weißt doch gar nicht, was für ein Mensch er ist!«
»Doch … das habe ich doch auf den ersten Blick gesehen!«
»Ina! Das ist Unsinn! Mann kann einen Menschen nicht auf den ersten Blick durchschauen. Und du kannst das schon gar nicht. Bitte, Ina, verrenne dich nicht leichtfertig in eine Sache, die …«
»Aber das tue ich doch gar nicht, Verena! Wie oft soll ich dir noch sagen, daß er nicht so ist, daß er ganz anders ist als andere Männer! Niemals würde er so etwas von mir verlangen.«
»O Gott, Ina, du bist unverbesserlich! Bitte denk doch auch mal ein kleines bißchen daran, was wir ausgemacht haben, bevor wir zusammengezogen sind …«
»Er wird niemals von mir erwarten, daß ich ihn mit raufnehme.«
»Aber das meine ich doch gar nicht!«
Einen Augenblick blieb es still. Dann lachte Ina, ein nicht ganz echtes, nicht ganz überzeugendes Lachen, wie es Verena scheinen wollte.
»Aber, Verena! Du hältst mich doch nicht etwa für so verrückt, daß ich heiraten möchte? Nach all den Erfahrungen, die ich mit Männern gemacht habe? Also wirklich, mein Schatz, wenn du keine anderen Sorgen hast …«
II
Am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Bleigrau verhangen lastete der wolkenschwere Himmel über der Stadt.
Als Verena in ihr Büro kam, war es noch so düster, daß sie die Deckenbeleuchtung einschalten mußte. Das warme, goldene Licht verwandelte den Raum von einer Sekunde zur anderen. Der leuchtend blaue Teppichboden strahlte, die Stahlrohrmöbel schimmerten silbrig.
Verena freute sich immer wieder aufs neue, wenn sie dieses Zimmer betrat, das in nichts an die hohen unfreundlichen Räume erinnerte, in denen sie ihre Tätigkeit als Lektorin für die literarische Agentur Albert Neuhausen begonnen hatte.
Sie spannte ihren Regenschirm in dem kleinen Waschraum auf, hängte ihren Trenchcoat fort, schlüpfte aus ihren völlig durchnäßten Schuhen und Strümpfen, wusch sich die Beine unter dem warmen Wasser und rieb sie mit dem Handtuch ab. Nachdem sie ihre Strümpfe zum Trocknen aufgehängt hatte, zog sie ein Paar Sandalen an, die sie für solche Zwecke im Büro hatte, und stellte die elektrische Heizsonne dicht neben ihren Schreibtisch. Sie starrte unlustig auf den Stapel neu eingegangener Manuskripte, der auf der linken Ecke des Schreibtisches auf sie wartete.
Das Rauschen des Regens vor dem Fenster wirkte einschläfernd wie ein Wiegenlied.
Verena gab sich einen Ruck und nahm den Telefonhörer auf. »Guten Morgen, Frau Heinzelmann«, sagte sie, »würden Sie wohl so lieb sein und uns eine Tasse Kaffee machen? Ja, bitte, ich erwarte Sie.«
Verena legte den Hörer auf, seufzte leicht und zog die Manuskripte zu sich heran. Es war nicht ganz einfach, Frau Heinzelmann gegenüber den richtigen Ton zu treffen. Sie war eine zuverlässige Kraft, intelligent und tüchtig, und wenn sich die beiden Frauen in einer privaten Sphäre begegnet wären, hätten sie sich ganz gewiß großartig verstanden. So aber hatte sich die Tatsache in das Bewußtsein beider eingegraben, daß Frau Heinzelmann zehn Jahre älter war als Verena und nicht halb soviel verdiente, und diese Tatsache stand wie eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen.
Verena zog die Begleitbriefe aus den Manuskripten, las sie durch und faltete sie zusammen. Sie schaute in die einzelnen Manuskripte hinein, schrieb die Namen bestimmter Lektoren auf kleine Zettel und heftete diese an die Umschläge.
Frau Heinzelmann klopfte an und balancierte ein Tablett mit einer Tasse Kaffee, einer Dose Zucker und einem Kännchen Milch auf den Schreibtisch.
»Schönen Dank, Frau Heinzelmann«, sagte Verena, »scheußliches Wetter, was?«
»Ich sag’s ja, man muß aufpassen, daß man sich keinen Schnupfen holt!« Frau Heinzelmann warf einen Blick auf die Manuskripte.
»Ja, die können Sie mitnehmen«, sagte Verena. Frau Heinzelmann kannte ihre Arbeit, es wäre ganz unnötig gewesen, ihr zu erklären, daß der Empfang den Autoren bestätigt werden mußte, daß die einzelnen Manuskripte an die Lektoren verteilt werden sollten, die außer Haus für die Agentur arbeiteten.
Frau Heinzelmann nahm Briefe und Manuskripte unter den Arm und wollte das Zimmer verlassen.
»Sie haben sich doch auch Kaffee gemacht?« fragte Verena.
»Ach nein, lieber nicht. Heute nacht hatte ich es mal wieder mit dem Herzen!«
»Das tut mir leid.«
»Ich sag’s ja … über vierzig taugt der Mensch nichts mehr, da können sie so viel reden und schreiben wie sie wollen. Das richtige ist es nicht mehr!«
»Unsinn!« rief Verena und lachte. »Ich bin sicher, ich komme dann erst richtig in Form!«
»Na, Sie werden’s noch erleben!« orakelte Frau Heinzelmann düster.
»Wir können dann gleich anfangen!« rief Verena ihr nach, als sie schon die Türklinke in der Hand hatte.
Der Kaffee war gut, heiß und stark. Verena ärgerte sich, daß sie trotzdem wieder gähnen mußte. Wie konnte sie nur so müde sein! War es gestern abend denn so spät geworden?
Sie stand auf, holte einen Stoß Manuskripte aus dem Regal und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. Jedes dieser Manuskripte war von den Lektoren gelesen worden, in jedem lagen kurze Gutachten, in jedem ein Zettel von Verenas Hand mit dem kleinen Wort »Zurück«.
Obwohl Verena durch ihre jahrelange Tätigkeit als Lektorin hätte abgebrüht sein müssen, berührte sie der Anblick der zur Rücksendung bestimmten Manuskripte immer noch ausgesprochen unangenehm. Sie wußte, das war eine dumme Sentimentalität von ihr, über die Neuhausen mit Recht gespottet hätte, aber sie empfand so stark, wieviel Arbeit in jedem dieser Romane, selbst dem schlechtesten und dilettantischsten steckte, mit wieviel Hoffnungen er in die Welt geschickt worden war … Hoffnungen, die sie nun zerstören mußte.
Aber es half nichts. Kein Mensch konnte ihr einen Vorwurf machen. Sie gehörte nicht zu jenen Lektoren, die drei Seiten am Anfang, eine in der Mitte und dann noch – vielleicht – den Schluß überfliegen; aus Albert Neuhausens Agentur ging kein Manuskript zurück, das nicht gründlich und gewissenhaft geprüft worden war. Nein, sie hatte sich nichts vorzuwerfen; sie hätte sich ihr Gehalt Wesentlich einfacher verdienen können und wäre dennoch nicht zu tadeln gewesen.
Frau Heinzelmann kam herein, mit Stenoblock und gespitztem Bleistift. Sie setzte sich an ihr Tischchen und schaute Verena erwartungsvoll an.
»Na, dann los«, sagte Verena und stürzte sich, gleichsam mit geschlossenen Augen, in die Arbeit.
Sie hatten noch nicht die Hälfte der Post erledigt, als sich die Tür öffnete – es war kurz nach zehn – und Albert Neuhausen seinen viereckigen, blanken Schädel hereinstreckte.
»Hallo, Verenchen«, sagte er. Er trug seine dunkle Brille, ein Zeichen, daß er Kopfschmerzen hatte und daß heute noch weniger als sonst mit ihm zu spaßen war.
»Hallo,