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Werbung und Verlobung

      Hier also machte Eberhard Arnold am 29. März 1907 – Karfreitagmorgen – seine Aufwartung. In schwarzem Anzug und Zylinder stellte er sich den Eltern seiner Auserwählten vor. Sie waren durchaus angetan. Von Verlobung sofort und auf der Stelle wollten sie zunächst nichts hören; sie gaben ihr Einverständnis zu der Verbindung nur unter dem Vorbehalt, dass auch Eberhards Eltern die Verlobung billigen würden. Immerhin akzeptierte Emmys Mutter einen Strauß weißer Rosen. Die Verlobung sollte so lange geheimgehalten werden, bis Eberhard den Nachweis erbracht habe, dass er eine Frau auch versorgen könne. Der Schwiegersohn in spe und die Tochter wurden für eine Weile taktvoll alleine gelassen. Er wiederholte ihr gegenüber seine Überzeugung, dass Gott sie zusammengeführt habe, und sagte dann: „Ich habe Sie vom ersten Augenblick, als ich Sie sah, lieb gewonnen!“ Sie, etwas blass vor Spannung, erwiderte: „Mir ist es ganz ebenso gegangen.“ Daraufhin tauschten sie einen ersten Kuss. Anschließend lasen sie gemeinsam den 34. Psalm („Ich will den Herrn allezeit loben ... Die auf Ihn sehen, werden strahlen vor Freude“) und gaben im Gebet ihr Leben in die Hände Gottes „zum Dienst und zum Zeugnis für Ihn“. Dann kam die Familie wieder herein. Emmys Geschwister akzeptierten den zukünftigen Schwager sofort. Die nächsten eineinhalb Tage verbrachten sie zum Teil alleine, zum Teil mit den Geschwistern zusammen. Noch am Samstag reiste Eberhard Arnold mit der Bahn nach Breslau ab. Am Ostermorgen hielt seine Braut bereits einen ersten Brief in Händen, überschrieben: „Immer Phil. 4,4! Eph. 1,14b! Meine Emmy ...“

      4 Angeregt von der christlichen Studentenbewegung in den USA und auf die seit 1882 existierenden „Bibelkränzchen“ an Universitäten und Schulen gestützt, hatten u. a. Graf Eduard von Pückler und Freiherr Waldemar von Starck jährliche christliche Studentenkonferenzen initiiert, aus denen heraus 1895 die DCSV entstand. Im selben Jahr wurde der Christliche Studenten-Weltbund gegründet.

      5 William Booth war ursprünglich Methodistenprediger. 1861 übernahm er die Leitung der Ostlondoner Zeltmission und gab dieser Arbeit mit den Jahren eine effiziente, „militärische“ Struktur, aus der 1878 die Heilsarmee hervorging. Booth war ein wortgewaltiger Prediger, erklärter Feind von Laster und Sünde und bis ins hohe Alter für Neuerungen offen.

      6 Heute Paracelsusstraße.

       III.

       Briefe kreuzen sich

      Kaum etwas ist so gut dokumentiert wie die Verlobungszeit Eberhard Arnolds und Emmy von Hollanders. Die beiden schrieben sich täglich, manchmal mehrmals (zum Ruhm der preußischen Post sei gesagt: die Briefe waren niemals länger als einen Tag unterwegs). In diesen Briefen geht es zwar immer auch um Freude und Leid zweier heftig verliebter junger Menschen. Aber zugleich und manchmal beherrschend geht es um Jesus und das Verhältnis zu ihm. Emmys Mutter meinte einmal, solche drolligen Brautbriefe hätte sie noch nie gelesen. Da stünde nur: „Jesus allein – Amen – Halleluja“ usw.

      Wenn je zwei Menschen ein Herz und eine Seele waren, dann diese beiden. Er schreibt ihr Gedichte. Sie muss ihm, auf seine dringende Bitte hin, eine Locke schicken. Und Fotos, immer wieder. Er schickt ihr Bücher, paketweise: Finney, Torrey, Catherine Booth, Graf Korff und viele andere. Sie will von ihm Nachrichten aus seiner Arbeit, Artikel, alles. Er schlägt vor, sie könnten sich ja gemeinsam biblische Bücher vornehmen und sich alles sagen, was ihnen dabei auffällt. Sie ist begeistert und fängt mit dem Matthäusevangelium an (binnen eines halben Jahres haben sie das Neue Testament durchgearbeitet). Er schreibt ihr von Fahrradausflügen an der Oder und von seinem Studienpensum. Sie mahnt ihn, sich mehr zu schonen. Er mahnt sie, sich mehr Schlaf und Ruhe zu gönnen. Sie beichtet ihm, dass sie geplappert habe. Ihm wird erst nach ein paar Monaten mit Schrecken bewusst, dass sich vermutlich noch zwei andere Mädchen Hoffnungen auf ihn gemacht haben (er hatte das gar nicht richtig registriert). Daraufhin bittet sie ihn, doch kompromittierende Situationen zu meiden und die Seelsorge an jungen Damen anderen zu überlassen, und damit ist es gut. Er reflektiert Begebenheiten aus seinem bisherigen Leben. Sie erzählt Erlebnisse aus dem ihren. Er hält sie auf dem Laufenden über alles, was in Breslau passiert. Sie berichtet ihm haarklein, was sich in der Familie, in der Gemeinschaft und in der Hallenser Christenheit abspielt. Und da gibt es jeweils viel und Verwickeltes zu berichten.

       Tauffrage

      Die Tauffrage ist Eberhard Arnold und seiner Emmy von außen aufgenötigt worden. Emmys Schwester Else hatte unter dem Einfluss einzelner Gemeinschaftsleute im Mai 1907 erklärt, sie wolle sich taufen lassen. Die Eltern von Hollander waren strikt dagegen und baten den theologisch bewanderten Schwiegersohn brieflich via Emmy, auf Else entsprechend einzuwirken. So sah er sich überhaupt erst gezwungen, nach biblischen Argumenten für und wider die Kinder- bzw. Gläubigentaufe zu suchen – bis dahin war das für ihn kein Problem gewesen. Nachdem die Frage einmal aufgekommen war, dauerte es knapp fünf Monate, bis Eberhard Arnold seinen endgültigen Standpunkt gefunden hatte. Emmy von Hollander kam im ständigen Austausch mit ihm, aber auf eigenen Gedankenwegen zur selben Überzeugung. Anhand des Briefwechsels kann man diesen Erkenntnisprozess Schritt für Schritt verfolgen.

      Am 11. Mai 1907 hält Eberhard Arnold unter Berufung auf Römer 3,1–3,9 „die Kindertaufe nicht für ungültig, sondern von Jesus und Gott gewollt; will der einzelne ihren Heilswert besitzen, so muss er Herzensbeschneidung (Bekehrung) und Geistestaufe erleben.“

      Am 31. Mai schreibt er an die Eltern von Hollander, „dass wir der Kirche unendlich viel verdanken und den häufig behaupteten Widerspruch ihrer Taufpraxis zur Schrift für unerwiesen halten müssen.“

      Am 16. Juni an Emmy: „Ich habe diese Tage ernste Zweifel an meiner Tauftheorie mit starker Hinneigung zur Gläubigentaufe! Der Grund ist die schwierige Frage: Wie ist die von Jesus und den Aposteln gewollte und durchgeführte, streng abgeschlossne Gläubigengemeinde denkbar, wenn die Taufpraxis in meinem Sinne ausgedehnt werden sollte? Damit ist meine Position erschüttert, fast gestürmt. – Das ist alles noch unklar und vielleicht verkehrt.“

      Am 25. Juni berichtet Emmy ihm: „Über die Taufe habe ich noch keine ganz bestimmte Auffassung. Nur eins weiß ich: ich persönlich habe nichts von der Kindertaufe gehabt. Durch meine Bekehrung bin ich zu Gott gekommen, nicht durch die Taufe.“

      Am 29. Juni warnt er sie: „Ohne eine unantastbar feste, tief gegründete Überzeugung wäre es eine Sünde, eine folgenschwere Sünde!“ – nämlich die Glaubenstaufe vollziehen zu lassen.

      Am selben Tag berichtet Emmy in einem Brief vom ersten Taufgottesdienst der Gemeinschaft. Einige der Täuflinge seien ihrer Meinung nach „etwas stark erregt“ gewesen. „Wenn wir uns vielleicht taufen lassen, so wollen wir besonders bitten um einen heiligen Frieden vorher.“

      30. Juni: Er stellt für sich eine Art Prinzipienkatalog auf:

      „Ich tue unter allen Umständen den klar erkannten Gotteswillen. Ich tue nichts, was mir nicht allseitig begründete Überzeugung ist. Ich trete mit nichts hervor, was ich nicht klar als biblisch belegen kann. Aus meinen augenblicklichen Eindrücken ergibt sich für die nächste Zukunft: Ich durchforsche Neues Testament und Geschichte nach der Tauffrage, ganz objektiv. Bestätigt sich mein jetziger Eindruck, dass die Gläubigentaufe allein biblisch sein könnte, so lasse ich mich taufen, sobald ich es biblisch und geschichtlich ganz fest habe. Das praktische Fazit ist aber dies: Ich kann jetzt nicht getauft werden, ohne zu sündigen.“

      Im selben Brief sorgt er sich darum, wie wohl seine Eltern einen entsprechenden Schritt auffassen würden.

      2. Juli: „Die Taufe mit Wasser ist weder Geistestaufe noch Sterben und Auferstehen. Das gibt Enttäuschungen oder Täuschungen.“

      Am 30. Juli berichtet Emmy von Hollander, der Hallenser Allianz drohe mittlerweile

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