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Das Spukhaus in Schöneberg. Erdmann Graeser
Читать онлайн.Название Das Spukhaus in Schöneberg
Год выпуска 0
isbn 9788711592403
Автор произведения Erdmann Graeser
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
„Denn jehen wir aba ooch wirklij in’t Theata, det nich wieda wat zwischen kommt!“
Die Aussicht auf den Theaterbesuch hielt die Frauen und auch Herrn Krause in ständiger Aufregung.
„Wenn wir nu man schon wißten, in welchet“, sagte Frau Lemke, „wenn wir uns jetz nich entschließen, stehen wir ’n Sonntaj da und wissen nich wohin.“
„Nach ‚Walhall‘ in die Charlottenstraße“, sagte Tante Marie, „weeßte denn nich mehr, wie Tante Liese damals jeschwärmt hat? Da wird jetz wieda een Stick jejeben, det furchtbar erschitternd is!“
Und als galanter Mann pflichtete Herr Krause bei: „Ick hab’s ooch noch nich jesehen, aba et soll wirklich sehr riehrend sind. Und denn soll ooch det Essen da sehr jut sind, et jibt jroßartije Schinkenstullen mit Lamberkänks!“
„Mit wat?“ fragte Tante Marie.
„Mit Lamberkänks – so wird det ausjesprochen, jeschrieben wird et hinten mit’n Q – Lamberquinz, det heeßt, der Schinken ist mit’n Faltenwurf iba die janze Stulle ’rieba!“
„Na – wie bei uns“, sagte Frau Lemke, „desterwejen brauchten wir ja janich in’t Theata zu jehen!“
„Jewiß, Ihre Schinkenstullen sind ja berihmt“, begütigte Herr Krause, „aba die da sind ooch jut.“
Und eines Sonntags abends kam Herr Krause dann die beiden Damen abholen. Eine gewisse feierliche Stimmung herrschte – alle standen unter dem Eindruck, daß man sich heute sozusagen dem Luxus ergab, und in Tante Maries Herzen nagte heimlich die Reue.
Frau Lemke, die ihr diese Empfindung vom Gesicht ablas und fürchtete, daß vielleicht noch in letzter Minute ein Hindernis entstehen könnte, sagte mit aller Entschiedenheit: „Tante, damit wir uns von vornerin klar sind: Bezahlen tu’ ick – also kannste deen Pottmaneh ibahaupt zu Hause lassen.“
„Is jut, nechstetmal revanschier’ ick mir“, sagte Tante Marie befriedigt.
Sie fuhren mit dem Omnibus bis in die Nähe des Theaters, stiegen dann aus und bogen in die Charlottenstraße ein. „Seh doch bloß ma’ die Masse Menschen“, sagte Frau Lemke aufgeregt und voller Unruhe, „wir missen schnella jehen, sonst kriejen wa keen’ Platz nich mehr.“ Und mit feindseligen Gefühlen betrachteten sie jeden, der sie überholte.
„Jadrobe jeben wir nich ab“, instruierte Herr Krause, „det wär’ wahaftij wejjeschmissenet Jeld. Die Damens lejen nachher ihre Mantilljen iba die Stuhllehne, meenen Hut behalt’ ick in de Hand, und mit den Schirm mach’ ick det so –“ und zum Erstaunen seiner Begleiterinnen knöpfte er sich die Weste auf und schob, wie einen Säbel in die Scheide, den Schirm in das Hosenbein.
„Det is sehr praktisch“, lobte Tante Marie. Frau Lemke aber meinte: „Nu werden Se bloß nich loofen können!“
„Doch – ’n bißken steifbeenij, aba det schad’ nischt, ick werd’ dann allemal for’n Jeneral in Zivil jehalten, die jehen ooch imma so“, sagte Herr Krause.
Und zu ihrer großen Genugtuung gelang es auch, in den Saal zu kommen, ohne daß der Schirm entdeckt worden war. „So jenau wird’s ja hier janich mit die Jadrobe jenommen – bloß in die keeniglichen Theata, und da is et mir leida Jottes schon ’mal passiert, det ick mir habe vor alle Leite die Hosen uffkneppen missen, weil se jejloobt hatten, det ick den Schirm jestohlen hätte.“ Und mit Feldherrnblick umherspähend, kommandierte er plötzlich: „Rasch, da sind noch drei Stihle frei, aba nu dalli durch det Jedrängle durch!“
Unbekümmert, wen er trat und stieß, stürzte er vorwärts und brachte das Kunststück fertig, gleichzeitig zwei Stühle so zu besetzen, daß sie ihm nicht mehr weggezogen werden konnten, und auf den dritten legte er feierlich Hut und Hand und erklärte einem wütend dreinblickenden Herrn: „Ooch besessen – da kommt schon die Besitzerin!“
Gegen Frau Lemke wagte der Herr nicht anzukämpfen, er sah Herrn Krause und seine beiden Damen verächtlich an und schimpfte dann im Abgehen: „Die Stühle waren schon längst mit Beschlag belegt, aber mit solchen Menschen will ich mich gar nicht einlassen, wir sind doch hier nicht in der Hasenheide.“
„Det is ibrijens ’n Jedanke, da missen wir ooch mal hinjehen“, sagte Frau Lemke, ohne sich weiter um den Herrn zu kümmern. Und mit Befriedigung um sich blickend, setzte sie hinzu: „So – von meenswejen kann et nu anfangen, wir sitzen jut!“
„Allens feinet Publikum hier“, sagte Tante Marie ein bißchen bedrückt, „kieck ma die da mit die Marabufedern uff’n Kopp!“
„Det sind doch keene echten, wenn’t ibahaupt welche sind“, sagte Frau Lemke. Aber Herr Krause, der Wert darauf legte, seine Damen in eine feine Umgebung geführt zu haben, pflichtete Tante Marie bei: „Se können Jift druff nehmen, et sind echte, Frau Lemke.“
Doch – sie ließ sich nicht so leicht irremachen: „Ick hab’ doch ooch Oojen in’n Kopp, det sind höchstens Reiha. Und so wat Feinet, wie ihr denkt, is det ooch nich! ’ne reichjewordne Schlechtameestern – seh dir doch die Hände an, Tante Marie!“
Dann brachte der Kellner das Bier, und Herr Krause kaufte einer alten Frau, die allerlei Backwaren und Süßigkeiten feilbot, Salzbrezeln ab.
„Nee, danke, Herr Krause, sehr nett von Sie“, lehnte Frau Lemke die für sie bestimmte Brezel ab, „det Zeij is mir ’n bißken zu hart, und ick muß mir vorsehen, det ick nich wieda Zahnschmerzen krieje!“
„Det könnt’ uns ja jetz jrade so passen – Zahnschmerzen“, sagte Tante Marie, „da wirden wa ’n scheenet Vajniejen von haben. Denn faste lieba, ick werd’ die Brezel schon ’runtakriejen! Und laß det, polk’ nich mit die Haarnadel mang de Zähne, ooch nich mit die Zunge, sonst werden die Wurzeln uffriehrerisch!“
Herr Krause wollte ein Programm kaufen, aber Tante Marie verhinderte ihn daran: „Is doch nich nötij“, sagte sie zärtlich, „wozu denn? Wir sehen doch allet und hören werden wir hier ooch janz jut. Wenn Se aber ma’ jerne in so’n Zettel ’rinkieken wollen, borjen ihn uns die Leite nebenan von’n Tisch!“
Frau Lemke war derselben Ansicht, glaubte außerdem, daß Herr Krause ihnen durch derartige unnütze Ausgaben nur imponieren wolle. Und um ihm zu beweisen, daß sie sehr wohl wisse, was sich in einem Theater schicke, zog sie sich mit der ganzen Langsamkeit und Umständlichkeit, die sie bei andern beobachtete, ein Paar rotbraune Glacéhandschuhe an. „’n Opanjucka hätten wir uns ooch mitbringen können“, sagte sie, als sie sah, wie andere ihre Gläser einstellten.
„Ja –“, Tante Marie stimmte zu, „villleicht könnte man denn durch die Köppe durchkieken“, denn sie grollte allen Leuten, die da noch vor ihnen saßen.
Und dann vertieften sich beide in das Studium des bunten Vorhangs, suchten das Guckloch darin, von dem sie schon so viel gehört, und waren glücklich, als sie es entdeckten. Zum ersten-, zweiten- und zum drittenmal hatte es geklingelt – da endlich hob sich der Vorhang.
„Et jeht los –“, Tante Marie schob den Rest der Brezel in die Backe und hörte – wie ein Kaninchen – plötzlich mit Kauen auf, auch Frau Lemke saß steif da, und Herr Krause behielt das nonchalante Gebaren eines routinierten Theaterbesuchers bei.
Alle Hoffnungen, die man sich von einem richtigen Theaterstück gemacht hatte, gingen prompt in Erfüllung: Die Tugend wurde zuerst gequält und gemartert, und das scheußlichste Laster triumphierte, man bekam Rüstungen und viele Schleppgewänder und viele vornehme Personen zu sehen, dann wurde die Tugend langsam, aber gründlich weiß gewaschen und der Schuft und Bösewicht bestraft.
Tante Marie, Frau Lemke und das übrige Damenpublikum – alle weinten wie die Schloßhunde, legten sich keinen Zwang auf, und wer sein Taschentuch vergessen hatte, borgte es sich von seiner Nachbarin. Selbst die verhärtetsten männlichen Gemüter operierten verstohlen mit dem Knöchel, und als es unerwartet hell im Saale wurde und Herr Krause