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hierhergeflogen bist.“

      „Das ist ja wohl ganz klar. Ich muss doch meiner besten Freundin zusehen, wenn sie zum ersten Mal in ihrem Leben beim großen Wettfliegen mitmacht!“, sagte Hille. Die kleine Helfe hatte eine schmale Gestalt und hauchzarte durchsichtige Flügel auf dem Rücken. Ihre Stimme aber passte so gar nicht zu ihr. Sie klang immer ein bisschen heiser und ein wenig zu tief für ein so kleines zartes Wesen.

      „O sind da viele Hexen“, sagte Hille.

      Flora nickte und sah sich mit großen Augen um.

      Da ertönte die Stimme von Punica Granata, der Oberhexe: „Liebe Bewohner des Hexenrosentals, ich begrüße euch ganz herzlich zum alljährlichen Besenwettfliegen! Teilnehmen dürfen alle Hexen und Hexer zwischen 8 und 888 Jahren.“

      „Ich glaube, es geht bald los“, sagte Hille. „Ich fliege rauf zur Linde. Da sitzen auch Nux und Borax. Ich werde dir von dort aus zusehen.“ Flora nickte erneut. Inzwischen war sie so aufgeregt, dass sie kaum noch sprechen konnte.

      Die Oberhexe fuhr fort: „Dieses Jahr haben wir uns etwas Besonderes einfallen lassen. Es geht nicht nur um Schnelligkeit, sondern auch um Geschicklichkeit …“

      Flora hörte nur mit halbem Ohr zu. Das wusste sie doch schon alles von Mama und Omimi. Der erste Teil des Wettbewerbs würde ein Hindernisfliegen sein, und wenn man alle Hindernisse überwunden hatte, flog man, so schnell man nur konnte, über die weite Mohnblumenwiese. Wer danach als Erster durch das große Spinnennetz am Ende der Wiese flog, war der Sieger.

      Flora beobachtete einen blonden Hexenjungen, der neben ihr am Start stand. Sie hatte ihn noch nie hier im Tal gesehen. Genau wie sie hatte er seinen Besen startbereit zwischen die Beine geklemmt. Er trug eine lange ärmellose Strickjacke, deren Taschen ganz ausgebeult waren. Darin befanden sich wohl unzählige Dinge und die Weste schien ziemlich schwer zu sein.

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      „Was hast du denn alles in deinen Taschen?“, fragte Flora neugierig. „Lauter brauchbares Zeug, mit dem man gut hexen kann“, sagte der Junge.

      „Und das schleppst du alles immer mit dir herum?“, fragte Flora. „Immer!“, antwortete der Junge.

      Flora legte den Kopf schief. „Die schwere Jacke wird dich beim Fliegen bremsen“, meinte sie.

      Der Junge riss die Augen auf. „Du hast völlig recht, danke!“ Im nächsten Augenblick rief er: „Lilia, komm mal her!“

      Ein kleines Hexenmädchen kam angerannt. Es hatte genauso zerzaustes blondes Haar und dunkle, lebhafte Augen wie der Junge und nahm ihm die schwere Strickjacke ab.

      „Das war eine meiner fünf Schwestern“, erklärte der Junge. „Ich heiße übrigens Laurus Nobilis, ich bin neu hier im Hexenstädtchen. Meine Familie ist in den Sommerferien hierhergezogen.“

      „Ich bin Flora Floribunda“, sagte Flora.

      „Macht euch bereit, Teilnehmer!“, rief die Oberhexe nun. „In wenigen Augenblicken ertönt der Startpfiff!“

      Floras Herz begann, ganz heftig zu schlagen. Sie umklammerte den Besenstiel und sah sich noch einmal um. Der blonde Junge lächelte ihr freundlich zu und sie lächelte zurück.

      „Achtung, fertig … LOS!“ Ein Pfiff schrillte durch die Luft, Flora stieß sich kräftig mit den Füßen vom Boden ab und der Besen schoss empor.

      Flora lehnte sich weit nach vorn und fühlte den Wind über ihren Rücken zischen. Vor ihr flogen ein paar Hexen, neben ihr ebenfalls, es war alles sehr eng und Flora musste gut aufpassen. Laurus war eine Zeit lang neben ihr, aber dann hatte sie ihn aus den Augen verloren. Nun kam das erste Hindernis: sieben Trauerweiden, die ganz dicht beieinanderstanden. Man musste so schnell wie möglich durch die hängenden Zweige hindurchfliegen. Das war gar nicht so einfach, denn die Weiden waren von der Oberhexe verzaubert worden und plötzlich begannen sich alle Baumkronen zu drehen wie Karussells. Die Weidenzweige rauschten im Kreis und strichen einem weich übers Gesicht. Man wurde ganz taumelig davon, und nicht wenige der Hexen wussten plötzlich nicht mehr, in welche Richtung sie fliegen sollten. Flora zog die Schultern hoch und kniff die Augen fest zusammen. Einfach geradeaus durch, sagte sie sich immer wieder. Schließlich hatte sie es geschafft. Sie spürte keine Weidenzweige mehr und öffnete die Augen.

      Majoranus, der Sohn des Zeitungsmachers, flog jetzt vor ihr. „Das war lächerlich einfach“, rief er Flora großspurig zu. Flora schnalzte mit der Zunge und ihr Besen wurde schneller. Im Flitzeflug überholte sie Majoranus, doch der gab ebenfalls Gas und eine Weile waren beide Besen Stiel an Stiel. Dann fiel Majoranus ein bisschen zurück, blieb aber immer dicht hinter Flora.

      Weiter ging’s den Fluss entlang über die Schafweiden bis zu den Donnerfelsen. Als Flora die Felsen erreicht hatte, tauchte ein Hexer mit langen unordentlichen Haaren neben ihr auf. Sein dunkelgrauer Umhang flatterte wie ein knatterndes Segel hinter ihm her. Flora wusste sofort, wer das war: Turdus Merula, der bekannte Leiter des Magischen Tierhauses!

      Der Hexer flog immer dichter an Flora heran, sodass sie kaum noch Platz hatte. Links neben ihr ragte die steile Felswand auf! Fast hätte Flora den Stein mit ihrem Ellenbogen gerammt. Konnte Turdus denn nicht aufpassen? „Heee!“, rief sie empört aus. Aber Turdus schien sie nicht zu hören und auch nicht zu sehen. Sie musste ihn wohl oder übel an sich vorbeilassen. Nun flog er vor ihr und Flora ärgerte sich. Das war doch Absicht gewesen!

      Aber ihr blieb nicht viel Zeit zum Grübeln, denn wenig später ragten spitze Felsen, hoch wie Türme, vor ihnen auf. Im Zickzack musste man zwischen ihnen hindurchfliegen. Flora legte sich ordentlich in die Kurven und rauschte so an allen Hindernissen vorbei. Nach der letzten Felsenspitze blickte sie einmal kurz über ihre Schulter. Hinter ihr war nun niemand mehr zu sehen. Nur ein Stück weiter vorn erkannte Flora Turdus.

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      Flora streichelte sanft über das Holz des Besenstiels. „Lieber, guter Besen, flieg, so schnell du kannst. Gib alles!“ Floras Besen zischte rasend schnell durch die Luft.

      Beim letzten Hindernis lag sie mit dem Hexer fast gleichauf. Eine Grotte tat sich vor Flora auf. Sie steuerte ihren Besen direkt darauf zu, doch der bäumte sich plötzlich auf und wich zur Seite. „Jetzt komm schon“, rief Flora ungeduldig. Noch mal lenkte sie ihren Besen auf den Grotteneingang zu und diesmal flog er in die kohlschwarze Grotte hinein. Es war so dunkel. Flora konnte nicht die Hand vor den Augen sehen. Und es war laut. Von überall hörte man es tropfen und es hallte von den Höhlenwänden wider. Sie wusste, dass die Grotte sehr groß und breit war, und hatte daher keine Angst, an den Wänden anzustoßen. Trotzdem spürte sie ab und zu, wie etwas sie am Arm oder Kopf streifte. Waren das Fledermäuse oder die anderen Hexen, die an ihr vorbeiflogen? Flora biss die Zähne zusammen und endlich sah sie Licht. Sie war am anderen Ende der Grotte angekommen!

      Vor ihr breitete sich die große Mohnblumenwiese aus. Ab hier kamen keine Hindernisse mehr, es ging nur noch um Schnelligkeit.

      „Los, jetzt ganz schnell weiter bis zum Ziel“, rief Flora. Der Besen bäumte sich noch einmal leicht auf und flitzte dann los. Flora schaute ein letztes Mal über ihre Schulter. Sie konnte niemanden sehen. Auch vor ihr war keiner mehr.

      Komisch, wo waren alle nur hin? O du liebe Kreuzspinne, was, wenn schon alle anderen längst im Ziel waren? Was wenn sie die Letzte werden würde? O nein, wie peinlich, das durfte einfach nicht sein! Flora schmiegte sich ganz eng an ihren Besenstiel und flitzte, so schnell sie nur konnte, auf das große Spinnennetz zu. Komisch, das Netz war noch ganz. Es war nicht zerrissen. Im selben Augenblick, als Flora durch das große glitzernde Spinnennetz flog, begriff sie, was das bedeutete. Und da jubelte auch schon die Menge los.

      „Wir haben die Siegerin!“, rief Punica Granata, die Oberhexe. „Flora Floribunda hat es geschafft! Sie ist die schnellste Besenfliegerin des Jahres!“

      Flora hatte ihren Besen zum Stehen gebracht. Sie zitterte am ganzen Körper. Jetzt erst

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