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sagte der Rektor, »die Sache ist ja gar nicht so vieler Worte wert. Wenn Professor Graun morgen früh kommt, so bitten Sie ihn, einen Augenblick zu mir zu kommen.« Damit war der Diener entlassen.

      Am nächsten Morgen vor acht Uhr, als der Mathematikprofessor ins Gymnasium kam, wurde ihm der Auftrag des Rektors ausgerichtet.

      »Wissen Sie vielleicht, wer diese Anzeige eingerückt hat?« fragte der Rektor.

      »Nein, davon habe ich keine Ahnung.« Der Rektor ging in den großen Gang, der in dem alten Gymnasiums-Gebäude auf drei Seiten den Hof umschloß. Durch diesen Gang hatten die Klassenzimmer ihren Eingang. Mit dem Anzeiger in der Hand stellte sich der Rektor an eines der Fenster. Um diese Zeit herrschte hier lautes Leben, alle die Schüler polterten die Treppe herauf und trabten über den Gang nach ihren verschiedenen Zimmern, dazwischen war der langsamere, festere Tritt der Lehrer hörbar. Heute wurde von letzteren ein jeder abgefaßt; der Rektor fragte nach der Anzeige, aber keiner wollte etwas davon wissen. Unter diesen Professoren war auch Heinrichs Onkel. Professor Kuhn aber ahnte ebensowenig wie die andern den Urheber der Anzeige und konnte darüber keinen Aufschluß geben. Allmählich kamen nur noch vereinzelte Schüler, jetzt schlug es 8 Uhr, und die größte Stille herrschte in dem noch eben so belebten Gebäude, der Unterricht begann.

      Schlag 10 Uhr ertönte unten in des Dieners Wohnung ein zweimaliges Glockenzeichen; dies war der verabredete Ruf, dem die Frau des Dieners in das Rektoratszimmer zu folgen hatte. Sie stand schon am Posten am Eingang des Hoftors, ihre Neugierde war aufs höchste gespannt. Nein, wie fatal, gerade in dem Augenblick klingelte ihr der Rektor. Diesmal sollte nur ihr Mann an ihrer Stelle gehen. »Peter!« rief sie, Peter!« Von Peter kam keine Antwort, dagegen wiederholte sich noch etwas stärker das Glockenzeichen; da gab es kein Besinnen mehr. Sie ging die Treppe hinauf, so schnell als es ihr, der wohlbeleibten Frau, möglich war. Einen Blick warf sie noch zurück, ehe sie den Hof aus dem Auge verlor, und da glaubte sie gerade noch ein Mädchen, ein ganz fein gekleidetes, durch das Hoftor kommen zu sehen. Der Rektor wartete schon unter der Türe seines Zimmers auf sie.

      »Gehen Sie sogleich hinauf in die Bodenkammer und holen Sie mir aus dem Kasten Nr. 5 alle diejenigen Hefte, die mit Klasse IX Jahrgang 88 bezeichnet sind.«

      Ach, das war bitter! Bis diese Hefte ausgesucht waren, ging jedenfalls eine Viertelstunde hin! Eine so bedeutsame Viertelstunde! An eine Widerrede war nicht zu denken, sie mußte hinauf in die Bodenkammer. Aber etwas Glück ist doch meist beim Unglück, der Kasten Nr. 5 stand nahe bei der Dachlücke, und aus dieser herunter konnte man den Hof überblicken. Und da sah denn die gute Frau von ihrer Höhe aus was vorging. Die Schüler rannten wie alle Tage während der Pause in den Hof hinunter, der Herr Rektor und die Herren Professoren blieben aber nicht wie sonst in der kalten Jahreszeit in ihren Zimmern; einer nach dem andern erschien auf dem Gang, offenbar war jeder neugierig zu sehen was im Hof vor sich ging; auch Professor Kuhn war unter ihnen; und hinter seinem Fenster im Erdgeschoß blickte der Schuldiener hervor.

      Nun kam von der Straße herein durch den Torweg ganz unbefangen ein Dienstmädchen und sah sich um, nicht ahnend, daß sie von so vielen gestrengen Herren beobachtet wurde, denn sie traten alle etwas zurück, um nicht bemerkt zu werden. Unter den herumtollenden Knaben trat einer auf das Mädchen zu. Es war Heinrich. »Das ist der kleine Schubert,« sagte einer der Lehrer zu dem andern. »Ihr Kostgänger, nicht wahr, Herr Professor Kuhn?«

      »Mein Neffe und Pflegesohn. Sie sind verwaist, die beiden Schuberts.«

      »Ein aufgeweckter, netter Bursche; von allen merkt keiner außer ihm, daß dies Mädchen jemanden sucht.«

      »Ja, er ist immer dienstfertig, und wie eingehend er Bescheid gibt!«

      »Der betreffende Herr oder Dame, die die Mädchen hierher bestellt hat, scheint sich verspätet zu haben; aber da kommt schon wieder eine, das ist eine stattliche Person; und richtig, der kleine Schubert nimmt sich ihrer wieder an.«

      Die Herren Professoren lachten. Hätten sie das Zwiegespräch zwischen dem Dienstmädchen und Heinrich gehört, so wären sie wohl erstaunt gewesen.

      »Ich habe mir ja gleich gedacht, daß das nichts Rechtes ist,« sagte die große stattliche Köchin, »nur weil ich gerade vom Markt komme, hat mich die Neugier hereingetrieben, wer sich denn die Mädchen in den Gymnasiumshof bestellt. Daß es nur so ein kleiner Lausbub ist, hätte ich mir aber doch nicht gedacht.«

      »Es ist aber eine ganz gute Stelle,« sagte Heinrich, »und ich hab’s getan wegen meiner kleinen Schwester.«

      »Was wär’ denn hernach der Lohn?« fragte die Köchin von oben herab.

      »So genau weiß ich das nicht,« sagte Heinrich und dann, da hierauf das Mädchen höhnisch lachte und so gar nicht gutmütig aussah, fügte er offenherzig hinzu: »Ein besonders gutes Mädchen müßte es aber sein!«

      »Ja, ja, und eine rechte dumme dazu! Sieh, da kommt so was, das sieht dumm genug aus, um auf deinen Leim zu gehen.« Die Große verschwand, ein kleineres, vielleicht siebzehnjähriges Mädchen erschien im Hof, und diesmal ging Heinrich gleich auf sie zu.

      Oben bemerkte der Rektor: »Man könnte meinen, der kleine Schubert habe sie bestellt.«

      »Ja, wahrhaftig,« sagte sein Klassenlehrer, »er ist oft ein rechter Schelm und hat närrische Einfälle.«

      »Es kommt mir auch wunderlich vor,« meinte Professor Kuhn, dem es schon geraume Zeit unbehaglich zu Mute war, während er seinen Neffen beobachtete. Inzwischen hatte Heinrich in eiligen Worten – denn er fürchtete, das Ende der Pause möchte seine Unterhandlungen unterbrechen – dem Mädchen gesagt, er wisse eine feine Stelle bei einem alten Fräulein und einem herzigen kleinen Mädchen. Und dann schilderte er so rührend sein verwaistes Schwesterchen, daß er des Mädchens Teilnahme erregte. »Ich habe meine Mutter auch schon lange verloren,« sagte sie, »und deshalb bin ich schon seit meinem fünfzehnten Jahr im Dienst und hab’s so hart als Spülerin in einer Schenke. Wenn ich in ein so feines Haus kommen könnte!«

      »Freilich können Sie, da ist Name und Wohnung aufgeschrieben. Fahren Sie nur gleich am Sonntag hinaus, aber ja nicht sagen, daß ich Sie geschickt habe, bloß: Sie hätten’s gehört, nicht von wem. Und wenn Sie erst mein Klärchen sehen, dann werden Sie sich gar nimmer besinnen!«

      »Wie ist denn die Wohnung? Viele Zimmer und weiße Böden?«

      »Ja freilich, Platz genug und alles sauber und rein.«

      »Ich meine nur so, wenn’s so viele Zimmer sind, wegen dem Putzen, wenn alle Böden weiß sind –«

      »Ja so, ich glaube, sie sind doch nicht weiß, mehr so bräunlich –«

      »Vielleicht Parkett?«

      »Ja, ja wahrscheinlich.«

      »Parkett ist zum Reinigen fast noch anstrengender.«

      »Ich glaube auch gar nicht, daß sie Parkett sind, wie heißt man die Böden, die so bequem sind zum Putzen?«

      »Die angestrichenen.«

      »Ja, ja, angestrichen sind glaube ich alle.«

      »Und wie ist denn der Lohn?«

      »Der ist hoch und alljährlich wachsend, so viel ich weiß. Fräulein Stahlhammer wird Ihnen das alles sagen.«

      »Ist’s ein gutes Fräulein? Ich frage ja nur, weil’s das Kind nicht gut hat.«

      »Ja so, ja das Fräulein ist in allen wohltätigen Vereinen und schreibt sehr schöne Briefe.«

      »Ich wollte schon hinaus am Sonntag und mir’s ansehen, aber ums Fahrgeld ist mir’s halt.«

      »Ach, ans Fahrgeld habe ich gar nicht gedacht; aber warten Sie nur, ich kann Ihnen schon etwas geben; dreißig Pfennig kostet die Fahrkarte, so viel habe ich vielleicht noch Taschengeld, aber die Anzeige war so teuer.« Heinrich zog sein Beutelchen. »Nein, siebenundzwanzig sind’s nur noch, aber drei können Sie wohl darauflegen?«

      »Ja,« sagte das Mädchen gutmütig,

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