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muß eben putzen vor dem Fest, sonst ließe ich sie nicht allein, das arme Tröpflein!«

      »Wann kommt Fräulein Stahlhammer wieder?«

      »Ach, da kann’s leicht zehn Uhr werden, bis die Bescherungen vorbei sind.« Der Professor sagte kein Wort, ging mit raschen Schritten die Treppe hinauf und ins Zimmer. Da saß die verlassene Kleine allein im Halbdunkel am Tisch, ein trübseliger Anblick.

      Beim Erscheinen des Onkels leuchtete ihr ganzes Gesichtlein: der Onkel gehörte zu den Brüdern, er gehörte zu der Tante, die wie die Mama aussah, er gehörte zu dem, was sie lieb hatte!

      »Onkel,« sagte sie schmeichelnd, als er dicht zu ihr kam, um sie genau zu sehen, »Onkele, liebes, gutes Onkele, bist du zu mir gekommen?« und sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Diese Zärtlichkeit ging ihm zu Herzen, das Kind sah ihn doch so selten. Er schaute sich um im Zimmer. Er hatte gedacht, die Bescherung sei schon vorbei; aber da war kein Baum zu sehen. Nur ein kleiner Tannenzweig lag vor ihr. »Hat dir das Christkind schon beschert?« fragte er.

      »Ja, sieh nur, ein Hemd.«

      »Und sonst noch etwas? Nicht? Habt ihr keinen Christbaum?«

      »Bloß so viel davon,« sagte Klärchen und zeigte ihr Zweiglein; sie wußte ja nicht, daß im verschlossenen Gastzimmer neben der neuen Puppenküche schon das geputzte Christbäumlein bereit stand, um morgen seinen Lichterglanz zu verbreiten. Und auch der Onkel dachte an diese Möglichkeit nicht und war im innersten Herzen empört. Die Patin war unterwegs, um Fremden zu dienen, und das ihr anvertraute Geschöpfchen ließ sie am Weihnachtsfest ohne Bescherung, ohne Baum allein mit einem Hemd als Christgeschenk. Wenn sie keine Zeit und kein Herz für das Kind hatte, warum hatte sie dann nicht wenigstens zugegeben, daß es bei den Brüdern Weihnachten feiere? Es sollte aber sein Weihnachtsfest haben, das Kind, mochte die Patin zürnen, das war ihm ganz gleichgültig!

      »Klärchen,« sagte der Onkel, »zieh dich an, recht schnell, ich nehme dich mit mir, wir fahren gleich miteinander fort.« Und hinaus eilte er zu Mine: »Helfen Sie dem Kind, ziehen Sie es recht warm an, ich will es mitnehmen, ich bin sein Onkel.«

      Mine war hocherfreut, das paßte zu ihren Plänen. Klärchen selbst war ganz verwirrt, konnte kaum fassen, was so schnell mit ihr geschah. Aber Mine flüsterte ihr zu: »Zu deinen Brüdern darfst du, denke nur, die Freude, zur Weihnachtsbescherung! Ach, Herr Professor, wenn Sie die Kleine nur ganz behalten könnten, da wäre sie besser versorgt, das arme Ding!«

      »Sagen Sie Fräulein Stahlhammer, ich sei gekommen, dem Kind seine Weihnachtsgeschenke zu bringen, und da ich sie allein fand, hätte ich sie mitgenommen. Bis Neujahr bleibt sie jedenfalls bei uns, dann wollen wir weiter sehen. Komm Kind, komm, wir müssen gleich fort, damit wir den Zug noch erreichen.«

      Unten an der Treppe fiel dem Onkel noch etwas ein.

      »Mine,« rief er hinauf mit gewaltiger Stimme, die durchs ganze Haus dröhnte.

      »Was ist’s?«

      »Die Puppe muß mit, schnell bringen Sie sie herunter. Wo ist sie, Klärchen?«

      »Sie schläft in meinem Bett.«

      Im Augenblick war sie herbeigeschafft und Klärchen drückte sie sorglich an sich. Der Onkel trug das Weihnachtspaket; zur rechten Zeit war ihm noch eingefallen, daß es Puppenkleider enthielt, so war wohl die Puppe unentbehrlich. Nach kurzer Zeit waren sie am Bahnhof.

      Unterwegs sagte das Kind zu seinem Onkel: »Undankbar ist das nicht, wenn man fortgeht von der Patin, gelt, undankbar ist das nicht?«

      »Nein, nein,« beruhigte der Onkel, »ich habe dich geholt und du mußt mir folgen.«

      Ein halbes Stündchen Fahrt, ein Gang durch die Straßen der großen Stadt, und sie standen umringt von jubelnden Kindern, daß dem Klärchen aus ihrer Stille heraus ganz traumhaft zumute war.

      Der Professor suchte seine Frau auf, im Weihnachtszimmer traf sie eben die letzten Vorbereitungen zur Bescherung. Ein Loblied auf Fräulein Stahlhammer war es nicht, was jetzt gesungen wurde! »Du hast recht gehabt, ganz gewiß hast du recht gehabt, daß du das Kind entführt hast. Fräulein Stahlhammer soll es nur erfahren, wie anderen Menschen so etwas vorkommt. Ich kann es nicht begreifen, gar nicht fassen! Sie hat doch erst so schön geschrieben, daß sie dem Kind die neue Heimat lieb machen möchte durch eine schöne Weihnachtsfeier! Ist sie denn eine Heuchlerin?«

      – – Ach nein, eine Heuchlerin war sie nicht; hätte nur die gute Frau Professor gesehen, mit welch tiefem Schmerz Fräulein Stahlhammer bei ihrer Heimkehr – um acht Uhr war es – vernahm, daß ihr das Kind weggenommen worden war! Nachdem Mine ihr den ganzen Hergang berichtet und ein kleines Abendbrot aufgetragen hatte, fragte sie, ob sie noch zu ihren Verwandten gehen dürfe. Fräulein Stahlhammer sagte ja, ohne nur recht zu wissen auf was. Am Tisch, wo noch das Tannenzweiglein lag und das rotgebundene Hemd, saß sie, und bemühte sich vergeblich, Herr zu werden über die Empfindungen, die sie überwältigen wollten: Schmerz, daß sie dem Kind nicht den Weihnachtsbaum anzünden konnte; Beschämung, daß es so vernachlässigt erschienen war; Entrüstung, daß man ungefragt eingedrungen war und das Kind geholt hatte; und Befürchtung, daß es lieblose Worte über sie hören und von anderen um so mehr Liebesbeweise empfangen würde. Und je länger der Abend sich hinzog, totenstill in ihrem einsamen Haus, der Abend, an dem sie eben erst von den Schulkindern das Lied hatte singen hören: »Selbst die Hütte trieft von Segen,« um so bitterer empfand sie ihre Enttäuschung.

      Die alte, große Uhr, die in der Ecke des Eßzimmers wohl schon ein halbes Jahrhundert hing und in ihrem schönen, geschnitzten Kasten vom Boden bis hinauf reichte über die Türe, fing nun feierlich an zu schlagen mit einem Klang wie Orgelton, zehn Schläge. Da raffte sich Fräulein Stahlhammer auf und sah nach den großen goldenen Zeigern. Wirklich zehn Uhr? Wo waren die Stunden hingegangen? Vertrauert, verträumt, verloren! Das war kein »heiliger Abend«. Mit aller Gewalt riß sie sich heraus aus dieser Stimmung. Ihr selbst war ja das Fest verdorben, aber dem Kind nicht; das war wohl am glücklichsten bei den Geschwistern, so wollte sie ihm das Glück gönnen und nicht bitter gegen Klärchen sein. Das Christbäumchen konnte morgen auch eine Familie erfreuen, dann war es doch nicht umsonst aus dem Wald genommen. Aber dem Vormund wollte sie doch gleich schreiben, was sich begeben hatte; er konnte gelegentlich dem Onkel vorhalten, daß er nicht so eigenmächtig hätte handeln sollen.

      Dieser Brief, der am frühen Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertages bei dem Vormund ankam, versetzte den Mann in großen Zorn. Er war ein empfindlicher Herr, dieser Herr Rat Stahlhammer, nicht gewöhnt, daß ihm etwas gegen den Willen ging. Er war der Vormund, nicht der Professor, und wenn er als Vormund das kleine Mädel seiner Schwester übergab, so hatte nach seiner Meinung der Herr Professor durchaus kein Recht, sich das Kind eigenmächtig und gegen den Willen seiner Schwester zu holen. Das wollte er ihm sagen. Heute war noch Feiertag; es war wohl am besten, wenn er gleich heute nachmittag zum Professor ging und ihm seine Ansicht sagte. Gleich heute nachmittag? Das war nicht gleich, das war lang, das war viel zu lang für den Ärger, den er empfand und durchaus aussprechen mußte. Schon nach einer Viertelstunde war er unterwegs, um Professor Kuhn aufzusuchen.

      Ein langer Weg. Wie konnte man nur so weit hinausziehen! Die ganze Stadt mußte er durchqueren mit der Straßenbahn und dann erst noch ein Stück zu Fuß gehen und all das wegen des kleinen Mädels; das machte sich als Mündel recht unangenehm bemerkbar. Wegen so eines kleinen Rackers mußte er, der Rat, sich so bemühen, ganz ungehörig war das. Seine Schwester verstand es aber auch gar nicht, mit Kindern umzugehen! Warum war sie nicht daheim geblieben und hatte dem Kind einen Haufen gutes Zeug und Spielkram hingelegt, wie es so kleine Bälge nun einmal wollen an Weihnachten. Er hatte sich in einen gehörigen Zorn hineingearbeitet, der Herr Vormund, bis er glücklich am Haus des Professors angekommen war. Auch das Dienstmädchen ärgerte ihn, das die Türe aufmachte, denn auf seine Frage, ob Herr Professor zu Hause sei, antwortete sie: »Es tut mir leid.«

      »Ob’s Ihnen leid tut oder nicht, ist mir vollständig einerlei,« sagte er gereizt, »ist die Frau Professor zu Hause?« Das Mädchen hielt es nun für sicherer, bloß verneinend mit dem Kopf zu schütteln. Der Rat blieb einen Augenblick unschlüssig mit gerunzelter

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