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      Als nach ihres Bruders Weggehen Fräulein Stahlhammer ihr Pflegekind aufsuchte, und es allein in einer Ecke des Schlafzimmers still sitzend fand, kam es ihr vor, als habe sie dem Kind ein schweres Leid angetan. Ein fröhlicher Familienkreis hatte sich ihr geboten und sie hatte es daraus verbannt durch ihr Wort: »Ich will es behalten.« Und dieses Wort hatte sie nicht aus edlen Gründen gesprochen.

      Bitter enttäuscht waren die Brüder, als die abschlägige Antwort des Vormunds eintraf. Zu ändern war daran nichts mehr, das sahen sie ein, aber etwas konnte doch getan werden, so dachte wenigstens Heinrich und er schmiedete ganz im stillen Pläne. Mußte Klärchen bei der Patin bleiben, so sollte wenigstens Mine fort, und das wollte er bewerkstelligen.

      Am nächsten Sonntag wanderte er ganz allein nach Waldeck. Von vier bis sechs Uhr war die Patin im Verein der Dienstmädchen, das wußte er. Er strich ums Haus herum, bis er die hohe Gestalt der Fräulein Stahlhammer über die Straße schreiten sah, und bis sie endlich seinen Blicken in der Ferne entschwand; dann ging er hinauf und als ihm Mine öffnete, folgte er ihr in die Küche, ohne nach seiner Schwester zu fragen. Heinrich war ein gut Stück kleiner als Konrad, sah noch recht kindlich aus für seine zwölf Jahre, aber ein schelmisches, aufgewecktes Gesicht sah unter dem welligen Haar hervor.

      »Was willst du denn von mir, Heinrich?« fragte das Mädchen verwundert. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, Mine,« sagte er und zog aus seiner Tasche ein Zeitungsblatt hervor. Neugierig sah sie hinein, als er das Blatt aufschlug. »Da lesen Sie einmal, Mine, das ist unser Lokalanzeiger, da sind lauter schöne Stellen für Dienstmädchen ausgeschrieben. Zum Beispiel da: »Ein Dienstmädchen gesucht bei hohem Lohn,« und da »Bei guter Behandlung« und vollends die Anzeige müssen Sie lesen »Alljährlich steigender Lohn und beste Behandlung.« Mit großer Aufmerksamkeit folgte Mine Heinrichs Fingerzeig. »Fein,« sagte sie, »aber ich will ja gar nicht fort von hier.«

      »Warum denn nicht? In der großen Stadt ist’s doch schöner.«

      »Schon, aber ich habe hier einen guten Bekannten.«

      »Ach, gute Bekannte bekommen Sie bei uns auch, sogar einen Jungfrauenverein gibt’s.«

      »Das ist doch wieder was anderes,« sagte Mine, »und warum soll ich denn fort?«

      »Ich habe eben so gedacht,« sagte der Schelm ganz ernsthaft, »das Klärchen macht doch schon Arbeit und wenn nun mein Bruder und ich auch noch kommen –«

      »Zu uns? Ins Haus? Für ganz?«

      »Wir Geschwister möchten eben gern beisammen sein und Platz ist ja da. Wir haben freilich viele Sachen. Zum Beispiel meine Raupensammlung; die müßte ich schon in der Küche aufstellen, denn im Zimmer paßt das nicht, weil die Raupen doch manchmal durchgehen.«

      »Pfui tausend, sei mir still davon,« sagte Mine.

      »Oho, meine Raupen sind schön, da sehen Sie doch einmal,« und auf einmal zog er aus seiner Tasche ein Gläschen, in dem ein paar Raupen von der dicksten Sorte herumkrochen. Er band es auf, Mine wich ein paar Schritte zurück, er folgte ihr.

      »Geh mir weg mit dem häßlichen Getier, ich kann’s nicht leiden.«

      »So? das ist aber ärgerlich. Denn wo ich bin, da sind auch Raupen und beim besten Willen kann man das nicht vermeiden, daß sie manchmal herumkriechen.«

      »Schöne Aussicht!«

      »Darum meine ich eben auch, ob Sie nicht einen andern schönen Dienst suchen wollen?«

      »Ja, wenn drei Kinder ins Haus kommen und Ungeziefer dazu, dann gern. Es gibt ja auch hier Plätze genug. Mach doch dein Raupenglas wieder zu.«

      »Gleich, gleich, lassen Sie doch sehen, ich meine, es krabbelt schon eine an Ihrem Rücken, ja, jetzt kommt sie an den Hals.« Mine tat einen lauten Schrei. »Tu sie weg, du abscheulicher Bub du, gleich tu sie weg!«

      »Ja,« sagte Heinrich, »aber sachte, daß ihr nichts geschieht, es ist eine von meinen größten,« und der Schlingel berührte Mine sachte am Hals, so daß sie die Raupe zu verspüren meinte. »Ich bitte dich, Heinrich, sei so gut, nimm sie weg.«

      »Ja, wenn Sie mir versprechen, daß Sie gehen.«

      »Gern, gern, ich mag ja gar nicht mehr bleiben. Ist das Tier weg?«

      »Gleich kommt’s weg. Gehen Sie im nächsten Monat?«

      »Ja, ja, auf den Ersten, so bald wie möglich.«

      »Dann ist’s recht; da ist ja schon die Raupe wieder im Glas, sehen Sie nur.« Lachend lief er dem zürnenden Mädchen davon. »Jetzt will ich zu Klärchen,« sagte er.

      Als sich Mine ein wenig beruhigt hatte, nahm sie das Zeitungsblatt wieder; die feine Stelle mit dem alljährlich wachsenden Lohn fesselte sie doch und gab ihr zu denken; schließlich konnte man seine guten Bekannten auch von der Stadt aus treffen. Heinrich machte sich zeitig auf den Heimweg. Er war in vergnügter Stimmung. Der erste Plan war gelungen, nun kam der zweite. Zu Hause sagte er gar nichts davon, denn Onkel und Tante wollten sich nicht in die Angelegenheiten von Fräulein Stahlhammer mischen; es war ja auch nicht nötig, das konnte er schon selbst besorgen. Er wollte auch Konrad nicht einweihen, denn der hatte immer so vielerlei Bedenken und würde auch jetzt immer nur sagen: »Das geht nicht.« Es mußte aber fein gehen!

      VII.

      Unter der großen Anzahl von Dienstmädchengesuchen konnte man am nächsten Tag im Lokalanzeiger lesen: »Es wird ein recht gutes, freundliches Dienstmädchen gesucht bei stets steigendem Lohn. Näheres um zehn Uhr im Gymnasiumshof.«

      Als der Zeitungsträger den Lokalanzeiger wie jeden Tag mittags ins Haus brachte, sah Heinrich ganz begierig nach: richtig, da kam seine Anzeige unter vielen andern. Er war überzeugt, daß niemand außer Stellensuchenden diese Anzeige lesen würde und daß er gewiß ganz unvermerkt während der Unterrichtspause, die von zehn bis ein Viertel auf elf Uhr stattfand, in den Hof des Gymnasiums gehen und sich unter den Dienstmädchen, die da kommen würden, die freundlichste heraussuchen könne. Name und Wohnung der Patin hatte er schön deutlich auf einen Zettel geschrieben, den wollte er dann der Auserwählten geben, damit sie sich Fräulein Stahlhammer anbiete. Nur durfte sie nicht sagen, wer sie geschickt habe; wenn sie ihm nur das gewiß versprach!

      Es hatte aber doch noch jemand anders als nur Dienstmädchen die Anzeige gelesen. Der Schuldiener des Gymnasiums hatte eine Frau, die von der ganzen Zeitung nichts las als die Anzeigen, diese aber gründlich. Sie brachte am Abend ihrem Mann das Blatt. »Da sieh doch nur, wer kann das sein, der die Dienstmädchen in unseren Hof bestellt!« Der Schuldiener machte ein ernstes Gesicht. »Das ist ein Unfug,« sagte er »und muß dem Herrn Rektor gemeldet werden!«

      »Laß mich nur erst besinnen,« sagte die Frau, »es kommt doch darauf an, wer’s ist; das bring ich schon heraus, es muß ja von unseren Professoren jemand sein. Einer, der nicht will, daß das Mädchen sich in der Wohnung zeigt, weil der alten noch nicht gekündigt ist. Der Herr Rektor selbst ist’s natürlich nicht, der Herr kümmert sich nicht um das Dienstpersonal, und von den alten Herren täte so etwas auch keiner. Weißt du, wer das ist? Niemand anders als der neue Mathematikprofessor. Bei dem ist immer Magdnot, sie ist keine rechte Hausfrau und er ist ein guter Mann und ein absonderlicher. Der macht sich gar nichts daraus, wenn’s seine Frau haben will, und läßt die Mädchen kommen und schaut sie durch seine Brille an und nimmt dann natürlich die ungeschickteste. Da muß ich schon um den Weg sein und zum Rechten sehen, daß er nicht gar so dumm hineintappt. Brauchst dem Rektor nichts zu sagen.«

      Aber der Diener kannte seine Pflicht. Er ließ seine Frau reden und brachte das Zeitungsblatt dem Rektor der Anstalt, einem älteren ruhigen Herrn, dem schon Schwierigeres im Leben vorgekommen war. Ihm teilte er auch die Vermutung seiner Frau mit. »Es kann ja sein, daß Professor Graun, der hier noch fremd ist, auf diesen etwas wunderlichen Gedanken kam,« sagte der Rektor, »ich werde ihn vorher fragen, dann kann die Sache noch anders eingerichtet werden. Es wäre mir lieb, wenn sich Ihre Frau nicht einmischte, können Sie das verhindern?« fragte er mit feinem Lächeln.

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