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von seiner Absicht sagte, wehrte Klärchen ab. »Ich muß bleiben,« sagte sie, »bis die Patin heimkommt, ich muß still sein, daß ich nicht falle.« »Aber was hast du denn Böses getan?« fragte Konrad, und mit tiefem Ernst im Gesichtchen antwortete die Kleine: »Gelogen!« Das war auch nach Konrads Ermessen ein ernster Fall. »Wegen meinem Wickelkind,« sagte Klärchen. »Konrad, es ist in den Schnee gefallen,« und nun brach wieder der Jammer hervor. Aber da hatte Konrad den besten Trost. Schnell packte er sein kleines Ränzchen aus und hob hoch in die Höhe, daß es Klärchen wohl hätte erreichen können, das wiedergefundene Kleinod. Aber so groß auch ihr Verlangen war, sie wagte nicht, sich vorzubeugen. »Mein Wickelkind!« rief sie und winkte zärtlich mit den Händchen. »Warte, ich bringe dir’s.« Mit diesen Worten zog Konrad einen Tisch herbei, stieg hinauf und legte die Puppe in Klärchens Arme und nun, da er doch schon so hoch war, schwang er sich vollends auf den Schrank, setzte sich neben die kleine Schwester, legte den Arm hinter sie, und so beschützt fühlte sich die Kleine ganz glücklich; streichelte bald den Bruder, bald die Puppe, bekannte auch ihre Unwahrheit und nahm die brüderlichen Ermahnungen zur Wahrhaftigkeit sehr ernst auf.

      Während so das Geschwisterpaar nebeneinander saß, kam Fräulein Stahlhammer mit eilenden Schritten schon wieder auf ihr Haus zu. Sie hatte mehrere Besorgungen machen wollen, aber sie war kaum eine Viertelstunde aus dem Haus gewesen, als der Gedanke an Klärchen sie beunruhigte. Wenn das Kind herunterfiele? Aber sie selbst war auf diesem Strafplatz als kleines Mädchen auch gesessen und öfter als einmal ihr Bruder, und man konnte doch von dem breiten festen Schrank gar nicht herunterfallen. Aber Klärchen war zarter, ängstlicher, wenn sie sich zu sehr aufregte oder wenn sie einschliefe? Nein, sie wollte lieber ihre Ausgänge ein andermal machen und heimgehen. »Ich hätte nicht fortgehen sollen,« sagte sie sich, »aber meine Mutter ist auch einmal fortgegangen.« Ja, Fräulein Stahlhammer wußte es noch genau, ihr Bruder war wohl schon eine Stunde lang zur Strafe droben gesessen, und so oft ihn die Mutter fragte, ob er nun brav sein wolle, hatte er trutzig die Antwort verweigert. So war die Mutter fortgegangen und er hatte bis Abend ausharren müssen. Ob wohl auch Klärchen so trutzig sein würde? Wie würde sie sie wohl finden? Ungewöhnlich rasch stieg sie die Treppe hinauf, schloß die Wohnung auf und öffnete mit wahrem Herzklopfen die Türe des Zimmers. An viele Möglichkeiten hatte sie gedacht, aber an die nicht, daß statt eines Kindes zwei auf dem Schrank sitzen würden. Wie ein Schutzengel erschien ihr der Knabe da oben, der die ängstliche Kleine umschlungen hielt; nur waren die langen Beine, die da in beschmutzten Stiefeln am Schrank herunter hingen, so gar nicht engelhaft anzusehen. Und nun machte der Schutzengel einen Satz herunter auf den Tisch, von da auf den Boden, grüßte in einiger Verlegenheit und sagte: »Ich bin gerade zufällig mit der Puppe gekommen und habe sie Klärchen hinaufgereicht.«

      Im ersten Augenblick war Fräulein Stahlhammer nur glücklich gewesen, daß sie das Kind wohlbehalten vor sich sah, im zweiten dachte sie: Hätte lieber mein Bruder statt ihr Bruder Klärchen so getroffen. Was wird er denken und daheim berichten von mir! »Klärchen ist in Strafe,« sagte sie jetzt, »weil sie mir die Wahrheit nicht gesagt hat. Aber sie will jetzt gewiß wieder brav sein,« fuhr sie fort, sich zu dem Kinde wendend und voll Sorge, ob es nun einen peinlichen Auftritt geben werde. »Ich bin schon die ganze Zeit brav gewesen,« sagte Klärchen, »der Schrank hat auch gar nicht gewackelt.«

      »So ist’s recht,« sagte die Patin, der es ganz leicht ums Herz wurde, »dann komm, mein Kind!« Und sie faßte Klärchen und hob sie herunter.

      Es war inzwischen Mittag geworden und Fräulein Stahlhammer lud Konrad zu Tisch. Er nahm es dankbar an; noch hatte er die Frage nicht über die Lippen gebracht, ob er einige Tage bleiben dürfe. Daheim war er wie ein Märtyrer angesehen worden, daß er seine Ferienzeit bei Fräulein Stahlhammer zubringen wollte, jetzt aber kam er sich nur wie ein zudringlicher Gast vor. Die Schwester kam ihm unwillkürlich zu Hilfe.

      »Darf denn der Konrad jetzt oft da essen?« fragte sie und rückte ihren Stuhl ganz dicht an den seinigen.

      »Das will er selbst nicht,« sagte Fräulein Stahlhammer, »sonst dürfte er’s wohl.«

      »O doch, ich möchte schon, wenn Sie es erlauben,« sagte er, sich an die Patin wendend, »dürfte ich einige Tage dableiben?« Fräulein Stahlhammer schien betroffen. Sie hatte so ein unbestimmtes Gefühl, als habe man ihr einen Kundschafter ins Haus geschickt, denn freiwillig war noch nie ein Kind zu ihr gekommen.

      »Warum möchtest du da bleiben?« fragte sie und sah ihn fest dabei an. Unwillkürlich erinnerte sich Konrad, wie er daheim gesagt hatte, er möchte dahinter kommen, wie Fräulein Stahlhammer eigentlich sei, und das harte Urteil, das man über sie gefällt hatte, kam ihm ins Gedächtnis. Er geriet in sichtliche Verlegenheit; den wahren Grund konnte er nicht angeben, Ausflüchte zu machen war er nicht gewöhnt. Aber Fräulein Stahlhammer brauchte auch keine Antwort mehr. Sie wußte genug. Ruhig und fest, ihre große Gestalt stramm aufrichtend, sagte sie: »O ja, du kannst hier bleiben so lange du willst; dein Onkel und deine Tante können auch selbst kommen, und es ist mir sogar lieber, sie bleiben länger da als wenn sie, wie dein Onkel an Weihnachten, auf fünf Minuten kommen und dann ganz falsche Eindrücke mit wegnehmen.«

      Es war gut, daß Klärchen in der Herzensfreude über des Bruders längeren Besuch voll Fröhlichkeit war und harmlos plauderte, sonst wäre das Mittagessen wohl etwas peinlich gewesen.

      Fräulein Stahlhammer war unwillkürlich zurückhaltend; es lag ihrem Wesen fern, sich einen guten Schein geben zu wollen; sie war in diesen Tagen eher weniger herzlich gegen Klärchen als sonst, und das Kind, da es seinen geliebten Bruder als Gespielen hatte, wandte sich nie an die Patin. Die Geschwister waren viel allein miteinander und da ging der Kleinen das Herz auf, und allmählich kam alles zu Tag, was sie erlebt hatte. Immer kehrte in ihren Berichten der Satz wieder: »Das darf man nicht vor der Patin sagen, Mine hat es verboten.« Auch daß Mine oft fortging und Klärchen ganz allein zu Hause ließ, kam unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit heraus, und Konrad war noch keine acht Tage im Haus, als er schon den Eindruck hatte, daß die anscheinend so wohlmeinende Mine auf sein Schwesterchen nur einen schlimmen Einfluß ausübe, obwohl er nicht recht durchschauen konnte, warum. Mit schwerem Herzen trennte er sich, als die Feiertage vorüber waren, von der Kleinen, die ihn nicht ziehen lassen wollte. Es war ihm, als ließe er sie unter Fremden, während er selbst in einen trauten, fröhlichen Familienkreis heimkehren durfte.

      Herr und Frau Professor Kuhn hatten inzwischen einen Beschluß gefaßt. Wenn Konrad mit ungünstigen Berichten zurückkäme, so wollten sie an Ostern, wo einer ihrer Kostgänger abgehen würde, dem Vormund anbieten, Klärchen zu sich zu nehmen.

      Und nun kam Konrad, noch betrübt von dem Abschiedsschmerz, und gleich der Beginn seiner Erzählung, wie er die Kleine auf dem Schrank in Strafe getroffen habe, weil sie nicht gewagt habe, das Ungeschick mit der Puppe einzugestehen, erregte einen Sturm der Entrüstung; und als er noch den zweifelhaften Einfluß Mines hervorhob, wurde beschlossen, noch heute an den Vormund zu schreiben. Der Professor faßte einen Brief ab, in dem er sich erbot, Klärchen zu sich zu nehmen, da sie ja nur auf Probe bei Fräulein Stahlhammer untergebracht sei. Die Geschwister wären wohl am glücklichsten, wenn sie beisammen wären.

      Herr Stahlhammer saß eben am Frühstück, als der Brief ankam. Er erbrach ihn schon mit gerunzelter Stirne und sie wurde nicht heller beim Durchlesen. Am nächsten Sonntag fuhr er zu seiner Schwester hinaus und legte den Brief vor sie. »Da lies,« sagte er, »dieses Getue mit dem Kind ist mir allmählich zuwider.« Fräulein Stahlhammer las den Brief. Der Kundschafter hatte also keine befriedigende Kunde gebracht. Das tat ihr weh. Sie tat doch an dem Kind was sie konnte. Sie hätte es vielleicht selbst nach einem halben Jahr gern abgegeben, aber daß diese Familie es ihr abverlangte, verletzte sie. Konrad war nett gewesen, sie hatte ihm zugetraut, daß er Gutes berichten würde. Er kam ihr falsch vor. »Was soll ich den Leuten antworten?« fragte ihr Bruder.

      »Daß ich das Kind behalten will,« sagte Fräulein Stahlhammer bestimmt.

      »Dauernd?«

      »Ja, dauernd!«

      »Das ist mir sehr angenehm, Schwester. Ich werde dem Professor Bescheid geben und dann wird hoffentlich von dem Mädchen nicht mehr gesprochen, bis es konfirmiert ist; wenn alle Mündel so viel Plage machten,

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