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Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper. Agnes Sapper
Читать онлайн.Название Gesammelte Kindergeschichten & Romane von Agnes Sapper
Год выпуска 0
isbn 9788027208784
Автор произведения Agnes Sapper
Издательство Bookwire
»Ich muß aber doch Konrad und Heinrich lebwohl sagen.«
»Du hast keine Zeit mehr, mein Herzchen.«
»O nur einen Augenblick,« rief die Kleine und sprang hinüber in das Schlafzimmer, wo die beiden Brüder, die nachts so spät eingeschlafen waren, noch schliefen. »Lebwohl, Konrad, lebwohl, Heinrich, ich muß zur Patin,« rief sie, aber noch ehe die Brüder recht wach waren, tönte die Hausglocke noch einmal so heftig und laut, daß die Kleine erschreckt hinaussprang und schnell mit Rike die Treppe hinunter eilte.
Der Herr Rat schien sehr ungeduldig, zeigte ein böses Gesicht, und als Rike vollends das Kind noch an sich drückte und ihm unter lautem Schluchzen lebewohl sagte, rief er: »Sie alberne Gans, muß sie dem Kind das Herz noch schwer machen?« Ungeduldig zog er das Kind von ihr weg und führte es in großen, eiligen Schritten nach der Bahn.
Als Rike wieder hinaufkam, wurde sie von Konrad und Heinrich mit Fragen bestürmt. »Wo ist Klärchen hingekommen? Mit wem ist sie gegangen? Warum hat man uns das nicht vorher gesagt? Warum hast du uns nicht früher geweckt?«
Da sie nun hörten, daß der Vormund ausdrücklich befohlen habe, sie nicht zu wecken, geriet Heinrich in eine wahre Wut, wollte der kleinen Schwester nacheilen und sie mit Gewalt zurückholen. Nur mit Mühe konnten Rike und Konrad ihn überzeugen, daß das vergeblich wäre. Wie ein Balsam war es für die aufgeregten Gemüter, als ganz unerwartet in aller Frühe die Tante, Frau Professor Kuhn, eintrat. Sie war die Schwester der verstorbenen Mutter und ihr sehr nahe gestanden. Sie sah sogleich, wie es stand: daß Konrad kaum seinen tiefen Schmerz bemeistern konnte, und Heinrich sich ganz dem Zorn hingab. »Ich habe mir’s gedacht, wie es euch ums Herz sein wird, liebe Kinder, darum bin ich so frühe schon zu euch gekommen. Ich hätte so gerne gestern abend den Vormund bestimmt, daß er die Sache anders einrichte, aber er hielt es so fürs Beste und da konnte ich nichts machen.«
»Das ist einfach grausam und abscheulich vom Vormund,« fuhr Heinrich auf, »uns heimlich so die Schwester wegzunehmen ohne Abschied!«
»Der Kleinen ist’s vielleicht wirklich so am leichtesten geworden,« begütigte die Tante, »sie war gewiß nicht so traurig, als wenn sie euren Schmerz gesehen hätte.«
»Ja, das ist wahr,« sagte Rike, »gar nicht geweint hat sie und so gutwillig hat sie sich fortführen lassen wie ein Lämmlein zur Schlachtbank.«
»Der Vergleich paßt nun doch gottlob nicht,« sagte lächelnd die Tante, »mit der Schlachtbank wollen wir das Haus der Patin nicht vergleichen.« Dabei legte sie den Hut ab, setzte sich zu den Kindern, trank ein Täßchen Kaffee mit ihnen und war so liebreich, daß die Brüder sich allmählich beruhigten.
»Was ist wegen uns beiden beschlossen worden, Tante?« fragte Konrad; »können wir im Haus bleiben?«
»Nein, das nicht, ihr würdet gar bald selbst einsehen, daß ihr in einer Haushaltung ohne Vater und Mutter nicht versorgt wäret. Wenn ihr aber gern zu uns kommt, so nehmen wir euch ganz als Kinder auf, der Onkel und ich. Am liebsten hätten wir freilich euch alle drei mitgenommen, aber wir können es mit dem besten Willen nicht machen. Es wird schon jetzt das Haus fast zu eng sein, aber wir wollen uns gerne behelfen, und meine drei Buben und auch die vier Kostgänger freuen sich auf euch.«
Konrad stand auf, küßte die Tante tief bewegt und dankte ihr für ihre Güte und auch Heinrich war wieder getrost, ohne die Mutter und Klärchen wäre es doch nicht mehr schön gewesen im Haus. Die Tante hatte aber noch einen Trost. »Die Patin wohnt ja in Waldeck, das wißt ihr; es ist nur ein halbes Stündchen mit der Bahn oder ein paar Stunden zu Fuß; da könnt ihr Sonntags Klärchen besuchen.«
»Das ist fein, Tante,« sagte Heinrich. »Wenn nur die Patin so wäre wie du oder die Mutter, dann wäre ich ganz getrost wegen Klärchen. Aber sie ist so ganz anders, ich glaube, Klärchen wird sich fürchten vor ihr.«
»Es soll aber ein vortreffliches Fräulein sein, die Patin; sie tut sehr viel für Arme und Vereine, da muß sie doch ein gutes Herz haben, und Klärchen wird das schon herausfühlen.«
»Wann dürfen wir zu euch übersiedeln, Tante?«
»Sowie ich daheim alles für euch gerüstet habe und hier die Haushaltung aufgelöst ist, holt euch der Onkel. Bis dahin haltet euch still und lieb bei eurer Rike.«
Die Tante ging und die Knaben blieben in dem Haus zurück, das ihnen ganz verändert schien. Seit dem Tod der Mutter und der Abreise des Schwesterchens war jeder Sonnenschein daraus gewichen und sie mußten sich selbst sagen: Es wäre nicht schön, so fortzuleben.
III.
Am Nachmittag stand Mine, das Dienstmädchen von Fräulein Stahlhammer, unter der Haustüre und plauderte mit dem Mädchen des Nachbarhauses. »Ist’s wahr, daß dein Fräulein heute ein Waisenkind mit heimgebracht hat, das ganz bei euch bleiben soll?«
»Es ist schon so, wenigstens für ein halbes Jahr auf Probe; ein kleines nettes Dingchen ist es, das einen ganz treuherzig anblickt. In seinem schwarzen Trauerkleidchen sieht es ganz ernsthaft aus und tut einem leid, so früh verwaist.«
»Nun, es wird’s gut bekommen bei euch, und bald wieder lustig sein.« Aber Mine schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht brauchen, es muß mir wieder fort aus dem Haus.«
»Wie du redest! Das wird dein Ernst nicht sein!«
»Freilich ist’s mein Ernst. Kann ich ein Kind brauchen? Kann ich wie bisher abends ausgehen, wenn das Fräulein im Verein oder in der Ausschußsitzung ist und das Kind daheim läßt? Kann ich Sonntags hin, wo ich will, wenn das Fräulein im Mägdehaus zum Vorlesen ist und mir das Kind übergibt?«
»Es ist wahr, so gut hast du’s dann nimmer wie bisher, aber du wirst’s nicht ändern können.« – »Das wollen wir erst sehen! Es waren schon einmal zwei Waisenkinder da, aber nicht lange, dafür habe ich gesorgt!«
»Du wirst doch dem unschuldigen Kind nichts tun?«
»Behüt’ mich Gott, da würde ich mich der Sünde fürchten! Im Gegenteil, ich tue ja dem armen Würmchen nur Gutes, wenn ich sorge, daß es anderswohin kommt, wo es lustiger zugeht. Das wird ganz schlau gemacht, du wirst sehen, es bleibt kein halbes Jahr. Aber ich muß hinauf, mein Fräulein hat schon zweimal gerufen; sonst braucht sie nie etwas um diese Zeit, so ist’s eben, wenn ein Kind da ist, fort muß es!«
Oben in dem großen Wohnzimmer saß Fräulein Stahlhammer und ihr gegenüber das Kind. Ihm kam es so unheimlich vor in dem fremden Raum bei der Patin, die sie kaum kannte. Noch nie war die Kleine von zu Hause fort gewesen, und nun überkam sie ein schmerzliches Heimweh, und anstatt die Milch zu trinken, die vor ihr stand, fing sie ganz bitterlich an zu schluchzen. »So war es damals auch,« dachte Fräulein Stahlhammer, »als die zwei Waisenkinder den ersten Tag bei mir zubrachten; es ist Kindern unheimlich bei mir, und wenn die größeren sich nicht bei mir eingewöhnten, wie sollte es das kleine Geschöpfchen fertig bringen?« Ihr Herz trieb sie, Klärchen zu trösten, aber sie wollte dieses Kind nicht auch mit Liebe verwöhnen, sie hielt sich zurück und sagte: »Du wirst wohl müde sein, weil du früh aufgestanden bist; ich will Mine rufen, daß sie dein Bett richtet, dann schläfst du ein Stündchen.« Als das Bett gerichtet war und Fräulein Stahlhammer das weinende Kind ins Schlafzimmer führen wollte, ergriff Mine rasch die kleine Gestalt, hob sie auf den Arm und sagte: »Es wird besser sein, wenn ich sie das erstemal lege, sie fürchtet sich wohl noch vor der großen Patin,« und Fräulein Stahlhammer ließ es zu. Beim Auskleiden sagte Mine zu der Kleinen: »Weinen darfst du nicht, sonst wird die Patin böse, darfst auch nicht merken lassen, daß du nach deiner Mama Heimweh hast. Wenn du Heimweh hast, dann sag’ du’s nur immer mir, vor der Patin sei ganz still.«
Bald hatte Klärchen sich in den Schlaf geweint und Mine verließ das Zimmer. »Ich will schon für das Kind sorgen, wenn es aufwacht, solange Sie in Ihrem Verein sind,« sagte Mine zu Fräulein Stahlhammer und diese dachte: »Wie froh bin ich, daß Mine die Kinder gern hat und besser versteht als ich.« Ehe sie aber in den Verein ging, schlich