Скачать книгу

Glaubens zu verstehen, vernünftig zu durchdenken und in ihrer Logik zu erklären. Aber Logik allein genügte nicht, um erfolgreich zu inkulturieren.

      Das musste Berengar von Tours (gestorben um 1088) erfahren. Er wollte mit Logik und Vernunft den Glauben erklären. Er sagte: »Ich verlasse die Worte der Väter und der Tradition nicht. Aber wenn die Dialektik, die Logik, die Vernunft die Wahrheit klarer erkennen lassen, so will ich lieber die Autorität der Tradition und der Väter beschneiden als die Vernunft. Denn in unserer Vernunft besteht die Gottebenbildlichkeit.« Diesen Grundsatz wandte er auf das Abendmahl an. Er konnte es mit seiner Logik nicht einsehen, dass sich das Brot auf dem Altar beim Abendmahl in das Fleisch des gekreuzigten und erhöhten Herrn verwandelt. Eine solche Verwandlung würde voraussetzen, dass das Brot zu existieren aufhört und das Fleisch zu existieren anfängt, was aber nicht sein kann, weil das Fleisch unseres Herrn bereits seit seiner Auferstehung im Himmel ist.

      Aber trotz aller Logik der Argumentation wurde Berengar kräftig widersprochen und bekämpft. Ist Gott nicht allmächtig, so dass er das Unmögliche und Unlogische tun kann? So wie er Steine in Brot verwandeln kann? Schließlich wurde Berengar vor den Papst geschleppt und musste das Bekenntnis unterschreiben, dass das Brot auf dem Altar der Leib Christi sei und sinnfällig durch die Zähne der Gläubigen zermalmt werde. Es war riskant, seine Vernunft zu gebrauchen, die Logik der Dialektik einzusetzen, wenn man dabei die religiöse Praxis und Tradition verletzte. Wer in der Inkulturation erfolgreich sein wollte, musste eben drei Dinge gleichzeitig tun:

      1 dem germanischen Weltgefühl entsprechen;

      2 logisch argumentieren;

      3 die Tradition und Frömmigkeitspraxis nicht verletzen, sondern bestätigen.

      Der, dem das besonders gut gelang, ist Anselm von Canterbury. Er hat eine überaus erfolgreiche Theologie entwickelt, die das fromme Denken der folgenden Jahrhunderte bestimmt hat. Er ist schuld daran, dass wir bis heute die Frage stellen: »Braucht Gott das Sühnopfer Jesu?« und eifrig darüber diskutieren.

      Anselm von Canterbury Es überrascht mich immer wieder, wie international die Lebensläufe großer Menschen des Mittelalters waren. Konnten sie deshalb so umfassende Theorien entwickeln, weil sie auch geographisch mit einem weiten Horizont dachten und lebten?

      Anselm wird 1033 in Aosta (Italien) geboren. Mit 23 Jahren tritt Anselm in ein französisches Benediktinerkloster ein. Er wird Abt. Dann wird er zum Erzbischof von Canterbury berufen. Wegen politischer Auseinandersetzungen (Investiturstreit) muss er zweimal für längere Zeit aufs Festland fliehen. Er stirbt 1109. 1494 wird er heilig gesprochen und 1720 von Clemens XI. zum »doctor ecclesiae«, zum »Lehrer der Kirche«, ernannt, also 600 Jahre nach seinem Tod. Schon daraus kann man die lang anhaltende Bedeutung dieses großen Theologen erkennen.

      Uns interessiert hier seine Lehre, mit der er dem Tod Jesu die wichtige sühnende Funktion gibt. In seiner Schrift »Cur Deus homo?« (Warum wurde Gott Mensch?) entwickelt er diese Gedanken, in denen man deutlich germanische Prinzipien wiedererkennt: Der Mensch hat durch seine Sünde die Ehre Gottes verletzt. Nun darf Gott nicht mild und barmherzig reagieren. Einfach durch Barmherzigkeit die Schuld niederzuschlagen, ziemt sich nicht.

      Wie der germanische Lehnsherr von seinem Vasallen zwingend Genugtuung, Satisfaktion verlangt, also Wiedergutmachung, so verlangt auch Gott vom Sünder Satisfaktion. Schuld muss gesühnt werden, Gott kann nicht verzeihen ohne Satisfaktion. Alle Sünde verlangt Bestrafung und Genugtuung. Nur so kann die Gerechtigkeit, der höchste Wert, wiederhergestellt werden.

      Wer aber kann diese Genugtuung leisten? Der Mensch? Natürlich nicht. Denn selbst wenn er gerecht wäre und nur gute Werke täte, brächte er Gott nur das entgegen, was er ihm ohnehin schuldet. Nur einer, der größer ist als der Mensch, nur Gott selbst, kann Genugtuung leisten. Aber da Menschen die Ehre Gottes verletzt haben, muss dieser eine nicht nur Gott sein, sondern auch Mensch.

      Darum gibt einen logischen Ausweg: Gott selbst wird Mensch. Nur der Gottmensch, der ohne Sünde ist, kann die Ehre Gottes wiederherstellen, indem er den Tod auf sich nimmt als das Strafleiden, das er nie verdient hat, weil er ohne Sünde war, aber das er stellvertretend für uns erleidet.

      Der Tod Jesu ist die Entschädigung Gottes für die Sünden der Menschen, weil Jesus Gott nur ein sündloses Leben schuldet, nicht aber den Tod. Der Sühnetod Jesu ist die logische Notwendigkeit zur Wiederherstellung der Ehre Gottes und zur Erlösung der Sünder. Durch das Blut Jesu, das vergossen wird, erfährt der gekränkte Gott die Genugtuung. Jesu SelbstOpferTod hat den Menschen Heil und Seligkeit verschafft.

      Natürlich ist auch das nur ein logisches Konstrukt, eine gute Interpretation unter vielen anderen. Aber es kommt daher in der Gestalt eines Dogmas, im Gewand der Wahrheit: »So ist die Wahrheit«. Und diese Lehre findet Akzeptanz. Sie leuchtete ein: Weil sie germanisch war, weil sie logisch war, weil sie der Bibel und der kirchlichen Tradition vom Tod Christi wunderbar zu entsprechen schien und viele Stellen der Bibel sich von daher gut erklären ließen.

      Anselm auch bei Protestanten Diese Lehre ist unglaublich wirksam gewesen. Sie hat auch die Reformatoren beeinflusst. Schlagen wir die lutherische »Confessio Augustana« auf, dann lesen wir dort über Jesu Leiden und Sterben, »dass er ein Opfer wäre nicht allein für die Erbsünde, sondern auch für alle andere Sünde und Gottes Zorn versöhnt«.

      Und lernen reformierte Christen den Heidelberger Katechismus auswendig, dann haben sie bei der Frage 37 (»Was verstehst du unter dem Wörtchen ›gelitten‹?«) aufzusagen: »Daß er an Leib und Seele die ganze Zeit seines Lebens auf der Erde, besonders aber an dessen Ende, den Zorn Gottes gegen die Sünde des ganzen Menschengeschlechts getragen hat […], um mit seinem Leiden als dem einmaligen Sühnopfer […] unseren Leib und unsere Seele von der ewigen Verdammnis zu erlösen und uns Gottes Gnade, Gerechtigkeit und ewiges Leben zu erwerben.«

      Auch in zahllosen Gesangbuchliedern lebt diese Theologie weiter. Wenn im Gottesdienst die Nummer 102,2 angeschlagen ist, dann singt die Gemeinde mit Luther aus dem Evangelischen Gesangbuch (EG):

       »Der ohn Sünden war geborn,

       trug für uns Gottes Zorn,

       hat uns versöhnet,

       dass Gott uns sein Huld gönnet.

       Kyrie eleison. «

      Zu Weihnachten hört man bisweilen den Kehrvers aus dem Lied EG 29: »Gottes Sohn ist Mensch geborn, hat versöhnt des Vaters Zorn.«

      Aber Gottesdienstbesuchern fällt doch auf, dass solche Lieder, in denen die Opfertheologie sehr deutlich vorkommt, in denen gar vom Zorn Gottes die Rede ist, der versöhnt werden muss, nur sehr selten gesungen werden. Deutet sich da etwa eine neue Inkulturation an, eine Inkulturation weg von der mittelalterlichen Sühnopfertheologie?

      Kritik kommt auf Wie wenig diese Lehre zu anderen Sätzen und Botschaften der Bibel und der Tradition passte, wurde zunächst nicht wahrgenommen. Trotzdem wurden seit der Aufklärung bis heute Vorwürfe und Einwände gegen Anselms Lehre immer lauter, die ich gut nachvollziehen kann. Hier nenne ich einige mir wichtige Punkte:

      1 »Gott ist Liebe« – das ist doch die Botschaft des Evangeliums! Wie kann aber die Kränkung der Ehre Gottes und sein Zorn darüber das Motiv für die Menschwerdung Jesu sein statt der Liebe Gottes? Jesu Leben verdankt sich nicht unserer Sünde, nicht Gottes Gekränktsein, sondern allein der Liebe Gottes zu seiner Menschheit.

      2 Wo bleibt bei Anselm die Freiheit Gottes? In dieser Theologie ist Gottes Liebe nicht der oberste Wert, sondern die Liebe steht unter dem Zwang der Gerechtigkeit. Bei Anselm darf – entsprechend dem germanischen Denken – Gott nicht einfach vergeben, nicht einfach aus Liebe handeln. Er muss vielmehr die Gerechtigkeit durchsetzen. Da ist Gott sehr unfrei.

      3 Die Bibel verabscheut Menschenopfer. Mit Schaudern beobachtet das Alte Testament, dass andere Völker Kinder opfern oder sie z. B. töten, um ihre Leichen in neue StadtmauerBefestigungen einzumauern. Wenn aber Gott seinen Sohn opferte, täte er nicht vergleichbar Schauerliches? Dass Gott seinen Sohn benutzt als Opfer, ist eine absurde Vorstellung. Noch absurder

Скачать книгу