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Mädchen im Ocean. Axel Rudolph
Читать онлайн.Название Mädchen im Ocean
Год выпуска 0
isbn 9788711445143
Автор произведения Axel Rudolph
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Klaus Dirk steht noch einen Moment unschlüssig. Sein Blick fliegt wie fragend zu der jungen Dame hinüber, kehrt dann zu dem Antlitz Mr. Tsugenos zurück. Aber dieses Antlitz ist jetzt kalt wie grauer Stein. Klaus Dirk begreift, dass es wirklich sinnlos ist, diesen Mann noch weiter überreden zu wollen. Er macht eine kleine, stumme Verbeugung und lässt sich von dem an der Tür wartenden Boy wieder hinausführen.
„Ein ungeschickter junger Mann“, bemerkt Tsugeno gleichgültig, als der Besucher verschwunden ist. Lis van Dersen kennt das Gesicht ihres väterlichen Wohltäters gut genug, um zu wissen, warum Tsugeno plötzlich so kalt und abweisend wurde.
„Sie halten seine Insel für Schwindel, Mr. Tsugeno?“
„Die Insel nicht. Sie existiert wirklich. Und die Besitzrechte des Mr. Dirk scheinen auch in Ordnung zu sein. Aber er hätte nicht das Märchen von dem Tiefwasser auftischen sollen. Nach den angestellten Vermessungen der Behörden befindet sich an der Küste dieser neuen Insel kein Tief.“
„Kann Mr. Dirk nicht trotzdem eine solche Stelle entdeckt haben?“
Der Japaner lächelt verzeihend. „Möglich ist alles. Aber wahrscheinlicher erscheint es mir, dass der junge Mann den Versuch machte, mich zu belügen, da er sah, dass ich ihm das Kapital nicht geben wollte.“
„Wie ein Lügner sah dieser Mr. Dirk gar nicht aus!“
Tsugeno nickt bestätigend. „Das tat er nicht. Aber was wil das sagen. Erinnern Sie sich an den jungen Turner, Lis? Ein sympathischer, braver Mensch, nicht wahr. Er sah aus, als könne man ihm ein Vermögen anvertrauen. Und doch . . .“
„Ach, das ist doch Unsinn!“ Lis bekommt rote Wangen. vor Erregung. „Das kann doch nur ein Missverständnis sein, dass man John Turner in Haft gesetzt hat! Oder irgend ein Halunke hat ihn verleumdet! John Turner ein Landesverräter? Das ist einfach lächerlich. Sie werden ihn sicher bald wieder freilassen und sich entschuldigen müssen!“
„Es tut mir leid, Lis.“ Tsugeno langt mit ernstem Gesicht nach der Zeitung auf dem kleinen Nebentisch und hält sie zögernd in der Hand. „Ich weiss, dass Sie mit dem jungen Turner befreundet waren und viel von ihm hielten.“
„Er ist der beste Tennispartner, den ich kenne.“
„Um so weher wird Ihnen tun, was ich Ihnen sagen muss, weil Sie es doch erfahren werden. Die ganze Stadt weiss es schon. Und was Ihnen weh tut, Lis, das tut auch mir weh.“
„Was ist denn? Etwas mit Turner?“
„Der Private Soldier John Turner ist heute morgen wegen Landesverrats in der Citadelle erschossen worden.“
„Das ist nicht wahr!“ Lis van Dersen reisst das Zeitungsblatt so heftig aus Tsugenos Hand, dass es in Fetzen geht. Ihre Hände fliegen, während sie die Nachricht liest. Kitsao Tsugeno sieht ehrlich bekümmert aus.
„Unsere Menschenkenntnis ist Stückwerk, liebe Lis. Auch ich hätte das nie von Mr. Turner erwartet.“
„Aber das kann doch nicht wahr sein!“ Völlig fassungslos lässt Lis van Dersen das Blatt sinken. „Es . . . es muss ein Irrtum sein, ein entsetzlicher Justizirrtum!“ Tsugeno wiegt bedächtig den Kopf. „Ich glaube kaum, Lis. Bedenken Sie, der junge Soldat ist in ordentlichem Gerichtsverfahren verurteilt worden. Und man hat ihn nicht einmal begnadigt. Die britischen Richter sind sowohl kluge wie gewissenhafte Herren. Wenn irgend ein Zweifel an der Schuld Turners geblieben wäre, so hätte man sicherlich nicht das Urteil vollstreckt. Er muss sich also doch wohl schuldig gemacht haben.“
Lis van Dersen schauert in den Schultern nud hat ein Gefühl, als ob die Farbenpracht der Blumen rings um sie auf einmal fahl und falsch geworden sei. Wie oft hat sie mit John Turner zusammen Tennis gespielt. Er war ein bisschen verliebt in sie, wie die meisten jungen Leute der englischen Kolonie, aber er hat nie ein Wort fallen lassen, das sie hätte zurückweisen müssen. Ein liebenswerter, guter Junge. Und nun . . .? Tsugeno hat ja recht: Die Richter würden ein so hartes Urteil nicht vollstrecken lassen, wenn er nicht vollkommen des Verbrechens überführt wäre. John Turner ein Landesverräter! Wie hässlich das ist! Man kann sich vergessen, kann in einem Augenblick der Verzweiflung einen falschen Namen unter einen Wechsel setzen, einen Betrug begehen. Man kann sogar in Wut und Leidenschaft einen Menschen über den Haufen schiessen. Aber — sein Vaterland verraten? Pfui Teufel!
Lis van Dersens Gesicht wird einen Augenblick ebenso hart und kalt wie vorher das des Japaners. Etwas wie Verachtung zieht ihre Mundwinkel nach unten. Nun ja, John Turner ist . . . oder war — ein Engländer! Und dieses Volk . . . Lis van Dersen hat nie besondere Sympathie für die Engländer gehabt. Wäre auch zuviel verlangt. Es schüttelt sie heute noch manchmal, wenn sie an ihre Kindheit denkt, an jene traurigen Jahre, da die Mutter ihr die Tragödie der van Dersens als ein mahnendes Vermächtnis erzählt hat. Um die Jahrhundertwende waren die van Dersens freie Burghers im Staate Transvaal gewesen, gehörten zu den wohlhabendsten Familien zwischen Pretoria und Bloemfontain. Dann waren die Engländer gekommen. Pit van Dersen hatte den verzweifelten Freiheitskampf mitgefochten, von den Siegestagen bei Colenso und am Tugela bis zum bitteren Ende am Paardeberg. Aus dem Konzentrationslager Kitcheners heraus hatte er sich seine Frau geholt, vierzehn Jahre lang verbissen und zäh ein neues Heim, einen neuen Wohlstand sich aufgebaut. Bis die Sturmglocken von 1914 durch die Welt dröhnten. Christian de Wet, der hartnäckige, unversöhnliche Alte, rief zum Kampf auf, glaubte die Zeit gekommen, das englische Joch abzuschütteln, die freie Republik Transvaal wieder aufzubauen. Und Pit van Dersen hatte Büchse und Patronengürtel umgehängt und war zu seinem alten General geeilt.
Der Aufruhr misslang. Louis Botha, der Verräter, stempelte die Freischar Christian de Wets als Rebellen. Die britischen Truppen, die „Afrikander“ aus Kapstadt und Kimberley, veranstalteten eine Treibjagd auf die Freiheitskämpfer. Zu gross war die Übermacht. De Wets Versuch, sich über die Grenze zu den Deutschen in Südwestafrika durchzuschlagen, wurde vereitelt. An einem Herbsttag des Jahres 1914 wurde Pit van Dersen mit einem Dutzend Kameraden nach heftigem Gefecht überwältigt und standrechtlich erschossen.
Das waren die Märchen, die Lis van Dersens Jugend umgaukelten. Die Mutter hatte den Schlag nicht verwunden. Zwei Jahre später war sie, gebrochen von Kummer und Leid, dem Vater nachgestorben. Entfernte Verwandte in der Hafenstadt Durban nahmen die Waise auf und erzogen sie. Bis Lis eines Tages ihr Leben selbst in die Hände nahm und es nach ihrem eigenen Willen zu formen suchte.
Sie lebte nun schon lange in britischen Ländern. Sie verkehrte viel mit Engländern, fand auch manchen sympathischen Menschen darunter, wie z. B. diesen John Turner. Aber ganz tief in ihrem Herzen ist doch eine Feindschaft geblieben, ein uneingestandener Hass gegen das Volk, das ihren Vater wie einen Verbrecher hingerichtet hat.
Kitsao Tsugeno ist höflich und zuvorkommend gegen die Engländer. Er hat sogar manchem Gentleman hier in Singapore mit Rat und Tat geholfen. Aber Lis weiss genau: Innerlich verachtet auch Tsugeno die Briten. Ohne Hass, mit der ruhigen Verachtung eines welterfahrenen Menschen, der gelernt hat, hinter die Fassade äusserer Wohlanständigkeit und stolzen Gepräges zu schauen. Vielleicht ist das mit ein Grund gewesen, warum sie sich von Anfang an so hingezogen gefühlt hat zu dem vornehm-ruhigen Wesen des Japaners.
Ja, Kitsao Tsugeno ist klug, sehr klug. Irgendwie wirkt es bedrückend auf Lis van Dersen, dass er immer recht behält. Auch da, wo sie selber ganz anderer Meinung ist. Wie war das doch mit John Turner? Tsugeno macht ihr keinerlei Vorschriften über ihren Verkehr. Er sieht es sogar gern, dass sie viel im Club und auf den Sportplätzen mit den jungen englischen Herren verkehrt und an den Gesellschaften der britischen Kolonie teilnimmt. Nur in Bezug auf John Turner hat er hin und wieder kleine Bemerkungen fallen lassen. Keine Vormürfe und auch keine Verbote. Bewahre! Nur gelegentliche, kleine warnende Bemerkungen. Ob sie sicher sei, dass der junge Mensch ihrer Freundschaft auch wert sei? Ob ihr der junge Turner wirklich so ausnehmend gefalle? Und dergleichen.
Lis hat diesen Bemerkungen nie eine Bedeutung beigelegt. Heute will es ihr scheinen, als ob Kitsao Tsugeno auch diesen John Turner längst durchschaut und richtig eingeschätzt habe.
Ihr Selbstbewusstsein bäumt sich unwillkürlich auf gegen diese unheimliche Menschenkenntnis. Tsugeno hat