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als kleiner Junge machte. Es gab nichts Schöneres, als stundenlang zu bolzen und so zu tun, als wäre man Ian Rush oder Glenn Hoddle. Zum Glück achtete mein Vater darauf, dass ich mehr als nur Fußball im Kopf hatte. Die wenigen Menschen, die meine wahre Identität kennen, haben mich alle gefragt, woher ich die bisweilen etwas abseitigen Aufhänger für meine Guardian-Kolumnen nehme. Die Antwort lautet: aus der umfangreichen Bibliothek meines Vaters, in der u. a. Shakespeare, Dickens und Joyce stehen, sowie aus seiner nicht minder ergiebigen Plattensammlung mit Aufnahmen der Beatles und der Stones, von Bob Dylan, Pink Floyd und vielen mehr. Während die meisten meiner Freunde klassischen Strandurlaub machten, fuhren wir für zwei Wochen auf einen Bauernhof in Dänemark. Während Dad vorne psychedelische Rockmusik hörte, sollten wir Kinder uns auf der Rückbank mit Klassikern der Weltliteratur beschäftigen. Das ist für einen Zehnjährigen wohl nicht unbedingt normal, aber ich möchte diese Zeit um nichts in der Welt missen.

      Nicht dass ich besonders gelehrig gewesen wäre. In einem meiner alten Zeugnisse heißt es: „***** hört im Unterricht nicht zu und versäumt deshalb wichtige Inhalte, so dass er mit dem Stoff zurückfällt.” Danach passte ich besser auf, wodurch mir erst recht klar wurde, wie wenig mich der Unterricht interessierte. Alles, was ich wollte, war, Fußball zu spielen, und zwar rund um die Uhr. Ich war überzeugt davon, es zu schaffen. Meine Eltern unterstützten mich nach Kräften und fuhren mich jedes Wochenende zu den Spielen. Ich wurde in verschiedene Auswahlmannschaften berufen und gehörte zu einer Handvoll hoffnungsvoller Talente aus meiner Region. Manche von ihnen wurden schließlich Profis, andere gingen anständigen Berufen nach, und ein paar hatten so wie ich keine Ahnung, was sie mit sich anfangen sollten, falls es mit der Fußballkarriere nicht klappen sollte. Mit der Zeit erschien mir eine Profilaufbahn in etwa so wahrscheinlich wie die Hoffnung, im Biologieunterricht endlich die spannenderen Regionen von Kate Brookes Schenkelinnenseite erkunden zu dürfen.

      Als wir um die 15, 16 Jahre alt waren, erhielten ein paar meiner Mitspieler Angebote von Profivereinen, einer sogar von Tottenham (das ihn zwei Jahre später aber wieder ziehen ließ). Auch ich wurde zu ein paar Probetrainings eingeladen, bei denen ich mich ganz ordentlich schlug. Das Problem hierzulande ist, dass die meisten Talentscouts keinerlei Erfahrung als Trainer haben. Also stellen sie kleinere Spieler grundsätzlich auf den Flügeln auf, während sie die langen Kerle in die Innenverteidigung beordern. Es ist ihnen vollkommen schnuppe, wenn man ihnen vorher erklärt, dass man eigentlich eher im zentralen Mittelfeld oder in der Sturmspitze zu Hause ist. Das kotzte mich damals ziemlich an, vor allem aber kotzte es meinen Vater an, der durchs halbe Land fuhr, um seinen Sohn dann eine Stunde lang als Rechtsverteidiger dilettieren zu sehen und schließlich noch ein paar Minuten als Linksaußen.

      Viel verändert hat sich seither nicht. Die Spitzenklubs werfen einfach immer größere Netze aus und ziehen die dicken Fische an Land. Ein Bekannter, der seit zehn Jahren als Scout bei einem Topverein arbeitet, hat mir verraten, dass er sein Büro theoretisch niemals verlassen müsste, um seinen Job zu machen. Die kleineren Klubs rufen regelmäßig bei ihm an, um ihre größten Talente feilzubieten. „Die Anrufe kommen jedes Jahr ein bisschen eher, und die Spieler werden immer jünger”, sagt er. Und er muss schließlich wissen, wovon er spricht.

      Der FC Chelsea zahlte Anfang 2012 eine Million Pfund für den 18-jährigen Stürmer Patrick Bamford, der bis dahin ganze zwölf Minuten für die erste Mannschaft von Nottingham Forest absolviert hatte. Frank Clark, der Vorsitzende von Forest, fasste damals zusammen, wie sich die Zeiten geändert haben: „Früher konnten wir unsere Talente ein paar Jahre lang halten, aber heutzutage zahlen die Spitzenklubs selbst für 13- oder 14-Jährige ein kleines Vermögen.” Und stellt sich der Nachwuchs als Blindgänger heraus, fällt das keineswegs auf die Scouts zurück. „Wenn ich schneller bin als die Konkurrenz, habe ich meinen Job erledigt”, sagt mein Bekannter. „Sollte sich der Spieler nicht durchsetzen, ist das nicht meine Schuld, sondern die des Trainers.”

      Sobald größere Namen im Spiel sind, wird es sogar noch einfacher. Vor ein paar Jahren sprach ich mit einem anderen Bekannten, der damals Chefscout bei einem der Topvereine der Premier League war. Bei einem Kaffee fragte ich beiläufig, wie es ihm so ging. Sein Team war gerade Meister geworden, ich ging also davon aus, dass alles eitel Sonnenschein war. Auf seine Antwort war ich dennoch überhaupt nicht gefasst. „Ach, jedes Jahr das Gleiche, Alter”, stöhnte er. „Sobald der Etat für die neue Saison abgenickt ist, setzen wir uns zusammen und sprechen über mögliche Neuverpflichtungen. ,Wir brauchen einen Mann fürs offensive Mittelfeld‘, heißt es dann, und alle gucken mich an. Also sage ich: ,Okay, wie wäre es mit Totti, Kaká oder Ronaldinho?‘“ Ich habe keine Erfahrung als Chefscout, aber sollte mir einer der großen Klubs eines Tages diesen Job anbieten, würde ich wohl nicht Nein sagen. Scheint ja nicht allzu schwierig zu sein.

      Was meine eigenen Ambitionen angeht, hat es mich damals schon gewurmt, manche meiner Teamkollegen bei Profiklubs unterkommen zu sehen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie begabter waren als ich. Kräftiger vielleicht und mit 15 körperlich zweifellos weiter als ich, aber bestimmt nicht besser am Ball. Leider achteten die Vereine zu der Zeit mehr auf die physischen Voraussetzungen als auf technische Fähigkeiten.

      Während viele meiner Freunde in den späten 1990er Jahren mit Drogen „experimentierten”, wollte ich auf andere Weise ausbrechen. Was auch immer ich mit meinem Leben anstellen würde, ich war wild entschlossen, so wenig wie möglich davon in meiner sterbenslangweiligen Heimatstadt zu verschwenden. Eine Woche vor meiner Abreise nach Kalifornien nahm meine Mutter den Anruf eines Scouts entgegen, der mich zu einem Testspiel seines Klubs einladen wollte. Ich kickte damals im Amateurbereich und verdiente 30 Pfund die Woche. Wie ich später erfuhr, war ich dem Scout von einem meiner früheren Trainer empfohlen worden. Dieser hatte ihm versichert, dass ich genug Potenzial besaß, um eine Chance zu verdienen, allerdings müsste der Klub bereit sein, ein paar zusätzliche Trainingseinheiten in mich zu investieren, um aus mir einen richtigen Profi zu formen.

      An das Testspiel kann ich mich kaum erinnern. Innerlich war ich darauf eingestellt, demnächst die Biege zu machen und meine Freiheit zu genießen. Meine Freude fiel dementsprechend etwas verhalten aus, als der Trainer mich in der Halbzeitpause packte und sagte, dass er mich unter Vertrag nehmen wolle. Immerhin hatte ich einen Haufen Geld für ein einfaches Ticket nach San Francisco bezahlt und dachte in dem Moment nur daran, was ich noch für die Reise in der Drogerie besorgen müsste.

      Seitdem denke ich fast jeden Tag an diesen Moment zurück. Was wäre wohl geschehen, hätte ich die Kraft gehabt, das Angebot auszuschlagen? Ich wollte zwar Profi werden, seitdem ich laufen konnte. Andererseits wusste ich aber auch, dass ich damit unweigerlich meine Freiheit aufgeben würde. Ich frage mich, was aus mir geworden wäre. Hätte ich Titel gewonnen und meine 15 Minuten des Ruhms gehabt? Hätte ich diese unbeschreiblichen Glücksgefühle nach einem Tor oder Derbysieg erlebt? Oder hätte ich heute mehr „echte Freunde”, wenn ich in den letzten zwölf Jahren nicht an jedem Wochenende beschäftigt gewesen wäre? Hätte ich es zur Hochzeit meines besten Freundes geschafft, um sein Trauzeuge zu sein, statt bei Arsenal unter die Räder zu kommen? Wäre ich bei all den Beerdigungen dabei gewesen, zu denen ich es nicht geschafft habe und bei denen zu fehlen mir teilweise bis heute nicht verziehen worden ist? Würde ich trotzdem Antidepressiva nehmen müssen? Hätte ich genauso viele Leute vergrätzt, weil ich einfach nicht so sein will wie sie? Und würde ich mein Leben nach vernünftigen Maßstäben bewerten statt nach Geld und fußballerischem Erfolg? Wer weiß.

      Aber ich habe unterschrieben, für 500 Pfund die Woche, was damals ein Vermögen für mich war. Mir kam es so vor, als wäre ich in einen Kreis von Auserwählten aufgenommen worden, in den ich eigentlich nicht gehörte. Aber jetzt, da ich drin war, würden sie mich nicht mehr loswerden. Dieses Gefühl hat mich seitdem nie verlassen.

      Wenn ich ehrlich bin, war mein erster Eindruck, einen gewaltigen Fehler gemacht zu haben. Die Anforderungen waren gering, manche meiner Kollegen widerliche Typen und die ganze Lebensweise überhaupt nicht mein Fall. Nachmittags saß ich stundenlang herum und wusste nichts mit mir anzufangen. Beim Training wurde ich angemacht, weil ich „anders” war, was auch immer das heißen mag. Der unter Spielern übliche Flachs war mir fremd, weswegen sich ein paar Deppen einen Spaß daraus machten, mich jeden Tag aufzuziehen. Zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte, wann immer ich etwas sagen wollte, „pssst” zu zischen, bis ich schließlich

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