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Man City und Chelsea (3:2) im August ausgerechnet die Sun die Nase, „der ekelhafte Fußball ist wieder da. Unser Nationalsport hat unser nationales Glücksgefühl schneller kaputt gemacht, als Usain Bolt Gold gewann.”

      Das Letzte, was das Land zu diesem Zeitpunkt brauchte, war: eine neue Fußballerbiografie. Das Genre leidet ja schon seit Jahren am fürchterlichen Missverhältnis zwischen Quantität und Qualität. Wayne Rooney hat mit 28 schon zwei Bücher veröffentlicht, drei weitere sollen noch folgen. Drei Viertel des Nationalkaders von Sven-Göran Eriksson hatten vor der Weltmeisterschaft 2006 Buchverträge unterzeichnet, die Verlage waren fest überzeugt, dass David Beckham und Co. mit dem Pokal im Gepäck aus Deutschland zurückkehren würden. In der Folge des mal wieder total verkorksten Turniers – Aus im Viertelfinale gegen Portugal, im Elfmeterschießen – kam dann ein halbes Dutzend Bücher auf den Markt, die niemand lesen wollte. Das Schlusslicht im Klassement der Ladenhüter gab das Œuvre von Ashley Cole (My defence), das mit seinem fast schon rührenden Realitätsverlust völlig neue Maßstäbe setzte. „Als ich hörte, dass mir Arsenal nur 55.000 Pfund in der Woche (für meinen neuen Vertrag) bot, hätte ich fast einen Unfall gebaut”, schrieb der Linksverteidiger in der Schlüsselstelle, „ich war so außer mir, ich zitterte vor Wut.” Von diesem bösen Car Crash haben sich Fußballerbücher in Großbritannien nie mehr richtig erholt.

      Mit Sympathieträgern ist der Sport nicht übermäßig gesegnet. Selbst die intelligenteren – oder interessanteren – Typen schaffen es nur in Ausnahmefällen, packende Worte aufs Papier zu bringen. Daran ist zum einen das sehr scharfe britische Presserecht schuld: Die Angst vor kostspieligen Verleumdungsklagen lässt die Verlage die vermeintlich kontroversen Stellen im Zweifel lieber glattbügeln. Noch mehr aber bestimmt Selbstzensur das Schreiben. Fußball ist in England ein geschlossenes System: Wer erst mal als Spieler, Trainer oder TV-Experte drinnen ist, will es sich auf keinen Fall mit den Kollegen verscherzen.

      Englische Fußballer haben gelernt, ihre wahren Gedanken hinter höflichen Floskeln und unsäglichen Plattitüden zu verstecken. Es wird viel geredet, aber nichts gesagt. Männer, die gegen diese Kabinen-Omertà verstoßen, goutiert der Sport nicht. Die wohltemperierte, handzahme Schwammigkeit, die aus ihren Worten spricht, vergrößert unweigerlich die Distanz zwischen Publikum und Star. Auch die Trainingsgelände der Premier-League-Klubs sind weiträumig abgeschirmt, der einstige Arbeitersport hat sich nicht nur finanziell, sondern auch emotional von seinen Wurzeln entfremdet.

      Warum also sollte man sich im Vereinigten Königreich im Sommer 2012 für die Lebensgeschichte eines namenlosen, „geheimen” Fußballers interessieren, wenn selbst die Bücher der prominentesten Koryphäen in den Regalen verstaubten? Die Antwort liegt im erfüllten Versprechen des englischen Untertitels „Lifting The Lid On The Beautiful Game”: Der Secret Footballer (SF) macht den Deckel ganz weit auf – und lässt den Leser tief ins dunkle Innere des ach so „schönen Spiels” blicken.

      Sein Verein, seine Mitspieler, sein Trainer und sein Berater würden nicht wollen, dass er dieses Buch schreibe, hat er in einem Interview erzählt. Die Maske des Pseudonyms schützt jedoch nicht nur vor negativen Reaktionen des Umfelds, wie es in der Fußballersprache heißt – sie schärft dem SF in erster Linie den Blick auf sich selbst. Der SF schreibt über seinen Kampf gegen Depressionen, seine Unsicherheit in der Kabine als Jugendlicher. Wie einsam man sich fühlt, wenn man seine besten, ältesten Freunde mit der Bestellung einer 2.000-Euro-Flasche Wein versehentlich vor den Kopf stößt. Über das Misstrauen, mit dem sich selbst Kumpels in der Kabine beäugen. Und darüber, was die Fußballer wirklich von ihren Fans halten (nicht sehr viel).

      So brutal offen und gleichzeitig so reflektiert wurde über den Alltag eines Profifußballers auf der Insel seit Eamon Dunphys Only a Game?, einem fesselnd-verstörenden Buch über eine verregnete, deprimierende Saison (1973/74) beim Zweitligisten FC Millwall, nicht mehr geschrieben. Der Secret Footballer und seine Enthüllungen wurden zur Sensation. Was Sportbücher angeht, verkauften sich 2012 in Großbritannien nur die Biografien der Olympiahelden Jessica Ennis, Tom Daley und Bradley Wiggins besser. In den Pubs hatte man zeitweise das Gefühl, dass alle Konversationen nur noch um die Identität des SF kreisten. Noch immer vergleicht eine Armee von Hobbydetektiven mit Mitteln der Google-Rasterfahndung biografische Hinweise aus dem Buch mit den Lebensläufen von aktiven Spielern, auf der Internetseite www.whoisthesecretfootballer.co.uk stellen Enthusiasten YouTube-Clips zusammen, die mit Szenen aus dem Buch übereinstimmen könnten. Die Fangemeinde kommt dabei regelmäßig zu völlig neuen Ergebnissen, denn der SF hat absichtlich auch ein paar falsche Fährten gelegt.

      Das Publikum kann sich für diesen Spaß bei einem Immobilienmakler bedanken. Leider weiß es nicht, bei welchem. In der Wochenendausgabe der britischen Financial Times berichtete von 2007 bis 2012 ein anonymer „Secret Agent” über die fremde, absurde Welt des globalen Jetsets und dessen Jagd auf Luxusobjekte in der britischen Hauptstadt. Der SF las regelmäßig die Artikel und hatte Ende 2010 die Idee, so etwas Ähnliches für den Fußball zu machen. Es gibt ja eindeutige Parallelen. Die Premier League wird ebenfalls von Multimillionären bevölkert, die die sofortige Erfüllung ihrer Wünsche erwarten. Und genau wie Immobilienmakler, die auf der Insel als eine der am wenigsten vertrauenswürdigen Berufsgruppen gelten – nur Politikern, Bankern und Journalisten glauben die Briten laut einer Umfrage des Daily Telegraph aus dem Jahr 2012 weniger –, stehen auch Profikicker im Verdacht, ihre Kunden beziehungsweise Fans öfters ein wenig für dumm verkaufen zu wollen. Die Wahrheit liegt nicht (nur) auf dem Platz.

      Der SF kontaktierte den Guardian, im Januar 2011 wurde seine erste Kolumne veröffentlicht. Das Stück handelte vom schwierigen Umgang der Profis mit dem Nachrichtendienst Twitter. Es war interessant, die überwiegend positiven Reaktionen der Leser in den Online-Kommentaren zu verfolgen, denn der SF hatte die asymmetrische Kommunikation im Netz auf den Kopf gestellt: Hier war ausnahmsweise nicht der User anonym, sondern der Journalist. Kurioserweise nahmen die Leser ihm seine Erlebnisse gerade deswegen ab.

      Die Kolumne wurde zum großen Erfolg, das Buch machte den SF zum kulturellen Phänomen. Auf seiner Internetseite www.the-secretfootballer.com schreiben mittlerweile auch geheime Experten, Journalisten, Spielerfrauen, Fans und Sportmediziner über das Spiel.

      Vieles, was der SF und seine anonymen Mitstreiter über den englischen Fußball berichten, ist nicht sehr schmeichelhaft. Sie malen das Bild eines Sports, der im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs die Bodenhaftung mehr oder minder komplett verloren hat. Zugleich haben all die indiskreten, lustigen, beängstigenden Anekdoten, die der SF verrät, den Fußball und seine Protagonisten wieder viel näher an sein Publikum zurückgeführt. Der aufregende, vielschichtige Blick hinter die Kulissen erlaubt, was das Hochglanzprodukt Premier League normalerweise verhindert: die Anteilnahme mit den Aktiven. Der Secret Footballer und sein faszinierendes Buch sind – trotz des Zynismus und der Desillusionierung, die aus ihm sprechen, trotz der Sex-Skandale, Alkoholexzesse und obszön vielen Nullen auf dem Konto – vielleicht sogar das Beste, was dem englischen Fußball im Annus horribilis 2012 passieren konnte. Einen Europameisterschaftstriumph gegen die Deutschen (im Elfmeterschießen?) ausgenommen, versteht sich.

      Raphael Honigstein, Jahrgang 1973, berichtet unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und den britischen Guardian über englischen und deutschen Fußball. Er ist der Autor von Harder, Better, Faster, Stronger: Die geheime Geschichte des englischen Fußballs (2006) und arbeitet als Bundesliga-Experte für den amerikanischen Sender ESPN.

       Einleitung

       Von Paul Johnson

      DIESES Buch ist nicht als reißerischer Enthüllungsreport für sensationslüsterne Voyeure gedacht. Seitdem der Secret Footballer Anfang 2011 seine erste Kolumne für den Guardian verfasste, wurden zahllose Versuche unternommen, seine Identität zu enthüllen. Dazu unterwarfen eifrige Tüftler seine Texte und die darin genannten Namen, Orte, Spiele und Vereine einer geradezu forensischen Analyse. In Fanforen wird kontrovers und kenntnisreich diskutiert, es gibt sogar eine Website, die sich nur diesem Thema widmet: whoisthesecretfootballer.co.uk.

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