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deiner Gefühle einzudringen, dazu habe ich kein Recht, und ich halte das überhaupt für nutzlos oder sogar für schädlich«, begann Alexei Alexandrowitsch. »Wenn wir im tiefsten Grunde unserer Seele herumwühlen, so wühlen wir dabei oft Dinge heraus, die lieber dort unbemerkt hätten liegenbleiben sollen. Deine Gefühle, das ist etwas, was nur dein Gewissen angeht; aber ich habe dir gegenüber, mir selbst gegenüber und vor Gott die Pflicht, dich auf deine Pflichten hinzuweisen. Dein Leben ist mit dem meinigen nicht durch Menschen zusammengefügt worden, sondern durch Gott. Zerrissen kann dieses Band nur durch ein Verbrechen werden, und ein derartiges Verbrechen zieht unweigerlich seine Strafe nach sich.«

      »Ich begreife nichts von dem, was du da sagst. Ach, mein Gott, und unglücklicherweise bin ich so furchtbar müde!« sagte sie und wühlte dabei eilig mit der Hand in den Haaren, um die noch darin gebliebenen Haarnadeln herauszusuchen.

      »Anna, um Gottes willen, sprich nicht so!« sagte er sanft. »Vielleicht irre ich mich; aber sei überzeugt: was ich sage, das sage ich ebensowohl in deinem wie in meinem Interesse. Ich bin ja doch dein Mann und liebe dich.«

      Einen Augenblick hatte sie ihr Gesicht sinken lassen, und das spöttische Funkeln in ihrem Blicke war erloschen; aber die Wendung ›Ich liebe dich‹ versetzte sie wieder in Erregung. Sie dachte: ›Er liebt mich? Kann er denn überhaupt lieben? Wenn er nicht gehört hätte, daß es so etwas wie Liebe gibt, so würde er sich dieses Ausdrucks überhaupt nie bedienen. Er weiß gar nicht, was eigentlich Liebe ist.‹

      »Alexei Alexandrowitsch, wirklich, ich verstehe dich nicht«, entgegnete sie. »Erkläre mir deutlicher, was deiner Ansicht nach . . . «

      »Bitte, laß mich zu Ende reden! Ich liebe dich. Aber ich will nicht von mir sprechen; die Hauptbeteiligten sind hier unser Sohn und du selbst. Ich sage noch einmal: Es ist sehr leicht möglich, daß meine Worte dir völlig unnütz und unangebracht erscheinen; vielleicht sind sie lediglich durch einen Irrtum meinerseits veranlaßt. In diesem Falle bitte ich dich um Entschuldigung. Aber wenn du selbst fühlst, daß zu meinen Worten ein begründeter Anlaß vorliegt, mag er auch noch so geringfügig sein, so bitte ich dich, sie wohl zu erwägen und, wenn dein Herz dich dazu treibt, alles frei und offen mir gegenüber auszusprechen.«

      Alexei Alexandrowitsch sagte, ohne es selbst gewahr zu werden, etwas ganz anderes, als er sich vorher für seine Rede zurechtgelegt hatte.

      »Ich habe dir nichts zu sagen. Ja, und dann . . . «, setzte sie auf einmal hastig hinzu, indem sie nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte, »es ist wirklich Zeit, schlafen zu gehen.«

      Alexei Alexandrowitsch seufzte und begab sich, ohne weiter ein Wort zu sagen, in das Schlafzimmer.

      Als sie ins Schlafzimmer kam, lag er bereits. Seine Lippen waren mit einem strengen Ausdruck aufeinandergepreßt, und seine Augen sahen sie nicht an. Anna legte sich in ihr Bett und erwartete jeden Augenblick, daß er noch einmal anfangen werde, mit ihr zu reden. Sie fürchtete, daß er dies tun werde, und wünschte es doch zugleich. Aber er schwieg. Lange wartete sie, ohne sich zu rühren, und vergaß ihn schließlich ganz. Sie dachte an den anderen; sie glaubte ihn zu sehen, und sie fühlte, wie ihr Herz bei dieser Vorstellung sich mit Unruhe und verbrecherischer Freude füllte. Plötzlich hörte sie ein gleichmäßiges ruhiges Pfeifen durch die Nase. Im ersten Augenblick schien Alexei Alexandrowitsch über sein eigenes Pfeifen zu erschrecken und hielt damit inne; aber nachdem das Pfeifen zwei Atemzüge übersprungen hatte, ertönte es wieder von neuem mit ruhiger Gleichmäßigkeit.

      ›Es ist zu spät, es ist schon zu spät!‹ flüsterte sie lächelnd. Sie lag lange regungslos mit offenen Augen da, und es kam ihr vor, als könne sie selbst den Glanz ihrer eigenen Augen in der Dunkelheit sehen.

      10

      Mit diesem Tage begann für Alexei Alexandrowitsch und seine Frau ein neues Leben. Äußerlich hatte sich nichts Besonderes begeben. Anna verkehrte wie bisher in der Gesellschaft und besuchte besonders häufig die Fürstin Betsy, und überall traf sie mit Wronski zusammen. Alexei Alexandrowitsch sah dies zwar, konnte aber nichts dagegen tun. Sooft er versuchte, sie zu einer Aussprache zu veranlassen, stellte sie ihm die undurchdringliche Mauer heiterer Verständnislosigkeit entgegen. Äußerlich war alles unverändert geblieben; aber ihr innerliches Verhältnis hatte sich vollständig umgestaltet. Alexei Alexandrowitsch, ein so mächtiger Mann im Staatsdienste, fühlte sich hier machtlos. Wie ein Stier, der, sich in sein Schicksal ergebend, den Kopf senkt, erwartete er den Hieb der Axt, die, wie er fühlte, schon über ihm schwebte. Jedesmal, sooft er darüber nachzudenken begann, sagte er sich, er müsse es noch einmal versuchen; es sei noch Hoffnung vorhanden, daß es durch Güte, durch Zärtlichkeit und durch Überredung gelingen werde, sie zu retten, sie zur Besinnung zu bringen, und täglich nahm er sich vor, mit ihr zu sprechen. Aber jedesmal, wenn er mit ihr zu sprechen begann, hatte er die Empfindung, daß jener Geist des Bösen und der Lüge, der sie beherrschte, auch ihn unter seine Herrschaft zwang und daß er ihr etwas ganz anderes sagte, als was er ihr hatte sagen wollen, und daß er es auch in einem ganz anderen Tone sagte, als er beabsichtigt hatte. Unwillkürlich sprach er mit ihr in seinem gewöhnlichen ironischen Tone, der immer so klang, als wolle er sich über den lustig machen, der in dieser Weise spräche. In diesem Tone aber konnte er ihr unmöglich das sagen, was zu sagen notwendig war.

      11

      Was fast ein ganzes Jahr lang für Wronski den einzigen Wunsch seines Lebens gebildet hatte, der in seiner Seele an die Stelle aller früheren Wünsche getreten war; was für Anna ein unmöglicher, furchtbarer und um so entzückenderer Traum des Glückes gewesen war: dieser Wunsch hatte seine Erfüllung gefunden. Bleich, mit zitterndem Unterkiefer, stand er da und beugte sich zu der vor ihm sitzenden Anna hinab; er beschwor sie, sich zu beruhigen, ohne daß er selbst gewußt hätte, inwiefern und womit.

      »Anna, Anna!« sagte er mit bebender Stimme. »Anna, um Gottes willen!«

      Aber je lauter er sprach, um so tiefer senkte sie ihr einst so stolzes, heiteres, jetzt von Scham übergossenes Antlitz hinab; sie krümmte sich ganz zusammen und glitt von dem Sofa, auf dem sie saß, auf den Boden nieder, zu seinen Füßen; ja, sie wäre mit dem ganzen Körper auf den Teppich hingesunken, wenn er sie nicht gehalten hätte.

      »Um Gottes willen! Vergib mir!« schluchzte sie und drückte seine Hände an ihre Brust.

      Sie fühlte sich so sehr als Sünderin und Verbrecherin, daß ihr nichts blieb, als sich zu demütigen und um Verzeihung zu flehen; aber im Leben hatte sie jetzt niemanden außer ihm, so daß sie auch ihre Bitte um Verzeihung an ihn richtete. Während sie ihn anblickte, fühlte sie mit körperlichem Schmerze ihre Erniedrigung und war nicht imstande, weiterzusprechen. Er aber hatte eine Empfindung, wie sie ein Mörder haben mag, wenn er den Körper anblickt, den er des Lebens beraubt hat. Dieser Körper, den er des Lebens beraubt hatte, war seine und Annas Liebe, die erste Periode dieser Liebe. Es lag etwas Furchtbares, Abstoßendes in dem Gedanken an das, was mit diesem entsetzlichen Preis, der Schande, erkauft war. Anna war wie zermalmt von Scham über ihre seelische Nacktheit, und diese Scham teilte sich ihm mit. Aber trotz allem Entsetzen, das den Mörder vor dem Leichnam des Ermordeten ergreift, muß er diesen Leichnam in Stücke schneiden und verstecken und muß sich das aneignen und zunutze machen, was er durch den Mord erworben hat.

      Mit Ingrimm, mit einer wahren Leidenschaft stürzt sich der Mörder auf den Leichnam, zerrt ihn hin und her und zerstückelt ihn; und so bedeckte auch Wronski jetzt Annas Gesicht und Schultern mit Küssen. Sie hielt seine Hand in der ihrigen und rührte sich nicht. ›Ja, diese Küsse, die sind nun das, was für diese Schande erkauft ist. Ja, und diese Hand, die nun immer mir gehören wird, ist die Hand meines Mitschuldigen.‹ Sie hob diese Hand an ihre Lippen und küßte sie. Er ließ sich auf die Knie nieder und wollte ihr Gesicht sehen, aber sie verbarg es und sprach kein Wort. Schließlich, wie wenn sie sich mit Gewalt dazu zwänge, richtete sie sich auf und schob ihn zurück. Ihr Gesicht war noch ebenso schön wie früher, aber einen um so bejammernswerteren Eindruck machte es.

      »Alles ist aus!« sagte sie. »Ich habe auf der Welt niemand mehr als dich. Vergiß das nicht!«

      »Ich

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