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Wie neu geboren. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Wie neu geboren
Год выпуска 0
isbn 9788711740132
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Mit seinem Motorrad war er ziellos durch die Stadt gebraust. Dann war er zu ihr gefahren, hatte aber nicht damit gerechnet, daß sie zu Hause sein könnte.
»Du mußt geahnt haben, wie sehr ich dich brauche!« schloß er.
Sie hätte ihm sagen können, daß es dem Zufall zu verdanken war, daß sie schon zurück war. Doch mochte sie ihn nicht enttäuschen »Mag schon sein«, erwiderte sie vage und kuschelte sich in seinen Arm. » Wer weiß?«
10
Mit Hilfe von Roberts Mutter renkte alles sich soweit ein, daß er von Onkel Edmund ein offizielles Kündigungsschreiben erhielt, zusammen mit einem blendenden Zeugnis. Dadurch hatte er ein Recht auf Arbeitslosengeld, und er konnte sich woanders bewerben. Es wäre nicht schwer gewesen, als Verkäufer in seiner Branche unterzukommen, aber das wollte er nicht. Er stellte sich zumindest einen Posten als Abteilungsleiter vor. Vorläufig hatte er keine Sorgen, und so ließ er sich Zeit, sich nach einer neuen Stelle umzusehen.
Da die Mutter ungeduldig mit ihm war und ihm mit ihren Nörgeleien auf die Nerven ging, hielt er sich meistens in Julias Apartment auf. Sie genoß es, daß er sie, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, schon erwartete. Die Wohnung war aufgeräumt, die Wäsche gemacht, und auf dem Herd stand schon Essen. Julia hätte es noch länger so aushalten können, aber sie wußte, daß es nur ein vorübergehender Zustand war. Da Robert nicht durch seinen Beruf strapaziert war, sich morgens, wie sie vermutete, wieder hinlegte, sobald sie das Haus verlassen hatte, wollte er ständig mit ihr schlafen, und auch sie konnte kaum genug bekommen. Sie war jetzt sogar dazu bereit, ihn zu heiraten — darauf hoffend, daß er so häuslich bleiben würde.
Aber das lehnte Robert ab. »Ich möchte nicht eher heiraten, bis ich wieder eine neue Stelle habe«, entschied er. Julia hielt es nicht für sinnvoll, ihn zu drängen.
Trotz der ungewissen Zukunft waren sie sehr glücklich miteinander.
Julia versuchte, sich vor der Teilnahme an der nächsten Messe zu drücken. Sie fürchtete, daß das Alleinsein für Robert quälend werden würde.
Aber Elvira Hagen durchschaute sie. »Mach mir nichts vor«, warnte sie. »Es geht dir doch nur um deinen Kerl. Wenn du keine Lust hast, dich einzusetzen, dann steig aus. Bilde dir bloß nicht ein, daß du unersetzlich bist. Halbe Sachen gibt es bei mir nicht.«
Ihren Beruf für die Liebe aufgeben wollte Julia jedoch nicht. Aber die Entscheidung machte ihr Gewissensbisse, obwohl ihr Verstand sie durchaus guthieß.
Zu ihrer Erleichterung löste sich das Problem dann ganz von selbst. Robert wurde zu einem Vorstellürtgsge-spräch in die Zentrale der Kaufhauskette »Herzog« nach Essen bestellt.
Julia rief noch am gleichen Abend von München aus an.
»Ich habe die Stellung!« verkündete er triumphierend.
»Tatsächlich?« fragte sie glücklich.
»So gut wie!« fügte er einschränkend hinzu. »Zuerst mal gibt es eine Probezeit, aber das wird kein Problem für mich sein. Ich werde einem Organisationsleiter zugeteilt, damit ich mich einarbeiten kann.«
»Na, wunderbar«, sagte sie überzeugt. »Keine Frage, du schaffst das schon.«
»Ich wußte, daß du dich freuen würdest.«
Eine kleine Pause entstand, und Julia spürte, daß etwas Ungutes auf sie zukam. Doch sie stellte keine Fragen, sondern versuchte sich zu wappnen.
»Das Dumme ist nur«, bekannte er, »ich muß nach Hannover.«
»Für wie lange?« fragte sie und war stolz darauf, daß ihre Stimme ganz gleichmütig klang.
»Für sechs Monate.«
»Das bringt uns nicht um.«
»Nein, sicher nicht. Ich werde dich so oft wie möglich besuchen.«
Als Julia von ihrer Reise nach Hause kam, war Robert schon ausgezogen.
Sie versuchte es mit Fassung zu tragen, aber er fehlte ihr an allen Ecken und Enden, nicht nur als Hausmahn. Die kleine Wohnung war wie ausgestorben ohne ihn. Es gab niemanden mehr, der ihr zuhörte, und niemanden, der zärtlich zu ihr war. Auch die geliebte Musik bot ihr nur einen schwachen Trost, verstärkte manchmal sogar noch ihre Sehnsucht.
Aber Julia machte das Beste aus der Situation, schrieb sich in einen Kurs für »Freie Rede« bei der Volkshochschule ein und übte fleißig.
Im übrigen hielt Robert sein Versprechen und kam fast jedes zweite Wochenende nach Ratingen. Und jedesmal landeten sie, gleichgültig ob sie ihn erwartet hatte oder er überraschend kam, zwei Minuten nach der Begrüßung miteinander im Bett. Sie nahm sich immer wieder vor, zuerst mit ihm zu reden, ihm zu erzählen, was sie erlebt hatte, und ihn zu fragen, wie es ihm ergangen war. Aber das war anscheinend nicht möglich. Die Macht der Begierde war stärker.
In diesem ersten Halbjahr der Trennung begann Julia damit, Roberts Wäsche zu machen. Früher hatte sie diese Aufgabe immer als Belastung betrachtet. Nun kam sie ganz selbstverständlich dazu. Natürlich hätte er seihe schmutzigen Hemden auch weiterhin der Mutter bringen können, aber das hätte bedeutet, daß er weniger Zeit mit Julia hätte verbringen können, und dazu war sie nicht bereit. Unter der Woche, wenn sie allein war, machte es ihr nichts aus, für ihn zu bügeln. Im Gegenteil! Es bereitete ihr überraschenderweise Freude und Genugtuung, etwas für ihn tun zu können. Während sie sonst oft fünf gerade sein ließ, achtete sie darauf, daß die Wohnung immer tipptopp war. Sie studierte Kochrezepte, probierte sie für sich und eine ihrer Freundinnen aus, um sie Robert, wenn sie gelungen waren, vorzusetzen. Kurzum, Julia entwickelte sich, was sie selbst nie erwartet hatte, zu einer ambitionierten Hausfrau.
Das bedeutete aber nicht, daß sie ihren Beruf vernachlässigt hätte. Die Mode machte ihr noch Spaß wie eh und je, und sie genoß die Reisen, die ihren Alltag unterbrachen. Das Vorstellen einer neuen Kollektion war immer wieder aufregend, die Spannung, inwiefern sie bei den Einkäufern ankam, stimulierend, und ein Verkaufserfolg war wie ein kleines Fest.
Auch Roberts Hoffnungen erfüllten sich. Nach seiner Probezeit wurde er fest in der Kaufhauskette angestellt — als Abteilungsleiter, wie er es angestrebt hatte. Er wurde der Filiale von »Herzog« in Velbert zugewiesen.
Jetzt hätten sie heiraten können, aber sie schoben es noch hinaus, ohne daß sie sich deswegen stritten. Es war klar, daß Velbert nur eine Art Übergang war. Robert hatte nicht vor, immer in der kleinen Stadt am Rande des Bergischen Landes zu bleiben. Ortsveränderungen bei »Herzog« boten zugleich auch immer Aufstiegsmöglichkeiten.
Julia mochte ihre kleine Wohnung, die sie liebgewonnen hatte, nicht aufgeben. Ein Umzug schien überflüssig, weil Robert von Ratingen aus nicht länger als eine halbe Stunde bis zu seinem neuen Arbeitsplatz brauchte. Er kam jetzt regelmäßig nach Hause, und Julia lernte zum ersten Mal auch einen übermüdeten, abgespannten, schlecht gelaunten Robert kennen. In ihrem kleinen Apartment konnte man sich nicht aus dem Wege gehen, und sie empfand ihre Verkaufsreisen oft wie einen Fluch.
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