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Moment gekommen“, keuchte Petra, „Himmel, Himmel, wenn die Biester auf die Straße gerast wären! Wohin willst du denn eigentlich?“

      „Zum Reitverein. Ich helf’ dort immer, wenn ich keine Schule hab’“, sagte der Junge.

      Petra strahlte.

      „Wunderbar. Hol dein Fahrrad, ich halte solange alle beide. Und dann führ Lettchen, ich nehm’ Peuke.“

      „Herrjeh, wir haben ja gar keine Halfter dabei“, rief Anja in diesem Augenblick. Wahrhaftig, daran hatten sie vorhin nicht gedacht.

      „Geht alles“, sagte Petra, zog den Gürtel ab, den sie um ihre Jacke trug, und legte ihn Peuke um den Hals. „Und du nimmst die Schnur aus der Kapuze von deinem Anorak, Anja.“

      „Ich hab’ nichts – aber ich weiß schon, wie ich es mache“, sagte der Junge eifrig. Er schien mit Pferden vertraut zu sein, zog seinen Pulli über den Kopf und legte ihn Lettchen um den Hals, beide Ärmelenden festhaltend. Nun waren drei der Ponys dingfest gemacht, das vierte, Nikolo, konnte man gut an der Stirnlocke führen. So also setzte sich die kleine Kavalkade in Bewegung, und siehe, mit Erfolg. Zu siebt zockelten sie langsam den Weg entlang, den sie eben im Galopp gekommen waren, und als sie den Sprunggarten erreicht hatten, konnten sie zwei Gestalten an der Ecke der Halle entdecken: Stine und Anjas Vater. Anja winkte, beinahe wäre ihr dabei Nikolo aus den Fingern geraten. Aber sie griff schnell erneut in die Mähne. Nun winkte Stine zurück und setzte sich in schnellen Trab.

      „Was macht ihr denn um Gottes willen mit den Ponys?“ japste sie lachend, als sie herangekommen war.

      „Och, wir haben sie ein bißchen geweidet“, sagte Petra harmlos. „Weil wir nichts anderes zu tun hatten.“

      „Na, so ein Glück“, sagte Stine und griff sich Erie. „Solche Biester. Nehmen Sie den Nikolo, der läßt sich gut führen“, rief sie Vater zu, der nun auch herangekommen war. Vergnügt wanderten sie dem Reitstall zu. „Vielen Dank, mein Junge, daß du geholfen hast ...“

      Der strahlte. „O bitte!“

      „So, und jetzt wird geputzt, daß alles nur so spiegelt“, bestimmte Stine, „jeder putzt seins. Ja, Sie auch!“ sagte sie lachend zu Anjas Vater und warf ihm eine Kardätsche zu, die er als alter Schlagballspieler geschickt auffing, „Zeit dazu haben wir noch. Hoffentlich hat sich die Kutsche nicht auch auf die Socken gemacht.“

      Sie lief zum Schuppen und kam dann erleichtert zurück.

      „Ist noch da. Also. Was kann jetzt schon noch passieren!“

      „Beschrei es nur nicht noch einmal!“ warnte Petra und merkte gar nicht, daß sie Stine duzte. „Gestern hast du schon –“

      „Na ja, toi, toi, toi, hätt’ ich wirklich nicht sollen. Alle Reiter sind abergläubisch.“ Sie lachte Vater an. „Sie sind Lehrer von Beruf, nicht wahr? Auch abergläubisch?“

      „Eigentlich nicht – aber beschreien soll man nichts, das ist wahr. Kennen Sie vielleicht die Geschichte von den zwei Atomphysikern? Auf einer Gesellschaft fallen dem einen ein paar Kastanien aus der Tasche, als er etwas herausholen will. ‚Kastanien?‘ fragt der andere. Teilen Sie etwa auch den Aberglauben, daß die gut gegen Rheuma sind? Das ist doch nur ein dummer Schnack.‘

      ‚Natürlich, ja. Aber ich hab’ gehört, es hilft auch, wenn man nicht dran glaubt‘, sagt der andere, ein ebenso kluger Kopf. Ja, so ist es. Man bestreitet, abergläubisch zu sein, und klopft doch an Holz oder sagt toi, toi, toi! Meine Schüler dürfen das natürlich nicht wissen“, sagte Vater etwas verlegen. Anja fand ihn in diesem Augenblick richtig goldig.

      Sie putzten. Und dann legten sie die Geschirre auf und banden die Ponys an. Vor den Wagen wollte Stine sie noch nicht stellen, sie müßten dann noch so lange warten. „Jetzt heim mit euch, ihr beiden“, sagte sie, „gewaschen, umgezogen, fein gemacht. Ich warte hier.“

      „Darf ich Ihnen Gesellschaft dabei leisten?“ fragte Vater. „Ich bin zu Hause, glaub’ ich, jetzt recht überflüssig. Warten Sie, ich sehe zu, daß ich im Reiterstüble eine Tasse Kaffee für Sie bekomme – und für mich auch“, fügte er lachend hinzu. „Stallarbeit macht durstig.“

      Eins hatten sich Anja und Petra niemals recht vorstellen können: Cornelia im Brautkleid. Als sie die junge Braut jedoch aus dem Auto steigen sahen, fanden sie sie wie eh und je richtig. Sie trug ein weißes Kostüm – engen Rock, knappe Jacke –, im Knopfloch eine Rosenknospe. Dazu eine Kappe, die ihr herbes Gesicht noch klarer und hübscher machte. Onkel Kurt strahlte, als er sie begrüßte, und dazu hatte er auch ein volles Recht, fanden die beiden Mädchen.

      Nun gab es das „kleine Frühstück“, Vater sagte ein paar Worte, man stieß auf das Brautpaar an, und Petra und Anja trugen die Platten mit den Schnittchen herein. Die beiden Mädchen hatten weiße Rollis an und darüber weiße Schürzen gebunden, damit man die Reithosen nicht sah. Cornelia sah sie trotzdem, fragte aber nicht. Ob sie etwas ahnte?

      Das jedenfalls ahnte sie nicht, was sie erwartete. Sie beteuerte es später immer wieder: So was kann man ja nicht ahnen. Als sie mit Onkel Kurt an der Seite aus dem Haus trat, war Stine gerade vorgefahren und parierte durch, alle vier Ponys standen im selben Augenblick still – das ist gar nicht so leicht zu erreichen –, und Anja und Petra, jetzt in Reithosen, Stiefeln und Jacketts, sprangen vor an ihren Platz. Cornelia sagte nur: „Nein, so was!“ und stieg dann ein, Onkel Kurt hinterher. Die beiden Reitmädchen sprangen neben Stine auf den Bock, und los ging die Fahrt zur Kirche.

      Es war traumhaft. Stine nahm die Kurve in schönem Bogen und ließ die Ponys antraben, Vater, Mutter und die beiden Trauzeugen, Freunde von Onkel Kurt, wollten im Auto hinterherkommen. Frau Schubert, die die Zwillinge derweil betreute, stand in ihrer Haustür und machte runde Augen, und überhaupt blieb jeder stehen, der die Kutsche sah, und staunte. So hatten es die beiden erwartet. Sie genossen es sehr.

      Wer unverschämt an diesem Morgen war, das war Lettchen. Sie ging vorn rechts, erst gut und vernünftig, als es aber nicht Richtung Heimat ging, sondern der Kirche zu, in die entgegengesetzte Richtung also, wurde sie bockig. Sie zerrte seitwärts und deichselte ab, Stine versuchte sie zur Raison zu bringen, aber Lettchen hatte von jeher einen eigenen Kopf. Petra und Anja saßen auf der Lauer, abzuspringen und vorzulaufen, aber Stine schüttelte den Kopf.

      „Noch nicht. Ich krieg’ sie hin, das wäre ja wohl gelacht!“

      Himmel, hatte Lettchen einen Dickschädel! Jetzt kam sie mit dem äußeren Bein über den Zugstrang, schlug aus, traf ihren Nebengänger Nikolo, der beleidigt zurückschlug und sich prompt auch verfitzte. Peuke zog vorwärts und Erie zurück.

      Petra sprang ab. Sie hatte sich vorgesehen, weil sie ihren Sturz von neulich noch sehr gut im Gedächtnis hatte, und fiel nicht; im selben Augenblick aber zog Lettchen an und riß die anderen mit, der Wagen schoß vor und Petra geriet ins Hintertreffen. Anja wußte nicht –

      „Soll ich?“ flüsterte sie Stine zu.

      „Unfug, ich krieg’ sie hin. Dreh die Bremse nicht ganz zu, nur etwas –“

      Anja gehorchte. Im selben Augenblick kam ein Auto von hinten und überholte knapp.

      Jetzt spielte Nikolo verrückt. Er warf sich nach rechts und drängte Lettchen noch mehr ab. Die rechten Räder der Kutsche befanden sich bereits auf dem Bürgersteig, auf dem gottlob niemand ging. Nun sprang auch Anja ab. Sie lief vor, erwischte Lettchen am Zügel, konnte sie aber nicht halten. In diesem Augenblick war, wie gehext, Cornelia da. Sie, die rechts saß, mußte erst hinter der Kutsche herum und dann nach vorn springen, aber sie kam zur richtigen Zeit, bekam Nikolo am Zügel und hielt ihn fest, so daß nun auch Lettchens Geschwindigkeit zwangsläufig geringer wurde. Noch zwei Atemzüge, und alle vier standen wieder ruhig, die Kutsche freilich noch auf dem Bürgersteig.

      „Macht nichts, wir fahren wieder runter“, sagte Stine seelenruhig. „Steigt schnell auf, hopp!“ Und sie fuhr, nachdem alle wieder in der Kutsche saßen, elegant und schmissig der Kirche zu. Die Ponys warfen die Beine, als seien sie Jucker; es war ein Anblick, daß einem das Herz lachte. Vor der Kirche hielten sie vorschriftsmäßig.

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