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Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich Mann
Читать онлайн.Название Anfang und Ziel ist der Mensch
Год выпуска 0
isbn 9783843806718
Автор произведения Heinrich Mann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Gleichwohl wird die Presse, die den Geschäftemachern und Spekulanten dient, fortfahren, dies alles Fortschritt zu nennen. Und leider wird man ihr bis tief in die staatserhaltenden Schichten hinein Glauben schenken. Die große Menge wird ihren ehrlichen aber unzeitgemäßen Idealen blindlings folgen und dadurch zu zahllosen Gimpeln werden, die sich von wenigen nüchternen Interessen leicht einfangen lassen. Je größer aber diese Menge ist, desto weniger vertritt sie den Fortschritt. Wann wäre dieser je bei der Menge gewesen? Er hat sich noch stets bei der Minorität befunden, die am Ende dennoch Recht behält.
(1895) Essay. Reaction, zuerst in: Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, hg. v. H. Mann, Heft v. April 1895, hier: Klein, W. Hg. u. a., Essays und Publizistik, Bd. 1, S. 119–125, hier S. 124f.
Kaiser Wilhelm II. und das Gottesgnadentum *
Nur vor einer Persönlichkeit pflegte sie bisher Halt zu machen, die Kritik, die allen anderen zugesetzt hatte. Wenn man sonst Jedermann als Typus oder vielmehr als eine Zusammensetzung von Typen ansah, (…), so hatte man gewöhnlich doch für die eine Persönlichkeit ganze Gefühle bewahrt, den Monarchen liebte oder haßte man, man empörte sich oder gab sich hin. Man konnte noch, im Guten oder Bösen an ihn glauben wie man nur an das glaubt, was man nicht kennt. Seine Persönlichkeit war auch noch von keinem Revolutionär angetastet worden. Man mochte ihn auf’s Schaffot schleppen, so wußte man im Grunde doch niemals wer er war. (…). Denn sein Wille war zu dem Kollektivbegriff der »Regierung« erweitert, aus deren Physiognomie die seinige niemals mit Sicherheit zu entziffern war.
Auch in dieser Bedeutung ist er »von Gottes Gnaden« geblieben. Denn es ist zu bedenken, daß das Gottesgnadenthum ein Rest ist von Etwas, was ehemals allgemein war. Wir Alle waren einmal von Gottes Gnaden, jeder an seinem Platze, als volle Persönlichkeit, mit einer Seele aus einem Stück, die man gut oder schlecht, unbrauchbar oder tüchtig nannte. Diese einfache Schöpfung ist von der Kritik analysirt worden als ein komplizirter Automat mit widersprechenden Fähigkeiten und vorgeschriebenen Bewegungen. Sollte nun auch jene einzig übrig gebliebene Seele der Kritik verfallen, so würde aus den Stücken, in die sie sie zerlegt hätte, Jeder das ihm Genehme festhalten, das übrige ausscheiden. Es würde ein Feilschen und Zerren beginnen, dem die Persönlichkeit des Monarchen und damit der Monarchie selbst endgültig erliegen müßten. Denn die Mystik des Gottesgnadenthums besteht eben in der Unkenntnis des Monarchen, und das Ende dieser Unkenntnis wäre zugleich das Ende der Monarchie.
(1895) Essay. Wilhelm II., zuerst in: Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, hg. v. H. Mann, Heft v. Juli 1895, hier: Klein, W. Hg. u. a., Essays und Publizistik, Bd. 1, S. 190–195, hier S. 193f.
Antisemitismus im Geist der Zeit *
Denn von einer »Religion« kann wohl auch bei den gebildeten »Reformjuden« kaum die Rede sein, die sich in »Freien Gemeinden« zusammenfinden, wie solche auch von Christen begründet werden, die der Kirchlichkeit dadurch zu widersprechen meinen, daß sie neue Sekten bilden. Es wird dort eine Freimaurermoral gelehrt, die von jeder Autorität losgelöst, gerade so willkürlich und unverbindlich ist, wie etwa die der »Ethischen Kultur«. Und einen, immerhin platonischen Sinn für Ethik mögen ja auch die Mitglieder der jüdischen Aristokratie besitzen, die noch erübrigt: die Hochfinanz.
Da ist der Typus des Mitbürgers, der mit einem Haufen schmutziger Wäsche (in mehrfacher Bedeutung) von Osten bei uns eingefallen ist. In Wien schien sich ihm die Kerkertür ein wenig weit zu öffnen, so entschließt er sich, den schon erworbenen Ruf hoher Begabung bei den »Glaubensgenossen« in Berlin zu verwerthen. Durch einige diskrete Hilfeleistungen, die ihm zugleich ein wenig, nicht für die Oeffentlichkeit bestimmtes Material über die Größe des Weltmarktes in die Hände liefern, weiß er sich unentbehrlich zu machen. Man betheiligt ihn einigemal an, wenigstens in Betreff des Erfolges, zweifellosen »Operationen«. Und plötzlich kann er seinen Gönnern die Zähne weisen. Er ist jetzt selbst eine Macht geworden und befindet sich auf der Höhe, wo der Diebstahl diesen Namen verliert, weil er sich nach Millionen berechnet. Um diese Zeit ist er beinahe ehrlich, da die kleinen Gaunereien das Risiko nicht mehr lohnen, das mit ihnen verknüpft ist. Man ahnt ihn jetzt regelmäßig hinter Vorgängen, die ein großes, nicht mehr zu zählendes und zu berechnendes Unglück (gegen das sich darum auch Niemand auflehnen kann) im Volke hervorbringen. Jeder Krach exotischer Werthe bringt seinen Namen auf alle Lippen, jede durch einen »Ring« vollzogene Vertheuerung eines notwendigen Verbrauchmittels trägt ihm tausend Verwünschungen ein. Aber was thut das, wenn ihn die Geschäftswelt fürchtet, wenn ihm die Presse dient und vielleicht sogar die politischen Gewalten ihn berücksichtigen! Im Übermut seines Glanzes oder auch in der Verlegenheit einer allzu gewagten Situation kann ihm wohl einmal eine kleine Unvorsichtigkeit passiren, von der Art, daß sie beim besten Willen nicht mehr zu übersehen ist. Er lernt den Undank des Menschengeschlechts kennen. Aber wenn selbst seine Freunde über ihn herfallen, die ihm Alles verdanken, so findet sich ein neuer Freund, den er gerade durch sein Unglück verpflichtet. Der berühmte Anwalt, vor dem alle Staatsanwälte zittern, reißt ihn mit sicherm Griff heraus. Und sollte er doch einmal mit der Nachtseite des Lebens Bekanntschaft machen müssen, so hat er rechtzeitig sein Haus bestellt und etwa auf den Namen der Frau ein paar Grundstücke übertragen – o, nur eine Kleinigkeit von zwei Millionen oder drei allerhöchstens. Diese sind dann doch aus dem Zusammenbruch gerettet und können, sobald die lächerliche Formalität der Gefängnisbuße überstanden, in Paris als Grundstock eines neuen Vermögens dienen. Aber zu diesem Aeußersten kommt es fast nie, und inzwischen kann er ruhig dem Haß trotzen, dessen Blick ihm folgt, wenn er überall in der Oeffentlichkeit seinen lärmenden Prunk ausbreitet, um sich auch so von anderer Rasse zu zeigen als diejenige unserer Großkaufleute es ist, deren ruhiger Wohlstand sich von jeher nur im Behagen ihrer Häuslichkeit bekundet hat. Wenn er mit seinem Tibury und seiner Cocotte die Linden lang fährt, sieht ihm verwundert der zu Fuß gehende Gardeleutnant nach, der den kleinen, schwarzborstigen, fahlen, schwammigen Menschen natürlich nur grotesk finden kann. Aber je bescheidener sein Dasein und je unkritischer sein Sinn, desto stärker muß das Volk, das gleichwohl noch lange nicht sozialistisch verführt ist, um die Notwendigkeit des Reichthums zu leugnen, diesen Fremdling hassen, dem es dunkel etwas Unheimliches ansieht, als rollten seine Räder über Tausend Leichen. Und hat nicht wirklich dieser Mann auf tausend vernichtete Existenzen seine Macht aufgerichtet wie eine unheilvolle Bestie, die einfach weil sie da ist, weil sie im Haushalte der Natur vorgesehen ist, den Tod um sich her verbreiten muß! Aber was allein den Menschen vom Tier unterscheidet, ihn von seiner Tierheit befreien kann, das ist der Ausgleich oder die Milderung des Kampfes ums Dasein. Jede andere »Kultur« ist hinfällig, so lange man die wilden Thiere im »freien Spiel der Kräfte« duldet, anstatt sie auszurotten oder in Käfige zu sperren! Dieser Mann hat, wie kein Anderer, die moralischen Werthungen verwirrt, das Bewußtsein der sozialen Pflichten und Gesetze geschwächt, verzweifelten Unglauben und haltlose Anarchie ringsum in den Geistern gesäet: – und dann stelle man ihn sich vor, wie er zwischen einem vortheilhaften »Abschluß« und einem diner fin zufällig einen antisemitischen Zeitungsartikel in die Hand bekommt und sich traurig wundert, warum man ihn denn seines Glaubens wegen verfolge!
(1895) Essay. »Jüdischen Glaubens«, zuerst in: Das Zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt, hg. v. H. Mann, Heft v. August 1895, hier: Klein, W. Hg. u. a., Essays und Publizistik, Bd. 1, S. 195–202, hier S. 198ff.
Im Schlaraffenland. Ein Roman unter feinen Leuten
Der Vortrag einer Sängerin, die sich nebenan hören ließ, ging unter in den lauten Gesprächen. Als man nach einiger Zeit merkte, daß sie fertig war, ertönte frenetischer Beifall. Drüben auf dem Kamin aus rosigem Porzellan schlug die Stutzuhr, Schildpatt mit eingelegtem Kupfer, halb zwölf.
Andreas setzte sich endlich, er lehnte den Kopf zurück und versuchte sich betäuben zu lassen