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Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich Mann
Читать онлайн.Название Anfang und Ziel ist der Mensch
Год выпуска 0
isbn 9783843806718
Автор произведения Heinrich Mann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
KUNST UND LIEBE *
»Eine Künstlerin, die sich verliebt, wirklich und ganz verliebt – das war nie eine«, behauptete Ute, hoch und stolz.
»Wofür hältst Du mich denn? Ich bin ja verwöhnt durch die Kunst. Das Studium der Leidenschaften für die Bühne hat mich klarsichtig gemacht, ich weiß ja, was jeder bieten könnte. Hast du dir das nie gesagt? Stell dir vor, ich sollte einen von diesen Leuten lieben, einen dieser halben Männer, mit ihren Lächerlichkeiten, Schwächen, Unredlichkeiten, einen Pömmerl, Killich – Nun, und dich?« fragte sie langsam, mit mitleidigender Grausamkeit.
Er senkte den Kopf. Aber dann brach es heraus, wund, überreizt, mit elend hinausgereckten Armen, ein Notschrei.
»Du irrst dich. Ich könnte lieben!«
Ute zuckte die Achseln.
»Aber ich nicht. Ich sehe manchmal mit Staunen den andern Frauen zu. Sie lieben, weil sie den Mann nicht kennen – aus Dummheit. Ich hab mich schon gefragt, ob ich sie beneide, ob ich auch soweit herunterkommen möchte. Nein, nein. Das ist ja ein Wahnsinnskeim, den eine in sich trägt. Bei Gelegenheit eines unwichtigen Mannes geht er auf. Ich hab ihn nicht in mir, was willst du. Ich bin vielleicht ein Monstrum?« »Ja«, sagte Claude hart.
»Bin ich’s? Dann ist auch mein Körper eines. Was er für Angst, für Empörung leidet, bei der Annäherung des Mannes – oh, das wirst du nie erfahren. Und was ich meinem Ehrgeiz, meiner Kunst für Opfer bringe … Aber ich tu’s, ich bin stark.«
Da erblickte er das Elend ihrer Stärke. Es weinte ihm auf die Hände. Er stammelte, bebend von Mitleid, mit ihr, mit sich.
»Aber mich – warum nicht wenigstens mich lieben, der um dich weiß. Bin ich zu schlecht, wie die andern?«
»Du bist mir am nächsten, du bist mein Bruder. Da, gib mir die Hand.«
Er wich zurück, gequält. »Ich will nicht mehr.« »Ich liebe dich, wie ich kann. Ich brauche dich, fühle mich wohl in deiner Anbetung und komme in kalte Wut, wie in Düren, wenn du mich verrätst. Das genügt dir nicht? Gib mir deine Hand.«
»Ich will nicht mehr.«
Er besann sich. Drohend: »Du weißt, was ich will. Ich geh nicht weg, ohne dich gehabt zu haben.«
Sie rückte den Kopf, ganz rasch: »Du machst mich bös.«
»Das ist mir ganz einerlei, darüber sind wir zwei hinaus …«
Er feuerte sich an, sträubte sich dagegen, die Tat versäumt zu haben.
»Ich hab die Macht!«
»Hör doch auf mit deiner Macht!« Sie geriet in Wut.
»Weil du ein Mann bist? Ich bin keinem unterworfen, weißt du, dir am wenigsten. Weshalb duld ich dich? Weil du keine breiten Schultern hast, und mich nicht durch eine Übermacht von Männlichkeit bedrohst. Was kannst du denn?«
»Ich werde dich umstoßen – wie vorhin.«
Er warf sich wieder zum Sturm vor. Sie floh bis vor das Badekabinett. Auf der Schwelle wendete sie sich ihm zu; die Arme gekreuzt, erwartete sie ihn. Sie rief: »Und nachher? Denkst du an das Nachher? Wenn du dann schlaff bist. Du Elender, und die tödliche Beleidigung liegt zwischen uns – ahnst du die ganze Verachtung des Fußtritts, womit ich dich von mir schieben werde, hinunter vom Bett! Dann sind wir fertig … Wir sind überhaupt fertig!«
»Ja. Fertig sind wir, so oder so. Also –«
Aber sie umfaßte hart sein Handgelenk. »Nein! Geh!«
Und in ihren Augen der kalte Wille zwang auf einmal all seine erkünstelte Kraft zum Hinknien. Sie fühlte sein Handgelenk mürbe werden und ließ es los. Sie wies, über ihr Bett hinweg, auf das Fenster: »Geh!«
Er tappte rückwärts hin, lehnte sich an das Fensterbrett. Er warf einen verzweifelten Blick hinaus auf den leeren, nur von Nacht begrenzten Platz aus Wiese und Lehm. Dieser unbebaute, zertretene Vorstadtboden bedeutete das verwahrlosende Leben des Ungeliebten, in das sie ihn verwies. Wie sie schön war. Er machte einen Schritt, die Hände bittend erhoben. Die Flamme in ihren Augen drohte kälter, ihr Finger befahl. Claude zuckte die Achseln; er ließ sich aus dem Fenster gleiten, besiegt, trostlos. Er trollte sich, gesenkten Kopfes, bis ans andere Ende des Platzes. Dort blickte er um, fand ihr Fenster noch immer erleuchtet und offen.
»Ich kann ja umkehren …«
Aber er legte beide Hände übereinander vor die Stirn …
In den vergangenen Minuten war ihr Fenster – hatte er ihr Zimmer einst erstürmt und erbrochen, er? – unzugänglich geworden, als läge es im fünften Stock.
(1903) Roman. Die Jagd nach Liebe, S. 352ff.
Pippo Spano
»All meine Sehnsucht drängt nach den Starken, die das könnten, nach den Condottieri des Lebens, die in einer einzigen Stunde ihr ganzes Leben verschlingen und glücklich sterben. Anstatt uns nun trübe zu verlaßen, hätten wir heute früh zusammen sterben sollen, o Gemma!«
Mario Malvolto unterbrach sich.
»Und warum nicht heute abend?« rief er in den durchglühten Schatten zwischen zwei Rosenbüschen. »Warum nicht übermorgen, oder jeden anderen Tag, den wir glücklich waren!«
»Bedenke einmal, Freund, daß du da eine schlicht bürgerliche Niedertracht begehst! Du möchtest das Mädchen, das du genossen hast, in Bälde los sein, du enthüllst ihr geheime Ärmlichkeiten, die nur dich angehen. Du hast kein Recht dazu. Da du sie einmal aufgenommen hast wie ein Starker, da du sie wie ein Stück Beute in dein Schlafzimmer geschleppt hast – tu deine Schuldigkeit und bleibe stark! Sie ist zu dir gekommen wie zu einem der Künstler von früher, die zwei Frauen gleichzeitig vollauf befriedigten, eine auf der Leinwand ihrer Staffelei und eine auf der ihres Bettes. Im Grunde hast du Angst, diese oder jene könne deiner Gesundheit schlecht bekommen. So stirb an ihr! Das Wunder ist für dich geschehen. Es ist dieses Wunder namens Frau, aus einer üppigeren und jäheren Welt, der von deiner Sehnsucht entzauberten, hervor und in dein Zimmer getreten. Du hast es begrüßt; nun glaube es! Nun glaube, daß es dich erlöst, und bist du zu schwach zu glauben, dann stirb doch dafür, ohne deinen Zweifelmut zu verraten, wie ein Märtyrer, der sich ohne rechte Überzeugung, aber schweigend ans Kreuz nageln läßt!«
Mario Malvolto entschloß sich. Er zerriß in Gedanken den im Kopf geschriebenen Brief. Dann ging er ins Haus und stellte sich, die Arme verschränkt, vor das Bild des Pippo Spano. Nein, Pippo Spano lächelte nicht. Vielleicht doch? Aber sein Lächeln war nie so unnachweisbar gewesen.
Gemma zeigte sich ihrem Geliebten am Abend, und am folgenden wieder, und an jedem Abend.
Er bedachte, daß der Glaube sich erwerben lasse. Man mußte seine Gebärden nachahmen, in seinen Riten leben, seine diätetischen Vorschriften befolgen; am Ende kam er. Es handelte sich darum, die Kunst, die auf das Gesicht der Liebe eine Maske drückte, zu überwinden, den eigenen Geist herumzureißen wie ein Pferd, seine schöpferische Neugier von der ganzen Welt fort und auf eine Frau zu bannen, mit dem einzigen Ehrgeiz, eine vollkommene Liebe in sich zu erschaffen.
(1905) Novelle. Pippo Spano, Novellenband II, S. 15–58, S. 38f.
Zu neuen Ufern im neuen Jahrhundert
»Dieser große Essay (Heinrich Manns Zola-Essay, d. Hg.), der den politischen Menschen Heinrich Mann nicht weniger fesselnd offenbart als den meisterlichen Menschenschilderer, den mit kühn gerafften Pinselstrichen malenden Gestalter von Landschaften und Zuständen, ist in jedem Bezug eine überragende Leistung, der die Zeit nichts hat anhaben können. Er war eine Absage an alle, die sich von der chauvinistischen Woge des Kriegsausbruchs hatten