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Morgen.

      Braunkärsch betrachtete melancholisch den schmalen Silberring an seiner linken Hand. Um wie viel mehr hatte er Erfurt genossen, als Sylvia noch bei ihm gewesen war. Sie hatte den Schmerz seiner Verwundungen gelindert und ihm dann eine neue Wunde zugefügt. Drei Jahre war das jetzt her. Warum ihn Sylvia verlassen hatte, verstand er bis heute nicht. Es hatte keinen Streit gegeben, keine heftigen Diskussionen, nichts. Eines Tages hatte sie die Koffer gepackt und war davon. Ein kleiner Zettel auf dem Tisch mit einem kurzen Abschiedsgruß, das war alles gewesen. Auch diese Wunde wollte nicht heilen.

      Bindersleben war erreicht. Einer der seltenen Flieger kämpfte sich zum Wolkengrau hinauf, aus dem ein heftiger Guss niederging. Kurz nach dem Ortsschild bog Mütze links ab. Im Pegasusweg 32 waren die Vorhänge zugezogen, dahinter schimmerte Licht. Mit hochgezogenen Mantelkrägen eilten die Kommissare zur Eingangstür und drückten die Klingel. Ein junger durchtrainierter Mann in Jogginganzug und Sportschlappen öffnete auf das Klingeln so rasch, als hätte er hinter der Tür gewartet. Seine braunen Haare trug er an den Scheiteln ausrasiert, der Schopf hing ihm tief über die Stirn, wie es jetzt bei jungen Leuten Mode war.

      »Herr Wieland?«

      »Jawohl, Kevin Wieland.«

      Die Kommissare traten ein, Kevin Wieland schloss die Haustür schnell wieder, denn ein heftiger Regenschauer jagte ihnen hinterher. Zusammen gingen sie in die Wohnküche.

      »Meine Frau Lisa.«

      Am Küchentisch saß eine schlanke Frau mit blonder Kurzhaarfrisur.

      »Ich geh nach oben«, sagte sie.

      »Nein, nein, bleib doch ruhig, Schatz, wenn es die Herren nicht stört«, erwiderte ihr Mann.

      Mütze und Braunkärsch hatten keine Einwände und setzten sich dazu.

      »Meine Nachbarin hat mir einen Zettel an die Tür geklebt, dass die Polizei bei uns gewesen ist. Waren Sie das? Wir haben meine Schwiegereltern in Arnstadt besucht und sind eben erst nach Hause gekommen. Was ist denn passiert?«

      »Herr Wieland, kannten Sie Herrn Sternberg?«

      »Sternberg? Moment, Sie meinen Adam Sternberg? Na klar, kenne ich Adam! Aber wieso kannten? Was ist mit Adam?«

      »Er ist tot.«

      Lisa Wieland schlug sich auf den Mund, dennoch entfuhr ihr ein unterdrückter Schrei. Entsetzt starrte sie Mütze an und auch ihr Mann war sprachlos.

      »Tot? Warum denn tot?«, fragte er stotternd.

      »Wir müssen davon ausgehen, dass er getötet worden ist«, sagte Mütze.

      »Um Himmels willen, wer war das? Wer hat Adam umgebracht?«

      »Woher kannten Sie Herrn Sternberg?«

      »Adam ist ein guter Freund, wir sind Kollegen, arbeiten zusammen bei der Stadt als Gärtner.«

      »Wann haben Sie Adam Sternberg das letzte Mal gesehen?«

      »Am Donnerstag. Karfreitag hatten wir beide frei, da musste nur der Notdienst ran. Wir sind beide oben am Petersberg eingesetzt worden, letzte Arbeiten an den Tulpenbeeten, Sie wissen schon, die Gartenschau. Alles etwas hektisch im Moment.«

      »Ist Ihnen etwas an Ihrem Kollegen aufgefallen? Hat er von seinen Plänen für die Ostertage erzählt?«

      »Adam? Nein, kann mich nicht erinnern. Wir haben nur wenig Privates ausgetauscht.«

      »Aber Sie waren doch befreundet. Ihre Nachbarin hat erzählt, er hätte Sie immer mal besucht.«

      »Ja, schon. Zum Grillen und so. Wir haben uns wirklich gut verstanden, aber es ging doch immer um den Job oder um Fußball und so.«

      »Hat er Ihnen nicht erzählt, dass er ein Rendezvous hatte?«

      »Ein Rendezvous? Adam, tatsächlich? Nein, davon weiß ich nichts.«

      »Aber dass Sie als Erbe eingesetzt worden sind, das wissen Sie vermutlich.«

      Bei diesen Worten nahm Mütze den Gärtner scharf in den Blick. Täuschte er sich oder hatte dessen linkes Auge für einen kurzen Moment gezuckt? Und diese Bewegung zum Hals, dieses unsichere Kratzen, was hatte es zu bedeuten?

      »Also was jetzt? Wissen Sie es oder nicht?«

      Die beiden Eheleute sahen sich kurz an, dann nickte der Gärtner stumm.

      »Ist das ein Ja?«

      Wieder nickte Wieland.

      »Ungewöhnlich, oder? Einen Kollegen als Erben einzusetzen?«

      Wieland sagte nichts darauf.

      »Herr Wieland, wo waren Sie in der Zeit zwischen Samstag, 16.30 Uhr und Sonntag, 11.45 Uhr?«

      »Wie gesagt, heute sind wir zum Osterbrunch bei meinen Schwiegereltern in Arnstadt gewesen.«

      »Wann sind Sie dorthin aufgebrochen?«

      »So gegen neun.«

      »Und von gestern Nachmittag bis heute um neun, wo sind Sie da gewesen?«

      »Zu Hause bei meiner Frau.«

      »Das können Sie sicher bestätigen, Frau Wieland.«

      Lisa Wieland griff nach der Hand ihres Mannes und sagte mit fester Stimme: »Genauso ist es, Herr Kommissar.«

      *

      Wie gut das tut, endlich von dem schrecklichen Blut befreit zu werden. Wie dankbar ich ihm bin, dem Mann in dem weißen Anzug. Mitten in der Nacht ist er noch zu mir hinaufgestiegen. Er gibt sich redliche Mühe, die hässlichen Spuren zu beseitigen. Wie behutsam er mit dem Lappen über meine Kanten fährt, mit einer einfachen Seifenlauge hat er ihn getränkt, nicht mit scharfen Chemikalien. Wieder und wieder taucht er den Lappen in seinen Eimer, wringt ihn aus, sodass es rot in den Behälter tropft. Mit jedem Mal aber wird das Rot heller, bis sich der Lappen nicht mehr verfärbt. Jetzt nimmt der Mann ein weiches Tuch, reibt mich trocken, gibt mir meine Unschuld zurück.

      Natürlich können Sie einwenden, ich hätte meine Unschuld nie verloren, ich wäre doch unschuldig an dem, was passiert ist, und natürlich hätten Sie recht. Dennoch, mein Gefühl ist ein anderes. Auch wenn ich nichts dafür konnte! Der arme Mensch, den man in mich hineingehängt hat, was hätte ich gegeben, wenn ich ihm hätte ausweichen können. Er kam einfach auf mich zu, kam näher und näher, mit dem Kopf dicht am Klöppel hängend, bis ich ihn erwischt habe. Wie hat er geschrien, wie hat das Echo widergehallt! Doch meine Stimme war lauter, bedeutend lauter, sein Schrei ging unter, während ich immer fester zu schwingen begann, schwingen musste, so wie es von mir verlangt wird. Wie hat er mich angesehen, mit weit aufgerissen Augen, wie hat er mir seine Hände entgegengestreckt. Ach, der Tor! Hat er wirklich geglaubt, mein Schwingen stoppen zu können? Als ich seine Arme mühelos weggedrückt habe, hat er versucht, die Hände schützend vor seinen Kopf zu legen, auch das vergebens. Geriet sein Schädel zwischen den Klöppel und mich, krachte er zum Steinerweichen, ein furchtbares, grausames Geräusch. Dann sanken seine Arme hinab, es war vorbei mit ihm, endlich vorbei. Ich aber musste weitermachen, immer noch weitermachen, bis man mich endlich ausschwingen ließ. So schlimm hat meine Stimme nie zuvor geklungen.

      Wie dankbar bin ich dem Mann in dem weißen Anzug. Jetzt reinigt er noch meinen Klöppel, reinigt ihn mit der gleichen Liebe und Umsicht wie zuvor mich selbst. Dass es schon nach Mitternacht ist, scheint ihm nichts auszumachen. Wenn alle Menschen so wären, nichts Böses gäbe es auf dieser Welt.

      Ostermontag

      Fulgus arcens et demones malignos

      (Ich wehre die Blitze und die bösen Geister –

      Inschrift der Gloriosa)

      Karl-Dieter war früher auf als gewöhnlich. Das musste am Lampenfieber liegen. Es war verrückt, selbst nach all den Jahren am Theater ließ es ihn nicht los. Bei der gestrigen Generalprobe hatte bei einer der Blumen der Welkmechanismus versagt, bis spätabends hat er noch an ihr herumgeschraubt.

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