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gehabt. Nun galt es, aus der Idee einen Plan zu schmieden. Er war gut in solchen Dingen.

      Mord war sein Geschäft.

      Weil er sich darauf verstand.

      *

      Carolina blickte zur roten Sonne am fernen Horizont und sah über das offene Meer. Wie schön! Eine lebhafte Brise schlug ihr entgegen, Wolken zogen schnell vom Meer auf das Land zu, reflektierten das Licht der tief stehenden Sonne und tauchten den gesamten Golf von Triest in glühend rote Abendstimmung. Was für ein großartiges Naturschauspiel. Sie stand am Ende des Molo San Carlo und war fast versucht, die Arme von sich zu strecken, wie eine Möwe die Brise einzufangen und mit wenigen Flügelschlägen weit hinaus aufs offene Meer zu fliegen. Sie war in Euphorie. So schmeckte die Freiheit! Der köstlichste Geschmack der Welt.

      Wo war Friedrich?

      Carolina wandte sich um und suchte im Gewühl. Auf der rechten Seite des Molo lagen die kleinen Lokaldampfer für den nahen Küstenverkehr, auf der linken Seite die Dampfer des Österreichischen Lloyd, die den adriatischen Schiffsdienst bestritten. Die bedeutendste Schifffahrtsgesellschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie bediente nicht nur die Linien in der Adria, sondern dominierte auch den Schiffsverkehr in das östliche Mittelmeer und zum Schwarzen Meer, darüber hinaus verkehrten Überseedampfer auf den Eillinien von Triest nach Indien, China und Japan.

      Eben stiegen die Fahrgäste des kleinen Dampfers Metcovich aus und füllten den Molo mit Leben. Wie Carolina sah, kehrte das Schiff von seiner Fahrt aus Venedig zurück. Dienstleute versuchten, das Gepäck der Reisenden zu ergattern, eine Gruppe von Hafenarbeitern machte sich bereit, die Fracht des Dampfers auf zwei bereitstehende Pferdefuhrwerke zu verladen. Die Matrosen an Bord brachten den Kran in Stellung, um die geladenen Holzkisten auf den Molo zu hieven. Rund drei Stunden dauerte die Überfahrt von Triest nach Venedig. Mehrere kleine Dampfer pendelten täglich zwischen den beiden großen Städten der oberen Adria und sorgten für rege wirtschaftliche und kulturelle Kontakte zwischen Österreich-Ungarn und Italien.

      Carolina schob sich durch das Gedränge.

      Sie schaute an der hohen Eisenwand des Dampfers Gisela empor, der morgen um acht Uhr in Richtung Cattaro ablegen und auf dem Hin- und Rückweg alle großen Hafenstädte der dalmatinischen Küste anlaufen würde. An Bord brannten viele Lichter, so manche Fahrgäste hatten sich schon eingeschifft und schauten von oben herab auf das lebhafte Treiben. Zwei Kinder winkten Carolina. Sie erwiderte den Gruß.

      Sie wandte sich ab und suchte wieder nach Friedrich. Da! Zwei Augen blitzten aus der Menge hervor. Sie eilte los, Friedrich griff nach ihren Händen und zog Carolina an sich.

      »Da bist du ja endlich!«

      »Friedrich, was für eine Freude!«

      Eine ganze Weile stand das junge Paar beisammen und bemerkte nichts von all der Geschäftigkeit und dem Trubel um sie herum. Erst als ein Dienstmann seinen Gepäckkarren rumpelnd auf sie zuschob und seine Stimme lebhaft erhob, brach der kurze Zauber des Beisammenseins. Friedrich schaute sich um.

      »Lass uns ein Stück gehen«, schlug er vor und bot ihr seinen Arm an.

      Carolina hakte sich bei ihm ein. Sie ließen den Molo hinter sich und gingen am Kai entlang. Zahlreiche Segelschiffe waren an der Kaimauer festgemacht, kleine einmastige Brazerra und etwas größere zweimastige Trabakel, die für den küstennahen Transportdienst und den Fischfang eingesetzt wurden. Möwen kreisten in der Luft und Nebelkrähen belagerten sorgsam spähend die Kaimauer.

      »Ist dein Vater im Hotel?«

      »Ja. Er hat sich in den Rauchsalon zurückgezogen.«

      »Wann musst du zurück sein?«

      »Um acht Uhr.«

      »Wir haben also mehr als eine Stunde für uns! Wie schön.«

      »Hast du eine Herberge gefunden?«

      »Ja. Ein kleines Haus beim Bahnhof. Das Zimmer ist sehr schlicht, aber still, das Fenster liegt auf der Hofseite. So ist es angenehm. Eine angemessene Unterkunft für ein paar Heller.«

      »Du bist so bescheiden.«

      »Wer so wie ich von und für die Kunst und die Liebe lebt, braucht nicht viel Geld.«

      Carolina kicherte. »Du lebst also für die Liebe.«

      »Natürlich! Die Liebe ist eine Schicksalsmacht und beseelt den Menschen, entflammt den Geist und lässt die Herzen pochen. Mein Herz, geliebte Carolina, gehört dir allein.«

      »Du bist ein Poet!«

      »Und du bist meine Muse«, rief Friedrich theatralisch und hielt an. Er nahm Carolina in den Blick. »Wann können wir endlich beisammen sein? Wann können wir heiraten? Wann können wir Mann und Frau sein, so wie Gott uns schuf und die Natur es von uns verlangt?«

      »Du weißt doch, dass das nicht möglich ist.«

      »Wann wirst du deinem Vater von unserer Liebe berichten?«

      »Noch nicht.«

      »Ich will es herausschreien, ich will es in allen Zeitungen annoncieren, ich will es auf Plakate drucken und diese auf allen Litfaßsäulen der Monarchie affichieren, dass ich, Friedrich Grüner, dich, Carolina von Urbanau, liebe und dich immer lieben werde.«

      Carolina schaute sich betreten um. »Bitte nicht so laut. Lass uns weitergehen.«

      Ein Weilchen gingen sie eingehakt am Kai entlang.

      »Morgen früh will mein Vater mit dem Automobil nach Duino fahren. Die Gräfin erwartet unseren Besuch. Abends können wir uns wieder treffen.«

      »Ich werde auf dich warten.«

      »Hast du genug Geld?«

      »Ich brauche nicht viel.«

      »Ich kann dir welches geben.«

      Friedrich kaute auf seiner Unterlippe. »Ich bin so beschämt, dass ich so arm bin. Ein bettelarmer Schauspieler und Dichter, ich besitze nichts als einen alten Gehrock und ein Paar Schuhe. Und du bist die Tochter eines unermesslich reichen Grafen. Wie kann unsere Liebe in einer verkehrten und verrückten Welt wie dieser nur Bestand haben?«

      »Bist du verzweifelt?«

      »Ja. Es zerreißt mir die Brust.«

      »Aber wir sind doch beisammen.«

      »Ich weiß nicht, wie ich es überstehen soll, fast einen Monat mit dir auf hoher See zu sein und dich immer nur aus der Ferne sehen zu können. Was hast du dir nur dabei gedacht, mich dieser Tortur auszusetzen?«

      Jetzt hielt Carolina inne, sie blickte erschrocken zu Friedrich hoch. »Bitte lass mich nicht allein auf dieses Schiff steigen. Bitte! Ich brauche dich. Und wenn wir uns nur heimlich treffen und nur wenige Worte wechseln können, so ist dies doch das einzige Glück, das ich für diese Schifffahrt erhoffen kann.«

      »Keine Sorge, geliebte Carolina, ich werde mit dir und doch fern von dir an Bord gehen. Ich bin bereit, das Äußerste für dich zu tun. Du hast die Schiffskarte nicht umsonst für mich gekauft.«

      »Aber du hast die Karte doch selbst gekauft.«

      »Mit deinem Geld.«

      »Lass uns nicht vom schnöden Geld sprechen. Das deprimiert mich.«

      Schlagartig hellte sich Friedrichs Miene auf. Das war es, was Carolina so an ihm liebte, er trug eine unendliche Heiterkeit in sich. Er konnte aus dem tiefsten Unglück heraus von einem Moment auf den anderen mit nur einem Lachen auf den Lippen der fröhlichste Mensch der Welt werden. Friedrich war ein Wunder. Er wies mit großer Geste um sich.

      »Diese Stadt, liebe Carolina, die ich seit meiner gestrigen Ankunft kennengelernt habe, ist ein Wunder der Menschheit, ein Ort der Hoffnung und Zuversicht. Allein welche verschiedenen Sprachen ich an diesem einen Tag meiner Anwesenheit hier schon gehört habe, füllt ganze Lexika. Italienisch, Slowenisch, Deutsch, Furlanisch, Kroatisch, Griechisch, Englisch, Türkisch und Arabisch. Triest ist ein Knotenpunkt

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