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      Er begrüßte die Polizeiagenten, die in ihrem Dienstzimmer arbeiteten. Kurz schaute er in das Bureau von Vinzenz und Luigi. Vinzenz Jaunig saß bereits an seinem Arbeitsplatz und sortierte Akten.

      »Guten Morgen«, rief Bruno in Deutsch von der Tür aus.

      Vinzenz hob den Blick und erwiderte den Gruß in seiner Muttersprache. Vinzenz war zehn Jahre älter als Bruno, er war vor fünfundzwanzig Jahren aus seiner Heimat Kärnten nach Triest gekommen und sprach fließend Italienisch, aber mit nach wie vor hartem Akzent. Der vierschrötige Mann war mit einer Italienerin verheiratet und Vater von vier Kindern. Sein ältester Sohn leistete eben den Militärdienst und strebte, wie sein Vater, die Laufbahn als Polizist an. Kräftige junge Männer mit einwandfreiem Leumund waren immer gesucht. Die Stadt wuchs und wuchs, da musste sich die Polizeibehörde rechtzeitig nach Blutauffrischung und Verstärkung umsehen.

      Bruno zeigte auf Luigis leeren Schreibtisch. »Unser Jungspund schläft noch?«

      Vinzenz zuckte mit den Schultern. »Du weißt ja, wie er ist.«

      Bruno nickte und schaute zur geschlossenen Tür seines Vorgesetzten. Oberinspector Gellner erschien zumeist erst gegen halb neun in der Kanzlei, schwer vorstellbar, dass er am ersten Tag nach seinem Urlaub früher kommen würde. Auch Emilios Tür war geschlossen. Bruno sperrte die Tür zu seinem Bureau auf, trat ein und öffnete das Fenster. Das Wetter war hervorragend, sonnig, nur mäßig windig und nicht zu heiß. Ein guter Tag für die Arbeit. Er rückte den Stuhl zurecht und nahm am Schreibtisch Platz. Heute war er an der Reihe, sich die Vorträge der Bürger anzuhören. Auch diese Arbeit musste getan werden.

      Ivana klopfte an die offen stehende Tür. »Ihr Kaffee.«

      »Herzlichen Dank.«

      Sie stellte die Tasse ab. »Soll ich die ersten schon vorlassen?«

      »Ich brauche noch zehn Minuten. Ich gebe Ihnen Bescheid.«

      »Ist recht, Signor Zabini.«

      Damit verließ sie sein Bureau. Wohliger Kaffeeduft machte sich breit. Er nahm einen Schluck – köstlich wie immer – und hörte Schritte auf dem Gang. Die Schrittfolge, das Aufsetzen der Schuhe auf dem Parkett, Bruno erkannte daran seinen Kollegen.

      Emilio Pittoni machte sich im Türstock breit. »Guten Morgen.«

      »Guten Morgen«, erwiderte Bruno den Gruß.

      »Du hast also den Bericht über die Rauferei schon geschrieben?«

      »Ja.«

      »An deinem freien Tag schreibst du Berichte?«

      »Das hat sich so ergeben. Ich habe eine Stunde Zeit gehabt.«

      Emilio verzog seinen Mund. »Was immer der Dienst befiehlt und die nächste Beförderung einbringt.«

      Bruno regte seine Miene nicht. Es war ihm seit Langem klar, dass Emilio dem Zeitpunkt mit Argwohn entgegensah, an dem Bruno ihn in der Hierarchie überholen würde. Und es war auch klar, dass er kaum eine Gelegenheit ausließ, diesen Zeitpunkt hinauszuzögern. Sie waren Kollegen, sie waren Inspectoren I. Klasse, sie waren beide erfahrene Kriminalisten und arbeiteten gemeinsam, aber gute Kollegen oder gar Freunde waren sie nie geworden. Emilio konnte Bruno nicht ausstehen, weil er bei den Damen so beliebt war, weil er so fleißig arbeitete, weil er in Emilios Augen von Oberinspector Gellner bevorzugt wurde. Bruno hingegen misstraute Emilio, weil er seine definitiv vorhandene Intelligenz einsetzte, um mit fragwürdigen Methoden Fälle zu lösen.

      »Wie du sagt, was immer der Dienst befiehlt.«

      Die laute Stimme Gellners war aus Ivanas Bureau zu hören. Die beiden Inspectoren spitzten überrascht die Ohren. Sieh an, der Oberinspector war heute früher dran als sonst. Gellner lachte herzhaft. Offenbar hatte er aus dem Urlaub gute Stimmung mitgebracht. Die Beamten des k.k. Polizeiagenteninstituts hatten feine Ohren für die Stimmung des Herrn Oberinspectors entwickelt. Bei schlechter Stimmung ging man lieber nicht aus der Deckung, bei guter Stimmung konnte es in der Kanzlei mitunter fidel zugehen. Emilio warf Bruno noch einen nichtssagenden Blick zu und verschwand dann in sein Bureau. Gellner begab sich auf seine Runde, begrüßte seine Männer mit Handschlag, machte Witze und schien dem Wetter entsprechend bestens gelaunt. Gellner rief sie zu einer Besprechung in fünf Minuten zusammen. Die Bürger im Wartezimmer würden sich noch gedulden müssen.

      Bruno verrichtete ein paar Handgriffe und trat kurz darauf auf den Gang. Eben huschte Luigi herein und warf Sakko und Hut auf seinen Schreibtisch. Zweifellos hatte Ivana ihn von der kurzfristig angesetzten Besprechung in Kenntnis gesetzt. Die Polizeiagenten brachten ihre Stühle aus den Dienstzimmern, betraten das geräumige Bureau des Oberinspectors und stellten die Stühle in einer Reihe vor dem wuchtigen Schreibtisch ab. Für die beiden Inspectoren standen zwei freie bereit.

      Gellner verfolgte mit ernster Miene die Verrichtungen seiner Männer, holte Luft und machte eine einladende Handbewegung »Meine Herren, bitte setzen Sie sich.« Gellner wartete, bis sie saßen. Er fasste Luigi streng ins Auge. »Signor Bosovich, haben Sie es tatsächlich noch geschafft, zeitgerecht Ihren Dienst anzutreten?«

      Luigi nickte kleinlaut. »Jawohl, Herr Oberinspector.«

      »Ich vermisse Signor Materazzi.«

      »Er ist dienstlich im Hafen unterwegs«, erklärte Vinzenz.

      Gellner nickte. »Nun denn, meine Herren, ich bitte Sie, mir sorgfältig von den Geschehnissen in der Woche meiner Abwesenheit Bericht zu erstatten. Und fassen Sie die wesentlichen Inhalte Ihrer Tätigkeiten zusammen, auf dass es mir möglich ist, mir ein Bild von den Vorkommnissen zu machen.«

      Gellners Sprechweise klang immer irgendwie gestelzt, ganz egal, ob er Deutsch oder das Triestiner Italienisch sprach. Vor sieben Jahren war er zum Leiter des k.k. Polizeiagenten­instituts ernannt worden. Alle im Raum wussten, dass er diese verantwortungsvolle Stelle wegen zweier Umstände erhalten hatte. Zum einen wegen seiner sehr guten Kenntnisse der italienischen Sprache, und zum anderen weil er als Deutsch­österreicher ein Protegé des deutschösterreichischen Statthalters war. Gezielt hatte Prinz Hohenlohe seit seiner Ernennung durch den Kaiser Deutschösterreicher an die wichtigen Hebel der Macht und der staatlichen Sicherheit gehoben.

      Doch bevor Gellner das Wort seinen Untergebenen überließ, erzählte er mit stolzgeschwellter Brust und in ausführlichen Worten von seinem Ausritt mit der Jagdgesellschaft des Baron Bruckheim in das Görzer Hinterland, von den geselligen Abenden beim Kartenspiel im Schloss des Herrn Baron, der großartigen Sammlung von historischen Büchsen des Herrn Baron und von den famosen Schusskünsten des Herrn Baron beim Taubenschießen. Die Kriminalbeamten lauschten regungslos dem Vortrag. Nichts anderes hatten sie erwartet.

      Laute Stimmen vom Gang. Der Oberinspector hielt inne. Jemand klopfte an die Tür. Gellner warf seine Stirn in Falten.

      »Herein!«

      Ivana öffnete die Tür einen Spalt und steckte den Kopf herein. »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Oberinspector, aber …«

      »Frau Ivana, was in Herrgotts Namen ist denn so wichtig, dass Sie unsere Unterredung durch infernalisches Klopfen unterbrechen?«

      Ivana öffnete die Tür zur Gänze und machte Platz. Polizeiagent Materazzi trat ein und nahm Haltung an. »Herr Oberinspector, es hat im Hafen einen schweren Unfall mit einem Automobil gegeben.«

      »Einen Unfall?«

      »Ja. Es gibt einen Toten.«

      »Das ist sehr bedauerlich, Materazzi, und wir werden uns zu gegebener Zeit um die Sache kümmern. Aber jetzt setzen Sie sich, damit wir mit der Besprechung fortfahren können.«

      »Herr Oberinspector, der Tote ist der Fahrer des Grafen Urbanau.«

      Gellner hielt den Atem an. »Graf Urbanau ist in Triest?«

      »Ja.«

      »Ist der Graf beim Unfall verletzt worden?«

      »Das nicht. Der Fahrer hat mit dem Automobil das Gepäck des Grafen transportiert.«

      »Gott

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