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größere und leistungsfähigere Dampfer vom Stapel gelassen. Und obschon niemand es offen aussprach, hatte Signor Pasqualini mit gedämpfter Stimme erzählt, wusste doch ganz Triest, dass die k.u.k. Kriegsmarine neue und mächtige Schlachtschiffe auf Kiel legte. Das Stabilimento Tecnico Triestino, die große Werft in Muggia wenige Kilometer außerhalb von Triest, hatte in den letzten Monaten Hunderte Werftarbeiter eingestellt. Obwohl viele Züge nachts fuhren, so war niemandem in der Stadt der stete Strom von schwer beladenen Güterzügen entgangen. In den steirischen Hochöfen verhüttetes Eisen rollte unablässig an die obere Adria. Sowohl der zivile als auch der militärische Schiffsbau florierte wie niemals zuvor.

      Max von Urbanau hatte als Infanterieoffizier wenig mit der Kriegsmarine zu tun gehabt, aber natürlich leuchtete ihm ein, dass mit der steigenden Bedeutung der österreichisch-ungarischen Handelsmarine im Welthandel die k.u.k. Kriegsmarine veranlasst war, zum Schutze der Schiffe des Kaisers und seiner Untertanen wohl gerüstet aufzukreuzen.

      Die florierenden Geschäfte des Grafen mit den landwirtschaftlichen Produkten seiner Ländereien, mit dem Quarz aus den Bergwerken und mit der Glasfabrik in Graz bildeten ein solides Fundament, auf dem sich Investitionen in den höchst profitablen Seehandel tätigen ließen. Die Seetüchtigkeit und Schnelligkeit moderner Dampfer hatte überhaupt nichts mehr gemein mit den alten Segelschiffen. In früheren Jahrhunderten glichen Investitionen in den Seehandel einem Vabanquespiel, man konnte hohe Gewinne einstreichen, aber auch genauso gut über Nacht Hab und Gut verlieren. Stürme auf See, die die hölzernen Segelschiffe in höchste Seenot gebracht hatten, führten auf schweren Dampfern aus Eisen, angetrieben von mächtigen Dampfmaschinen, höchstens dazu, dass sich die Passagiere an Bord ärgerten, wenn sie auf wetterfeste Kleidung im Gepäck vergessen hatten. Und die Piraterie in manchen Teilen des Mittelmeers war zu Beginn des letzten Jahrhunderts von den großen Seemächten mit Kanonen, Schießpulver und dem Strick des Scharfrichters endgültig besiegt worden.

      Carolina tupfte ihre Lippen mit der Serviette ab. »Ich habe gleich nach dem Aufstehen das Fenster geöffnet. Wie mir scheint, wird das Wetter heute großartig.«

      Der Graf nickte seiner Tochter zu. »Das sind die besten Bedingungen für die Fahrt zur Steilküste.«

      »Auf Duino bin ich schon sehr neugierig.«

      »Ich war vor Jahren auf dem Schloss zu Gast. Die Aussicht über den Golf ist jede Reise in den Süden wert.«

      »Ich kann mich kaum auf meinem Stuhl halten, ich möchte so gerne die Stadt erkunden, durch die Gassen laufen und am Hafen Luft schnappen.«

      Max von Urbanau lächelte versonnen. »Dir gefällt es hier also.«

      »Oh ja, Papa, es war eine wundervolle Idee von dir, die Reise anzutreten.«

      »Na ja, die Idee stammte eigentlich von Dr. Röthelstein.«

      »Du hast sie in die Tat umgesetzt.«

      Die Miene des Grafen wurde auf einen Schlag nachdenklich, er ließ seinen Blick durch den Speisesaal des Hotels schweifen. Carolina bemerkte die umschlagende Stimmung ihres Vaters und wartete geduldig, bis er sich aus seinen Gedanken löste und ihr die Erlaubnis erteilte, vor der Abfahrt mit dem Automobil noch einen Spaziergang zu unternehmen. Natürlich um sich mit Friedrich zu treffen. Sie hatte durch das Fenster gesehen, dass er schon auf den Beinen war und auf der Piazza Grande umherstreifte. Der Graf holte tief Luft und fasste mit ernstem Blick seine Tochter ins Auge.

      »Meine liebe Carolina, wir haben zu reden.«

      Carolina presste ihre Knie gegeneinander, drückte die Ellbogen an ihre Seite und streckte den Rücken durch. Sie dachte nicht darüber nach, sie tat, was sie in der strengen Schule ihres Vaters erlernt hatte. Unbedingter Gehorsam, das war die erste und wichtigste Lektion gewesen. Und wenn ihr Vater diesen Ausdruck im Gesicht hatte, dann wusste sie genau, dass er eine Lehre oder eine Anweisung für sie vorbereitet hatte.

      »Ja, Papa.«

      »Dein einundzwanzigster Geburtstag rückt näher, somit ergibt sich naturgemäß die Frage nach den zukünftigen Dingen in deinem Leben.«

      Mit einem Mal lag ein Stein in Carolinas Magen. »Den zukünftigen Dingen?«

      »Mit schier endloser Freude konnte ich erleben, dass du in den letzten Jahren an Schönheit, Sittlichkeit und Klugheit deiner Mutter, Gott hab sie selig, in geradezu vorbildlicher Weise nachgeraten bist. Carolina, du bist eine Augenweide geworden.«

      »Meinst du wirklich?«

      »Natürlich. Ich sehe doch, wie die jungen Kerle sich die Hälse nach dir verrenken. Daher wird es Zeit, wichtige Entscheidungen zu treffen.«

      »Welche Entscheidungen meinst du, Papa?«

      »Vor allem die Entscheidung deiner Vermählung.«

      Carolina war klar gewesen, dass dieses Gespräch irgendwann auf sie zukommen würde, aber sie hatte den Gedanken immerzu von sich geschoben, hatte nicht daran denken wollen, hatte sich lieber in ihre Welt der Träume von einem glücklichen Leben mit Friedrich geflüchtet. Eine Vermählung? Es konnte niemals einen anderen Mann in ihrem Leben als Friedrich geben, also war eine Vermählung nur mit ihm denkbar. Mit einem mittellosen Schauspieler und Poeten. Sie presste ihre Lippen aufeinander und schwieg.

      »Ich habe mich beizeiten dieser Frage gewidmet und mich nach geeigneten Kandidaten für eine Ehe umgesehen. Dein Sohn wird der Erbe meines Titels, meiner Güter und Besitzungen sein, du bist von großer Anmut, du bist gebildet, weißt dich schicklich zu verhalten, du bist eine Tochter, auf die jeder Vater nur stolz sein kann, und die für jeden wohlgeborenen jungen Mann eine außerordentlich begehrenswerte Braut ist.« Der Graf machte eine Pause. »Also, werte Tochter, hier ist meine Entscheidung.«

      Panik griff nach Carolina. »Ich höre.«

      »Du weißt, dass es zwei große Häuser in der Steiermark gibt. Das Haus Urbanau und das Haus Brendelberg. In früheren Jahrzehnten haben diese Häuser einander befehdet, gegeneinander um die Vorherrschaft in der Grünen Mark gestritten, einmal haben wir die Avantage errungen, dann wieder das Haus Brendelberg. Das war nicht immer zum Vorteil beider Häuser und der Menschen in den Grafschaften, an die man als umsichtiger Landesherr selbstredend zu denken hat. Oswald von Brendelberg und ich haben uns vor einiger Zeit in Wien getroffen und wir haben nach einem, wie mir scheinen will, zukunftsweisenden Gespräch den Entschluss gefasst, zum Wohle beider Familien und der Menschen in der Steiermark beide Häuser in einer Ehe zu verbinden. Das Haus Urbanau hat in den letzten Jahren durch wirtschaftliche Erfolge sehr an Einfluss gewonnen, doch Graf Brendelberg hat im Gegensatz zu mir mehrere Kinder und eine Schar von Enkeln. Sein ältester Enkelsohn Arthur von Brendelberg ist im heiratsfähigen Alter, er ist äußerst gelehrig und hat nach Beendigung seines Militärdienstes mit großem Erfolg das Studium der Jurisprudenz begonnen. Als Soldat scheint er nicht unbedingt zu taugen, aber ich traue dem jungen Mann eine große Karriere in der Beamtenschaft oder der Politik zu. Nicht nur Soldaten, auch Männer der Verwaltung braucht die Monarchie. Und euer Sohn wird dereinst der Herr einer Grafschaft sein, die sich von der Koralpe bis an die Save erstreckt.« Max von Urbanau machte eine Pause und musterte seine Tochter, die regungslos und mit undurchdringlicher Miene auf ihrem Platz saß. »Nun, Carolina, was sagst du dazu?«

      Wo waren ihre Puppen? Wo das geliebte Kindermädchen? Wie lange stand sie schon mit ihren Schlittschuhen auf der brüchigen Eisdecke und wagte sich weder nach vorn noch zurück? Wie schön die Kirschenbäume hinter dem Haus blühten! Eine Schar von Meisen tummelte sich an der Futterstelle. Ein Bussard kreiste majestätisch hoch über den Feldern, hielt Ausschau nach Beute und sah nach dem Rechten und dem Gerechten in der Welt der Menschen. Wo befand sie sich? Was hatte ihr Vater gesagt? Carolina war sich sicher, dass sie träumte. Gleich würde sie erwachen. Gleich.

      Was war sie gefragt worden?

      »Arthur von Brendelberg ist ein froschgesichtiger Langweiler.«

      Der Graf legte seine Handflächen auf den Frühstückstisch. »Carolina, du weißt, was von einer jungen Frau deines Standes erwartet wird, du kennst unser Leben gut genug. Ich habe jede Investition in deine Zukunft gerne übernommen und will für dich nur das Beste.«

      »Du

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