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Ferne tönte ein Schiffshorn. Durch das halb geöffnete Fenster hörte er Schritte auf den Holzdielen. Vorsichtig beugte er sich vor und wagte einen Blick durch das Fenster.

      Da war sie! Fedora Cherini.

      Bruno hielt den Atem an. Sie war nur halb bekleidet, trug lediglich ein Unterkleid und war barfuß. Er erblickte ihre unbedeckten Waden, ihre nackten Oberarme. Ihr Haar floss offen über ihre Schultern. Wie schön sie war. Eine Königin!

      Fedora Cherini beugte sich vornüber und kramte in der unteren Schublade des Wohnzimmerschrankes. Brunos Augen weiteten sich. Die Rundungen ihres Gesäßes prägten sich in das Unterkleid.

      Ein Anblick purer Schönheit. Wollte er doch ewig weilen.

      Bruno tippte vorsichtig mit dem Fingernagel an die Glasscheibe. Signora Cherini erschrak, richtete sich auf und schaute zum Fenster. Sie stemmte ihre Fäuste in die Hüften und verzog den Mund, dann trat sie zu Bruno und öffnete das Fenster zur Gänze.

      »Wie lange beobachtest du mich schon?«

      »Lange genug, um deiner Schönheit vollends verfallen zu sein.«

      Fedora blickte aus dem Fenster. »Hat dich jemand gesehen?«

      »Niemand hat mich gesehen, niemand hat mich gehört, endlich bin ich bei dir.«

      »Na los, komm rein, aber mache keine Schmutzspuren an der Fassade. Es hat letzte Nacht geregnet.«

      Fedora trat zur Seite, Bruno kletterte in das Haus. »Wie lange sind deine Söhne bei deiner Schwiegermutter?«

      »Bis abends. Sie begleitet die Buben nach Hause.«

      Bruno umfasste Fedoras Hüfte und zog sie an sich. »Das heißt, wir haben den ganzen Tag für uns.«

      »Den Vormittag. Ich habe später noch zu tun.«

      »Wie kann das Schicksal mir noch gnädiger sein?«

      »Ich habe dich schon gestern Abend erwartet.«

      Bruno verzog den Mund. »Ich hatte zu tun. Just abends haben eine Handvoll griechischer Matrosen zu viel Bier und Schnaps getrunken und sich auf eine allzu leichtfertige Rauferei eingelassen. Einer der Gesellen wurde so schwer verletzt, dass er in der Schenke seinen Verletzungen erlag. Ich konnte erst knapp vor Mitternacht los, da wollte ich dich nicht mehr stören.«

      Fedora blickte Bruno mit ihren dunklen Augen an, sie schien ihn in ihren unauflöslichen Bann schlagen zu wollen. »Herr Inspector, Sie schlagen sich also bevorzugt mit betrunkenen Matrosen herum, anstatt mir Ihre Aufwartung zu machen? Ich bin bitter enttäuscht.«

      Bruno grinste breit. »Signora Cherini, ich biete an, jede Schuld, die ich mir Ihnen gegenüber aufgeladen habe, mit all meinen Kräften zu begleichen.«

      Fedora kicherte. »Küss mich, Herr Inspector.«

      Bruno ließ sich nicht zweimal bitten.

      *

      »Das ist unnatürlich.«

      Carolina Sylvia von Urbanau las einen Artikel im Interessanten Almanach für das treudeutsche Weib, über den sie sich nur wundern konnte. Die Haushälterin Josefa hatte das kleine Büchlein versehentlich in Carolinas Reisegepäck gesteckt, obschon sie die aktuelle Ausgabe von Roseggers Heimgarten hätte einpacken sollen. Eine ärgerliche Verwechslung, denn die mit großem Pathos vertretenen Ansichten im Almanach fand Carolina gelinde gesagt altbacken. Man schrieb das Jahr 1907. Das Mittelalter war lange vorbei. Carolina legte das Büchlein zur Seite und sah ihren Vater an.

      »Was hast du gesagt, Papa?«

      Graf Urbanau blickte mit verdrießlicher Miene zum Fenster des fahrenden Zuges hinaus. »Ich sagte: Das ist unnatürlich.«

      Carolina folgte dem Blick ihres Vaters und sah die prächtige Landschaft der Untersteiermark. Sanfte Hügel, gedeihende Getreidefelder, in der Ferne erblickte sie einen Ochsenkarren auf einem Feldweg, die hochsteigende Sonne erhellte das Land. Was für ein schöner Ausblick! Viel besser als das moralisierende und besserwisserische Geschreibsel, mit dem sie sich die letzte Viertelstunde verdorben hatte. »Ich kann nichts Unnatürliches entdecken, lieber Papa. Unsere Heimat erscheint mir im Vorbeiziehen gerade so, wie sie sein sollte.«

      Maximilian Eugen Graf von Urbanau, Besitzer großer Ländereien in der Untersteiermark, Inhaber einer Fabrik, Oberst der Infanterie außer Dienst und Attaché des Kriegsministeriums in Pension, nahm seine Tochter streng in Augenschein. »Du sagst es doch selbst! Im Vorbeiziehen. Diese Raserei! Man kommt sich vor wie in einem Tollhaus. Wie schnell fährt der Zug?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Sieh zum Fenster hinaus und versuche die Geschwindigkeit zu schätzen.«

      Carolina tat wie ihr geheißen. »Vielleicht sind es sechzig Kilometer pro Stunde. Vielleicht siebzig.«

      Der Graf stampfte mit seinem Gehstock auf. »Da hast du es! Siebzig Kilometer pro Stunde! Ich schätze sogar, dass es achtzig sind. Diese neuen Schnellzuglokomotiven erreichen auf geraden und ebenen Strecken leicht diese Geschwindigkeit.«

      »Das ist doch gut. So kommen wir rasch voran.«

      Der Graf erhob belehrend den Zeigefinger. »Wir bewegen uns mit achtzig Kilometern pro Stunde. Das nenne ich Raserei! Als ich seinerzeit mit meinem Regiment durch Böhmen marschiert bin, um bei der Schlacht bei Königgrätz den Dienst im Rock des Kaisers zu leisten, als wir also zur großen Schlacht anmarschiert sind, waren wir mit vollem Marschgepäck über zwei Wochen auf der Landstraße. Das nenne ich natürlich! Der junge Mann schnellen Schrittes über Feld und Flur entspricht der althergebrachten Natur des Menschen. Die rasende Eisenbahn ist neuzeitlicher Wahnsinn!«

      Carolina kannte jede Geschichte aus der großen Zeit ihres Vaters, in welcher er als schneidiger Leutnant im Felde gestanden hatte und bei der schweren Niederlage der österreichischen Armee gegen die vermaledeiten Preußen verwundet worden war.

      »Unser Coupé ist sehr komfortabel. Als wir losgefahren sind, fand ich den Kohlerauch ein bisschen störend, aber seit der Zug unterwegs ist, hat sich das gegeben. Ich genieße die Fahrt«, sagte sie.

      Der Graf schüttelte den Kopf. »Der menschliche Leib ist für solche Geschwindigkeiten nicht geschaffen. Siebzig bis achtzig Kilometer pro Stunde. Kind, denk doch einmal vernünftig!«

      »Nur so schaffen wir es an einem Tag von Graz nach Triest. Früher sind die Kutschen fast eine Woche unterwegs gewesen, bei schlechtem Wetter oft sogar länger.«

      »Du scheinst nicht zu verstehen, was ich dir erklären will, Carolina.«

      »Was willst du mir erklären, Papa?«

      »Bei solchen Geschwindigkeiten und diesem irrwitzigen Geruckel und Gerüttel werden die inneren Organe des Menschen heillos durcheinandergewirbelt. Das ist auf die Dauer nicht gesund.«

      »Ich finde, dass der Wagen bei siebzig oder achtzig Kilometer pro Stunde viel weniger gerüttelt wird, als eine Kutsche auf einer holprigen Straße. Außerdem fahren seit fünfzig Jahren Züge über die Südbahnstrecke von Graz nach Triest. Mir ist nicht bekannt, dass Lokführer oder Schaffner in all der Zeit an durcheinandergewirbelten Organen erkrankt sind.«

      Auf die Stirn des Grafen legten sich dunkle Falten. »Was sind denn das für revolutionäre Töne, junges Fräulein?«, fragte er mit knarrender Stimme.

      Carolina schlug den Blick nieder. Die Euphorie, endlich im Zug zu sitzen, hatte sie geradezu vorwitzig werden lassen. »Ganz bestimmt hast du recht, verehrter Herr Papa. Die Raserei ist augenscheinlich.« Carolina fügte schnell hinzu, um das Thema zu wechseln: »Dennoch freue ich mich sehr, endlich wieder nach Triest zu kommen. Ich habe die Stadt in so guter Erinnerung.«

      Der Graf nickte zustimmend und schaute sinnierend zum Fenster hinaus. »Ja, unsere Seereise von Triest nach Ragusa. Wie lange ist das her?«

      »Elf Jahre, lieber Papa, die Reise ist elf Jahre her. Ich war damals neun. Daran kann ich mich ganz genau erinnern.«

      Der Graf seufzte. »Ja, unsere Dampferfahrt

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