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gut auf dem Markt, besonders zur Wallfahrtszeit.

      Dann lieber Schrubben.

      Sie arbeitet sich nun langsam von der Wand auf die Eingangstür zu, spürt, wie der Boden in der Mitte des Raumes rauer wird, abgetreten und schmutzig. Hier mischt sich alles: der Schmutz aus der Schule, vom Markt, von der Marienstraße, vom Keller und sogar vom Schweinestall, so fein, dass sie es mit den Augen nicht sehen kann, aber trotzdem spürt. Wenn sie den Lappen im Eimer auswäscht, den Aufnehmer auswringt, fließt graue Brühe heraus.

      Ein Windstoß fährt in den Flur. Am Eingang schiebt sich ein Uniformierter durch die aufgerissene Tür und betritt die Halle. Er hält die Tür für einen zweiten auf, der ein wimmerndes Bündel auf dem Arm trägt. Derbe geschnürte Schuhe mit grobem Profil auf dem feuchten Boden. Die Männer klopfen an die Tür der Mutter Oberin und gehen hinein. Buchela nimmt ihren Lappen, steht auf, wischt die Spur der Schuhe weg. Als sie vor Schwester Lucindas Zimmer angekommen ist, hört sie Stimmen, kann einzelne Worte unterscheiden. »Der Magistratsrat hat das so beschlossen«, sagt eine Männerstimme bestimmt. »Auch der Waisenpfleger«, hört sie den anderen Mann und dann die laute Stimme von Schwester Lucinda: »Was denken Sie denn. Wir sind ein Waisenhaus, kein Säuglingsheim! Geben Sie den Säugling in Pflege! Wer soll sich bei uns denn um dieses Bündel kümmern?« Bewegungen hinter der Tür. Eilig nimmt Buchela ihren Lappen und kehrt zurück zum Eimer. Kaum taucht sie den Aufnehmer in das Wasser, als die Männer das Zimmer verlassen und erneut über den feuchten Boden laufen. Die Tür haben sie offen gelassen und so entdeckt die Nonne Buchela und kommt eilig auf sie zu. Das Mädchen sieht, wie die Falten des Rockes der Oberin beim Gehen knicken und wieder aufspringen. Buchela blickt vom Eimer auf und sieht unter die große weiße Flügelhaube, die das lederne Gesicht der Oberin umrahmt. »Hol Schwester Fidelis. Sie soll sich beeilen!«

      Auf Schwester Lucindas Arm kräht das Kind.

      Buchela findet Schwester Fidelis im Webraum.

      »Was machst du hier?«, fährt sie die Nonne an.

      »Die Oberin.«

      »Kommt sie her?«

      Buchela schüttelt den Kopf.

      »Also soll ich zu ihr?« Das Mädchen nickt.

      Die Spur von Schwester Fidelis Schuhen sieht im Flur wie die Fährte eines Feldhasen aus: schmale, lange Zeichen. Die Nonne betritt das Zimmer der Äbtissin. Das Schreien des Kindes dringt nach draußen, hallt im kahlen Raum wider. Buchela fühlt das Weinen im eigenen Bauch. Am liebsten würde sie sofort zu Mutter Lucinda laufen. Ich trag sie, würde sie sagen. Ich trag sie gern. Dann beugt sich Buchela jedoch wieder über ihre Arbeit, um schnell fertig zu werden. Noch eine Plattenreihe. Sie fasst schließlich den Zinkeimer, tritt vor die Tür, kippt das Wasser eilig in die Straßengosse, wringt das Tuch kräftig aus und kehrt in die Halle zurück. Sie bleibt stehen, lauscht, nähert sich der geschlossenen Tür des Oberinnenzimmers, lauscht wieder. Nichts. Kein Kinderschreien, keine Stimmen. Sie kommt zu spät.

      7.

      Jetzt, im Herbst, gehen die Mädchen schon um halb sieben nach oben, damit sie vor Einbruch der Dunkelheit ausgekleidet sind. Kerzen, Karbid- oder Petroleumlampen gibt es nicht genug, Brennmaterial ist teuer.

      Buchela liegt wach in ihrem Bett. Wie eine Litanei sagt sie sich ihren Namen vor: »Buchela. Buchela. Buchela.« Dann betet sie die Namen ihrer Geschwister herunter: »Engelsüßchen, Dotla, Rafflo.« Sie stockt, weil sie an Anton denken muss. Sie zählt erneut die Namen herunter, damit sie einschlafen kann, damit sie nicht vergisst, wohin sie gehört. »Engelsüßchen!«

      Sie hört das Atmen der anderen Mädchen. In dieser Nacht ist da noch ein anderes, fremdes Geräusch, das sie wach hält. Sie schiebt die Decke zur Seite, steht vorsichtig aus dem Bett auf, tastet sich im Dunkeln quer durch den Raum. Sie erfühlt den Türrahmen, wandert mit der Hand zur Klinke, zieht die Tür vorsichtig auf und schlüpft in den Flur. Sie tastet sich im Dunkeln an der Flurwand entlang, horcht, bleibt stehen. Deutlich hört sie nun das Schreien des Säuglings. Ja, hier muss das Kind sein. Sie drückt sich in das Zimmer, stößt gegen ein Möbelstück. Das Kind schreit noch lauter. Sie lauscht, ob sich im Haus etwas rührt. Es bleibt still. Da beugt sie sich herunter und fährt mit der Hand über die Decke. Sie fühlt ein kleines Ärmchen und dann auch das andere. Sie spürt, wie das Kind alle Muskeln verkrampft. Kurz entschlossen hebt sie es an ihre Brust. »Sch, schsch«, versucht sie es zu beruhigen. »Wo ist denn deine Mama? Sch, schsch.« Unter ständigem Murmeln legt sie das Kind in ihren Arm, schaukelt es. Buchela ertastet mit der freien Hand das Mündchen und steckt ihren Zeigefinger hinein. Das Baby saugt. Hoffentlich ist es nicht zu hungrig, sonst wird es gleich um so lauter schreien. Sie wiegt das Kind und summt ganz leise. Buchela kann spüren, wie sich die Muskeln langsam entspannen und sich der Säugling auf ihrem Arm zu strecken scheint. Das Kind wird ruhiger. Es greift mit seiner kleinen Faust um ihren Finger und hält ihn ganz fest.

      Irgendwann lockert sich der Griff und als der Arm des Säuglings nach unten rutscht, weiß Buchela, dass das Kind erschöpft eingeschlafen ist.

      Ihre Augen haben sich an das Dunkel gewöhnt. Sie entdeckt einen Stuhl im schwachen Licht, das von draußen dringt, und setzt sich, um den schmerzenden Arm abstützen zu können.

      Sie stellt sich vor, sie säße auf den Stufen ihres Wagens mit Engelsüßchen auf dem Arm. Zwischen den Wohnwagen knistert das Feuer. Tatta hat die Geige aus dem Wagen geholt und spielt. Eine Gitarre setzt ein. Der Körper des schlafenden Säuglings liegt warm auf Buchelas Bauch.

      Als die Tür geöffnet wird, schreckt Buchela auf. Sie muss eingeschlafen sein. Im Rahmen steht Schwester Fidelis. »Was hast du hier zu suchen? Das hat ein Nachspiel!« Sie nimmt dem Mädchen heftig das Kind vom Arm. Sofort fängt der Säugling an zu schreien. Buchela springt von ihrem Stuhl auf, rennt in den Flur und zum Waschraum. Da stehen die anderen schon Schlange.

      8.

      Als der Morgen hinter ihr liegt und sie mit Änne zurück zum Waisenhaus geht, ist Buchela erleichtert. Sauerwein hat ihre Buchstaben auf der Tafel als liederliches Gekrakel bezeichnet. Was wolle man auch von Zigeunern erwarten. Die Sääwer würde nie lernen zu schreiben. Aber eine Strafe hat sie nicht bekommen. Sie fühlt sich müde und hungrig. In der Nacht hat sie kaum geschlafen, abgesehen von dem kurzen Einnicken gegen Morgen.

      Während sie nun gemeinsam mit Änne die Pforte des Klosters passiert und in den dunklen Flur tritt, sieht Buchela, dass die Tür zum Zimmer der Oberin offen steht. Buchela macht sich neben Änne klein und blickt nicht auf. Schließlich rennt sie die steinerne Wendeltreppe wie vom Teufel gejagt nach oben.

      Auf einfache Verstöße gegen die Hausordnung steht Essensentzug. Davor hat Buchela keine Angst. Es ist vorgekommen, dass ihnen Mama nichts gab. Wenn der Vater mit seiner Geige nicht aufspielen konnte, bekam er kein Geld und die Mutter kein Brot. Manchmal aßen sie Pilze, wenn die Jahreszeit danach war, oder Anton hat ein Kaninchen gefangen oder sogar einen Igel. Sonst gab es eben nichts.

      Viel schlimmer ist im Waisenhaus das Stehen auf dem Schandfleck im Esssaal oder im Gottesdienst in der Nähe des Altars für alle sichtbar. Das Einsperren im dunklen Raum. In schwierigen Fällen rufen die Schwestern den Pfarrer dazu, der Schläge verabreicht.

      Vorgestern musste ein Mädchen mit seinem nassen Betttuch auf dem Hof stehen, bis das Leinen getrocknet war. »Du hast nicht genug gebetet!«, hat Schwester Fidelis gesagt. »Sonst wäre das nicht wieder passiert.«

      Gebetet wird viel: Am Morgen im Gottesdienst, zu jeder Mahlzeit, am Abend eine halbe Stunde. Vor dem Zubettgehen. Früher hat Buchela Obengt, den Teufel, nur im Brunnen gesehen, jetzt lauert er in allen Ecken. Er versucht sich der Kinderseelen zu bemächtigen, die nicht gottesfürchtig genug sind, sagt Schwester Fidelis.

      Bei ihren Leuten gibt es auch Strafen. Mama und Tatta sprachen manchmal von der allerschlimmsten Strafe, die es gibt, die die Alten beschließen können: Nicht mehr dazuzugehören zu ihren Leuten. Ausgestoßen zu sein. Dann ist man ein Nichts. Ein Garnichts. Die Gadsche können zwar die Familien trennen, aber im Herzen bleiben sie zusammen, haben die Eltern ihr eingeschärft. Es sei denn, die Alten durchtrennen das Band.

      Als ihr das einfällt, wird Buchela ruhiger.

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