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Gepäck wurde mit der Bahn weitertransportiert und sie selbst sollten mit einem bereitgestellten Schiff fahren, das sie ebenfalls ins Zwischenlager nach Prachowo brachte.

      ZWISCHENLAGER PRACHOWO

      Von Kilia aus sollte die Fahrt die Donau aufwärts in den bulgarisch-jugoslawischen Grenzhafen Prachowo gehen. Dort war von der Umsiedlungskommission eine Zeltstadt aufgebaut worden. Es war das kleinere Lager und befand sich noch vor dem ›Eisernen Tor‹, dieser gefährlichen engen Schiffspassage.

      Überall flatterten Deutschlandfahnen, am Aufgang hing ein Plakat mit der Aufschrift: ›Großdeutschland grüßt Euch!‹

      Nun ging die Reise mit einem weißen Donauschiff weiter in Richtung Deutschland. Auf diesem großen Dampfer zu fahren, war ein völlig neues Erlebnis für viele.

      Da es schon spät am Abend war, bis alle eingestiegen waren, suchten sich die meisten gleich einen Schlafplatz. Ein sehr anstrengender Tag lag hinter ihnen und die Müdigkeit überwältigte die Umsiedler. Jede Ecke auf dem Schiff war als Liegestätte oder Nachtlager vorbereitet und mit Matratzen und Strohsäcken ausgelegt. Auch hier wurden die schwangeren Frauen bevorzugt behandelt und erhielten einen guten Platz. Viele dachten sicher an ihre warmen und weichen Betten. Die kleinen Kinder quengelten und konnten nicht verstehen, warum sie nicht nach Hause in ihre vertrauten Zimmer durften, während die älteren Kinder voller Entdeckungslust das Schiff erkundeten.

      Am nächsten Tag gab es auf dieser Strecke viel Neues zu sehen. Hin und wieder legten die Schiffe an und es dauerte lange, bis sie wieder weiterfuhren. Die Familien saßen zusammen. Einige Frauen hatten extra für die lange Reise eine süße Moccacreme zubereitet und in Dosen gefüllt, die sie nun mit heißem Wasser verdünnt tranken.

      Ein herrlicher Kaffeeduft breitete sich aus. Fast so wie zu Hause, ist Alma O. in Erinnerung geblieben.

      Interessiert betrachteten alle die vorbeiziehende Landschaft. So einen breiten Fluss mit den vielen großen Fischen hatten die wenigsten bislang gesehen. Die meisten hingen ihren Gedanken nach und dachten an ihr entferntes Zuhause.

      Viele Donauschwaben waren einst auf den legendären ›Ulmer Schachteln‹ die Donau abwärts in diese damals noch unbekannte Welt ausgewandert. Hatten gelitten und gestritten, viele Tränen vergossen und sich aufgeopfert für eine bessere Zukunft. Es bestanden enge verwandtschaftliche Verknüpfungen zwischen der Zarenfamilie in Russland und dem Haus Württemberg in Stuttgart. In Deutschland herrschte damals eine große Hungersnot. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen ihres Fleißes und der großen Zuverlässigkeit suchte der Zar dann in Deutschland, vor allem in Süddeutschland, Kolonisten. Sein Onkel, König Friedrich aus Württemberg (1754–1816), hatte notgedrungen die Erlaubnis zur Anwerbung gegeben. Es wurden viele Werber ausgeschickt, um tüchtige Bauern und Handwerker anzuwerben. Sie sollten im dünn besiedelten Bessarabien heimisch werden.

      Und nun, nach fünf Generationen, ging es wieder zurück nach Deutschland! Sie mussten Hab und Gut einfach zurücklassen und wegziehen. Es war nicht zu fassen! Je weiter sie sich entfernten, umso mehr schmerzte sie der Verlust.

      Die Verwandten saßen zusammen, viel sprachen sie nicht.

      Anna ging es nicht gut. Sie war von der holprigen Fahrt nach Kilia gestresst und litt auf dem schwankenden Schiff. Ihre Mutter und die Geschwister trösteten und umsorgten sie. »Vertraue auf Gott, er wird es richten!«

      Annas Mutter, Lydia Hermann, geb. Bantel, hatte in Gnadental oft Fremde bewirtet, wenn sie durch den Ort fuhren und einkehren wollten. Gaststätten gab es ja in den Dörfern nicht. Im weiteren Umkreis war dann schnell bekannt geworden, dass es bei Hermanns immer etwas zu essen und zu trinken gab. Wer würde jetzt die Fremden und Durchreisenden bewirten? An den guten Wein im Keller dachte sie, an die vielen Vorräte, die sie nicht mitnehmen konnte. Und die 22 Kühe im Stall – wer würde sie melken?

      So hingen alle ihren Gedanken nach und wären nach dieser anstrengenden Nacht allzu gerne wieder zurück in ihre Häuser gefahren.

      Als dann eine halbe Stunde vor Ankunft des Schiffes im stillen Lager die Alarmglocke ertönte, wurde es überall schnell lebendig. Die Männer vom Arbeitsdienst, die Sanitäter mit Krankenwagen, die Pfleger und Helferinnen vom Roten Kreuz waren da. Schwabenmädchen aus dem Banat zogen singend mit der Lagerkapelle zum Landeplatz. Dichtgedrängt standen die Frauen, Kinder, Halbwüchsige und Alte an Bord der großen weißen Schiffe, die rauschend näher kamen. Im Licht der Scheinwerfer schauten sie ihnen entgegen; es war ein ergreifender Augenblick.

      Die Klänge der Lagerkapelle mischten sich in das Rauschen und Krachen der anlegenden Dampfer. Und dann nach einer unheimlichen, gespannten Stille, begrüßte der Lagerleiter vom Steg aus die Ankommenden.

      Vorsichtig, ja, fast zaghaft kamen die ersten über den Landungssteg ans Ufer. Alle hatten eine sichtbar um den Hals gehängte Erkennungsmarke – ihr Pass für Deutschland. Die Mütter hatten ihr Jüngstes in buntgestreifte Tragetücher an den Leib gewickelt. In ihren Händen trugen sie übervolle, große Basttaschen. Die vielen Kinder drängten sich eng an sie, jedes von ihnen, selbst die Kleinen, schleppten ein Bündel. Am großen Anlegeplatz standen dann die einzelnen Familien dicht beisammen. Kinder wurden beaufsichtigt und Körbe wurden gezählt.

      Das Lager Prahowo, wo zuerst meine Mutter und später dann auch mein Vater Zwischenstation machten, hatte eine Flächenausdehnung von 5 Hektar. 34 Zelte, dazu die notwendigen Verwaltungs- und Lagerbaracken, Funkturm, Küchenhallen und Waschräume standen dort bereit. Eine Bahnrampe wurde zur Abwicklung für den Transport der Umsiedler und ihres Gepäcks errichtet.

      Viele alte Männer hatten hohe Pelzmützen und einen bis zum Boden reichenden zottigen Schafspelz an. Die Füße steckten in hohen Stiefeln. Sanitäter und Rotkreuzschwestern bemühten sich um die Alten und Gebrechlichen. Mit aufmunternden Worten wurden sie in die bereitstehenden Krankenwagen gehoben und ins Lager gefahren. Hinter den abfahrenden Sanitätsfahrzeugen stellten sich die Ankommenden in Reihen auf, und langsam bewegte sich dieser Zug dem Lager zu.

      Viele deutsche Fahnen wehten auf hohen Masten, so fühlten sie sich geschützt und fast schon in Deutschland. Die Alten fragten immer wieder: »Sen mer scho in Deitschland?«

      Im großen Lagerzelt ging alles schnell und reibungslos weiter. Der Zeltaufseher und seine Helferinnen wiesen ihnen die auf dem Boden liegenden Strohsäcke zu, immer familienweise eng einer neben dem anderen. Auf dem langen Tisch in der Mitte des Zeltes standen Tee, Milch und Brot zur Stärkung bereit.

      Als Erstes wurden die müden Kinder für die Nacht versorgt. Dicht aneinander geschmiegt auf den Strohsäcken und unter warmen Decken schliefen sie schnell ein.

      Unter diesen Ankommenden war auch meine Mutter. Sie war bestimmt erschöpft von der langen Reise. Ihr Kind wollte sie sicher nicht in diesem Lager gebären. Sie hoffte, dass es in Deutschland auf die Welt käme. Erzählt hat sie mir sehr wenig von diesem Lager. Ich habe nur an ihrer Reaktion gemerkt, dass es ihr dort nicht gut ging. Eine dumpfe Vorahnung all der kommenden belas­tenden Ereignisse hatte sie von Anfang an bedrückt.

      Sie besaß die Fähigkeit, viele Dinge vorauszuahnen; auf ihren siebten Sinn konnte sie sich immer verlassen.

      Nun machte sie sich große Sorgen. ›Hoffentlich lassen die Russen die Männer ausreisen!‹, bat sie in Gedanken und fragte sich: ›Kommt die Familie wieder zusammen?‹, und auch: ›Nehmen die Russen dem Robert die Nähmaschine weg?‹ Es war schließlich ihre geliebte Singer-Nähmaschine, extra aus Deutschland importiert. Zu Hause in Gnadental hatte sie geholfen, sie gut zu verpacken, sodass der weite Transport ihr nicht schaden würde.

      Und sie, so denke ich mir, dachte sicher auch oft an die mit großem Geschick gefertigte Aussteuer, an all die gestickten Decken, die Babyausstattung, von der sie nur einen kleinen Teil mitnehmen konnte. Vom Schreiner nach eigenen Wünschen gefertigte Möbel in der guten Stube, im Schlafzimmer und in der Küche, der neu fertig gestellte Pferdestall im Hof.

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