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der Existenz von Alt Clud war die britische Bevölkerung des »Alten Nordens« wiederholt äußeren kulturellen Einflüssen unterworfen. In der römischen Zeit war Latein die Herausforderung, zusammen mit der klassischen und später der christlichen Kultur, die sich mit der lateinischen Sprache eröffnete. In den »Dunklen Jahrhunderten« kam es zu einem doppelten Ansturm des Gälischen, das sich von Norden und Westen her verbreitete, und der verschiedenen Formen des Englischen aus dem Süden. Die heidnische nordische Kultur übte während der Wikingerzeit einen gewissen Einfluss aus, genau wie das normannische Französisch in der Zeit nach der Eroberung. Letztendlich versank die brythonisch-cumbrische Sprache nach einem langen Überlebenskampf in den Fluten, und die »Strathclyders« wurden zu einer besonderen Unterart der Schotten.

      Im mittelalterlichen Schottland standen die gälischen Skoten, die das Vereinigte Königreich im 9. Jahrhundert gegründet und ihm ihren Namen gegeben hatten, immer stärker unter einem solchen Anpassungsdruck. Ihre Vorherrschaft dauerte nur etwa 200 Jahre,82 dann wurden sie durch neue nichtgälische Eliten aus den südlichen Lowlands ersetzt. Sie selbst wurden immer weiter in ihre Rückzugsräume in den Highlands und auf den Inseln zurückgedrängt. Nachdem sie die Pikten und Briten aufgesogen und ihre Stunde des Ruhms genossen hatten, sahen sie sich jetzt mit demselben Schicksal einer langsamen Auflösung konfrontiert wie einst ihre Rivalen in Piktland und im Alten Norden. Eine Zeit lang, nachdem Schottland seine Unabhängigkeit gegenüber England im 14. Jahrhundert bekräftigt hatte, bestand noch ein gewisses inneres Gleichgewicht, doch im Nachhinein betrachtet hatte der lange Rückzug schon begonnen.

      In der Frühen Neuzeit allerdings kam die Gaeltacht wieder in Bewegung. Große Teile von Nordostschottland wurden anglisiert. Die Lowlanders wurden Protestanten, während viele Highlanders, deren Clans noch immer wie in uralten Zeiten von alljährlichen Plünderzügen und Viehdiebstahl lebten, Katholiken blieben. Vor allem aber bestieg im Jahr 1603 ein Stuart den Thron von England. Das gab den schottischen Lowlanders und Protestanten eine Machtverbindung nach außen, mit der die Gälen nie konkurrieren konnten. Kurz darauf wurde eine Kolonie militanter schottischer Protestanten in Ulster angesiedelt und die Gälen so von ihren irischen Verwandten abgeschnitten. Später im selben Jahrhundert zeigte Oliver Cromwell mit Feuer und Schwert, dass die drei Königreiche auf den Britischen Inseln nicht mehr als gleichberechtigt gelten konnten. Im Jahr 1707 kam es zur Union, und kurz darauf wurde das protestantische Königshaus Hannover eingesetzt, das einem fernen Parlament in Westminster verpflichtet war. Seitdem war es aus gälischer Perspektive nur noch eine Frage der Zeit, wann es zu einem letzten Aufbäumen kommen würde.83 Das tief verwurzelte Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, und eine wachsende Schwermut befielen die Gälen, wenn sie das Scheitern ihrer Aufstände 1715 und 1745 und die Unterdrückung ihrer Lebensweise betrachteten. Ähnlich müssen sich die Briten des Alten Nordens fast tausend Jahre zuvor gefühlt haben. Ihre Krieger waren nicht weniger tapfer, ihre Sprache nicht weniger poetisch, ihre Geschichte nicht weniger alt. Und doch mussten sie sich den stärkeren Bataillonen und der politischen Notwendigkeit beugen. Im Vorfeld der entscheidenden Schlacht von Culloden im Jahr 1746 rezitierten die gälischen Clansmen ihre Genealogien unter Kanonenbeschuss, um darin eine Motivation für den Kampf im regendurchnässten Moor zu finden. Die Briten bei Catraeth oder Nechtansmere könnten durchaus das Gleiche getan haben. Denn die dem Untergang geweihten Kelten waren von einem entsprechenden Fatalismus erfüllt. Die Dinge geschahen, weil sie geschehen mussten. Die Natur war grausam. Tiere töteten Tiere. Männer kämpften gegen Männer. Arten starben aus, aber das Leben ging weiter. Der Tod gehörte zum Leben dazu.

      Der Unterschied zwischen dem Schicksal der schottischen Gaeltacht und des Alten Nordens liegt darin, dass die Gälen ein paarmal von einer Gnadenfrist profitieren konnten.

      Nach 1746 wurde den Highlanders verboten, Waffen zu tragen, ihre Tartans anzulegen oder ihre Muttersprache zu sprechen. Zehntausende wurden während der Clearances, der »Räumung des Hochlands«, nach Kanada verschifft, und in vielen Tälern gab es nichts als Schafe und Ödnis.84 allgemeinen Sprachgebrauch wurde der Begriff »Schottland« praktisch durch »Nordbritannien« ersetzt. Nach den Napoleonischen Kriegen allerdings unternahm man bewusste Anstrengungen, das gälische Erbe wieder in das schottische Leben zu integrieren. Als Georg IV. im Jahr 1822 Edinburgh besuchte, inszenierte Walter Scott, dessen Romane eine zeitlose romantische Version der schottischen Geschichte bieten, eine großartige Show, bei der wieder Kilts und Tartans getragen werden durften. In einer symbolischen Versöhnungsgeste verlegte Königin Victoria ihren Sommersitz nach Balmoral und verstärkte damit noch das romantische Image der Highlands. Seit dieser Zeit nährt sich Schottlands Identität aus der faszinierenden Symbiose zwischen dem Lowland-Erbe eines Robbie Burns und dem Highland-Erbe eines Rob Roy MacGregor. Und im 20. Jahrhundert, als das Gälische wieder in den letzten Zügen lag, wurde es mit knapper Not durch Bildungshilfen, gälische Fernseh- und Radioprogramme und den Status als offizielle Amtssprache wiederbelebt.85

      Die Entwicklung von Strathclyde in der Moderne ist stark durch die Kluft zwischen den Highlands und den Lowlands geprägt. Der Firth of Clyde bildete jahrhundertelang einen wichtigen Grenzabschnitt, wie zuvor der Antoninuswall. Doch während der Industriellen Revolution kamen die Gälen mit Macht zurück. Zusammen mit den Iren von der anderen Seite des Meeres strömten sie an die viktorianische Clydeside, um in den Minen zu arbeiten und Schiffe zu bauen. Sie kamen nicht als Helden mit Eroberungsdrang, sondern als bitterarme Migranten und hungrige Arbeitslose, die in einem fremden Land um eine Anstellung bettelten. Auch sie mussten sich anpassen, aber sie gaben Glasgow eine große Dosis seines einzigartigen modernen Flairs. Sie sorgten dafür, dass Celtic Glasgow auf Augenhöhe mit den Glasgow Rangers spielt und dass die Heimat Harry Lauders und des hl. Mungo sich so sehr von Edinburgh unterscheidet wie einst wohl auch Dun Breteann von Dunedin in Bernicia.86

      Dennoch sind die langfristigen Aussichten für die gälische Lebenswelt unsicher. In Irland wie in Schottland steht sie noch immer nur einen Schritt vor der Auslöschung. Es kommt einem das bemerkenswerte Werk des Geistlichen James Macpherson (1736–1796) aus den Highlands in den Sinn, dessen Leidenschaft für die Gälen zu einem der großen Triumphe literarischer Fälschung führte. Seine Gedichtsammlung, zuerst als Ossian veröffentlicht, war angeblich eine Übersetzung von Werken eines alten gälischen Barden, die man zufällig in einem staubigen Verlies gefunden hatte. Diese Produkte der überaus fruchtbaren Fantasie des Dichters täuschten die meisten berühmten Literaten seiner Zeit. Sie überzeugten Goethe, konnten Scott für sich gewinnen und verzauberten Napoleon. Und sie zeigten, dass sich Macpherson durchaus des Vorgängerreiches Alt Clud bewusst war:

      I have seen the walls of Balclutha

      But they were desolate …

      And the voice of the people is heard no more.

      The thistle shook there its lonely head;

      The moss whistled to the wind.

      Ich habe die Mauern Balcluthas gesehn,

      aber sie waren verwüstet …

      dort hört man nicht mehr die Stimme des Volkes …

      dort schüttelt’ die Distel ihr einsames Haupt,

      das Moos pfiff in dem Wind.87

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