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      39

      Wolfgang Nolte war nach der Frühschicht bei seinem Arbeitgeber, einem Security-Geldtransport-Unternehmen, wenig begeistert, wieder mit der Kriminalpolizei konfrontiert zu werden. Wie oft sollte er denn noch schildern, was sich an jenem Märzvormittag vor einem Jahr ereignet hatte? Dass er in Begleitung seines damaligen Kollegen beim ersten Botengang zur Landeszentralbank nicht das Geringste von dem Überfall mitbekommen habe und erst nach der Rückkehr vom zweiten Transport mit einem Gangster konfrontiert worden sei? Natürlich waren die Ermittler hellhörig geworden, als er ihnen gesagt hatte, er sei ausgebildeter Polizist, aber nicht in die Beamtenlaufbahn übernommen worden. Immerhin hatte sich einer der Gangster als Polizist verkleidet gehabt. Da lag es natürlich nahe, alle, die mit Polizeiuniformen zu tun hatten, genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber wieso kam jetzt wieder ein Kriminalist, dazu noch in seine Wohnung in Schwäbisch Gmünd? Natürlich war auch seine Adresse verdächtig, schließlich hatte man das Fluchtauto gar nicht weit weg in diesem Innenstadtparkhaus gefunden. Waren die Kriminalisten so einfältig zu glauben, er hätte als Täter dieses Fahrzeug gerade mal vier Querstraßen von seiner Wohnung entfernt stehen lassen? Hartmut Zeller war persönlich gekommen und im vierten Obergeschoss eines innerstädtischen Wohnblocks in ein spärlich eingerichtetes Wohnzimmer geführt worden. »Ich hab Ihnen am Telefon gesagt, dass wir alle Akten noch einmal gründlich durchgehen«, versuchte der Soko-Leiter die Atmosphäre zu entkrampfen.

      Nolte, der hemdsärmelig und in verwaschenen Jeans vor ihm saß, nickte mit versteinertem Gesicht. »Und was ist jetzt neu?«, fragte er mit einer Mischung aus Arroganz und Unsicherheit.

      »Leider nichts. Wir versuchen immer noch, über das persönliche Umfeld aller Beteiligten, also auch von Herrn Seifritz, an etwas Verdächtiges heranzukommen.«

      Nolte wollte etwas sagen, aber Zeller ließ ihn nicht zu Wort kommen, weil er einen Einwand befürchtete und ihm deshalb vorsorglich den Wind aus den Segeln nahm: »Das hat nichts mit der jeweiligen Person zu tun. Also auch nicht direkt mit Ihnen.« Er sah sein Gegenüber nachdrücklich an. »Sie haben selbst die Ausbildung zum Polizeibeamten durchlaufen, bei der Bereitschaftspolizei in Göppingen. Dann hat man Sie aber mit 27 nicht verbeamtet. Das muss ein Schock für Sie gewesen sein«, stellte er fest.

      »Das kann man so sagen, klar. Man durchläuft die Ausbildung, malocht da rum und kriegt dann gesagt, dass man wegen einer Arthrose im Knie abhauen kann.« Es klang verbittert.

      »Hatten Sie für diesen Fall keine Versicherung abgeschlossen?«

      »Wissen Sie denn, was die kostet? Und wissen Sie, was man in der Ausbildung und anschließend als Wachtmeister verdient? Ich hab doch nicht damit gerechnet, dass ich plötzlich nicht für den Polizeidienst tauge.«

      Zeller nickte verständnisvoll. Er kannte einige ähnlich tragische Fälle: wenn junge Leute zwar den ärztlichen Aufnahmecheck für die Ausbildung bestanden hatten, dann aber mit 27, wenn die medizinische Untersuchung zur Übernahme in die Beamtenlaufbahn auf Lebenszeit erfolgte, ein gesundheitliches Defizit aufwiesen, das der Heilfürsorge – eine Art staatliche Krankenversicherung für die Beamten – langfristig allzu risikoreich erschien. Sogar eine Allergie konnte dafür ausreichen.

      »Sie haben aber gleich einen Job gefunden?«, bohrte Zeller weiter.

      »Einen Job, ja, aber was ist das im Vergleich zum Beamtenstatus?«, erwiderte Nolte frustriert. »Einen Ex-und-Hop-Job hab ich gefunden. Nichts Sicheres. Befristeter Vertrag, keine Aufstiegsmöglichkeit. Soll das eine Entschädigung dafür sein, dass ich mich jahrelang vergeblich in die Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei reingekniet habe?«

      Zeller konnte die Enttäuschung und Bitternis des Mannes verstehen und hakte nach: »Haben Sie eine Familie zu versorgen?«

      »Gott sei Dank nicht.«

      »Freundin?«

      »Ja, hab ich«, sagte Nolte, um sogleich misstrauisch zu werden: »Was hat das mit all dem zu tun?«

      »Nur so am Rande. Es hätte doch sein können, dass Sie mit einer etwaigen Freundin über Ihren Job und die Abläufe beim Geldtransport gesprochen haben.«

      »Sie dürfen mir glauben, dass ich darüber mit niemandem rede.«

      »Das glaube ich Ihnen«, beruhigte Zeller, blieb aber beharrlich: »Und wer ist Ihre derzeitige Freundin?«

      »Tut das etwas zur Sache?«

      »Nein, überhaupt nicht. Darf ich trotzdem fragen, wer die Glückliche ist?«

      »Natürlich dürfen Sie das. Das ist doch kein Geheimnis.«

      »Und wer ist es?«, fragte Zeller.

      »Ich geh mal davon aus, dass Sie’s schon wissen«, witterte Nolte den Grund der Frage. »Es ist Frau Offenbach. Heidi Offenbach. Sie hat bis vor Kurzem bei der Sparkasse gearbeitet. Das ist es doch, was Sie hören wollen, oder?«

      Zeller zuckte mit den Schultern. »Hören will ich nicht das, was ich gern hören möchte, sondern nur die Wahrheit. Sie werden verstehen, dass ich mich auch noch mit Frau Offenbach unterhalten möchte.«

      »Wie? Was soll denn das jetzt?«, entgegnete Nolte empört. »Was hat Heidi damit zu tun? Wir wollen demnächst heiraten. Wir erwarten Nachwuchs.«

      Zeller nickte nachdenklich. »Noch eine Verständnisfrage, Herr Nolte. Die drängt sich in Ihrem Falle leider auf. Sie waren Polizeibeamter und hatten eine Uniform …«

      »Das hab ich Ihrem Kollegen doch bereits vor einem Jahr gesagt. Was ist jetzt daran unklar?«

      »Sie haben gesagt, dass Sie Ihre Uniform verschenkt haben. Ans Naturtheater Heidenheim für den Kleiderfundus«, gab sich Zeller informiert und ergänzte: »Wenn ich Ihnen aber nun sage, dass wir uns dort erkundigt haben und niemand etwas davon weiß, dass ein Herr Nolte seine Polizeiuniform gespendet hat?«

      Noltes Gesichtszüge versteinerten sich. »Sie wollen andeuten, dass ich lüge? Die waren dort begeistert, so eine Uniform zu kriegen. Da gibt’s keine Quittung oder so was. Da bringt man was hin und fertig. Außerdem ist das schon über zwei Jahre her.« Er hatte Mühe, seine Aufregung zu verbergen.

      »Kein Grund zur Panik, Herr Nolte«, versuchte ihn Zeller zu beruhigen. »Alles wird gut.« Er sah seinem Gegenüber fest in die Augen.

      40

      Blaubart hatte auch Tage nach dem abendlichen Albtraum in seinem Büro das Geschehen nicht verarbeitet. Natürlich war da jemand gewesen, aber glücklicherweise hatte niemand versucht, die Tür von der Garage in sein Büro zu öffnen. Nach bangen Minuten des ängstlichen Wartens war nichts mehr zu hören und auch nichts zu sehen gewesen. Und als schließlich ein Auto mit quietschenden Reifen davongefahren war, hatte er sich wieder getraut, das Licht anzuknipsen.

      Die Innentür hinaus in den Garagen- und Werkstatttrakt war tatsächlich geschlossen gewesen. Zum wiederholten Male lief das bedrohliche Szenario vor seinem geistigen Auge ab. Wie schon so oft in den vergangenen Tagen. Denn er hatte niemanden, mit dem er darüber reden konnte.

      Ihn überkam noch einmal das Gefühl, wie es ihn übermannt hatte, als er wie gelähmt die Waffe in der Hand hielt. Wie er damit zu der Tür gegangen war. Dann die große Erleichterung, als sie tatsächlich verriegelt gewesen war.

      Er schloss die Augen und lehnte sich in seinen Bürostuhl zurück, durchlebte wieder die Szene, als er die Waffe vor sich in den angrenzenden Raum gehalten und die taghellen Leuchtstoffröhren hatte aufflammen lassen: vor ihm die kostbaren US-Oldtimer-Fahrzeuge, chromblitzend im grellen Licht. Alles schien unberührt zu sein, das Rolltor geschlossen, eine Außentür auch. Hatte er sich getäuscht? Diese Frage plagte ihn nun seit Tagen. War alles nur Einbildung gewesen, weil ihm Kirstin von dem energischen Auftreten des Amerikaners berichtet hatte?

      Die Erinnerungen an den Abend liefen weiter wie in einem Film, den er nicht stoppen konnte: Er war zurück ins Büro gegangen, hatte sämtliche Halogenstrahler draußen im Hof eingeschaltet, die er nun endlich über einen Bewegungsmelder steuern lassen wollte, und hatte die

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