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eilte ins Wohnhaus und bestand darauf, dass Helmut Koster vor der Abfahrt einen starken Kaffee zu sich nahm und auch eine Kleinigkeit aß. Erst dann drückte sie ihm die Autoschlüssel in die Hand. »Fahren Sie nicht zu schnell. Es ist besser, wenn Sie eine Viertelstunde später, dafür aber heil und gesund ankommen. Versprechen Sie uns, dass Sie vorsichtig sein werden.«

      Helmut Koster salutierte wie ein Soldat oder auch wie ein Zirkusartist nach einem gelungenen Trick. »Ehrenwort, Frau von Lehn. Sie können sich auf mich verlassen. Darf ich auch gleich sagen, dass ich die drei Bären, die Schimpansin Luja mit in den Zirkus bringen würde, falls sie mich dort haben wollen?«

      »Natürlich, Helmut. Das ist beschlossene Sache. Versprochen ist versprochen. Es liegt jetzt bei Ihnen und dem Zirkusdirektor, was aus der Sache wird.«

      Helmut wurde ernst. »Es liegt auch an Frau Ramoni. Sie ist sehr böse auf mich wegen der Sache mit Wanja.«

      »Aber nun ist alles gut, Helmut. Wanja wurde gefunden und wird in Kürze wieder gesund und munter sein.«

      »Das schon, aber ob das an Frau Ramonis Einstellung mir gegenüber etwas ändert, weiß ich nicht.«

      »Fragen Sie sie doch«, riet Dr. von Lehn ihm und zwinkerte ihm zu. Aber Helmut fand die Sache gar nicht lustig und war durchaus nicht überzeugt, dass Natascha ihm verzeihen könne. Gar zu leidenschaftlich war ihr Zorn gewesen.

      *

      Natascha konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Ihr Vater war dagegen von der Müdigkeit überwältigt worden und schlief fest hinter dem Vorhang, der den Wohnwagen nachts teilte. Ab und zu stöhnte und seufzte er allerdings im Schlaf, denn er konnte wohl auch in seinen Träumen die Angst um den geliebten Jungen nicht vergessen.

      So war es auch diesmal Natascha, die das Auto auf den Zirkusplatz fahren hörte. Sie dachte an Diebe und schlüpfte aus dem Bett, um vorsichtig aus dem Fenster zu spähen. Da sah sie Helmut Koster auf ihren Wagen zueilen. Schnell warf sie einen Mantel um und öffnete ihm die Tür.

      »Bringst du eine Nachricht?«, fragte sie rasch und so laut, dass auch Gregor Ramoni davon erwachte.

      »Wanja wurde gefunden. Er liegt zwar im Krankenhaus, aber wir brauchen uns nicht mehr zu ängstigen. Er hat sich schwer erkältet. Sonst nichts, Natascha.«

      »Vater, hörst du es?«, schrie Natascha. »Wanja lebt. Ach, ich war so verzweifelt und hatte schon alle Hoffnung aufgegeben.«

      Gregor Ramoni sah reichlich wunderlich aus in seinem zerknitterten Pyjama und mit verwuscheltem Haar. Doch seine lebhaften dunklen Augen glitzerten vor Freude.

      »Ich schäme mich richtig, dass ich schlafen konnte«, stieß er hervor. »Der arme Bub. Was mag er alles durchgemacht haben?«

      »Näheres weiß ich nicht. Das werden wir am Tag erfahren. Frau von Lehn schickte mich, weil wir hier während der Nacht nicht anrufen konnten.«

      Natascha stand ein paar Augenblicke ganz still in der noch immer geöffneten Tür des Wohnwagens. Dann tat sie etwas, was Helmut Koster am allerwenigsten erwartet hatte. Sie legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn.

      »Für die gute Nachricht, Helmut. Ich bin so wahnsinnig glücklich und dankbar, dass ich nicht weiß, was ich tun soll.«

      »Natascha!«

      Helmut war ein junger Mann. Er hielt das Mädchen, das er innig liebte, im Arm und spürte durch die dünne Kleidung hindurch die lebendige Wärme von Nataschas schlankem Körper.

      »Natascha, kannst du mir denn verzeihen?«, fragte er und küsste sie.

      »Es war ungerecht und dumm, dass ich dir die Schuld geben wollte. Entschuldige bitte, lieber, lieber Helmut.«

      »Werde ich als Vater in einer so wichtigen Sache einfach übergangen?«, fragte Gregor Ramoni, trotz seines unvollständigen Aufzuges jeder Zoll würdiger Vater.

      Helmut küsste seine Natascha schnell noch einmal, ehe er sie wieder freigab. »Ich liebe sie, Herr Direktor Ramoni. Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich sie heiraten.«

      »Du weißt doch, dass ich will«, warf Natascha ein und schmiegte sich fest an Helmuts Brust.

      »Sie ist erwachsen und soll selbst über ihre Zukunft bestimmen. Willkommen im Zirkus Ramoni, mein lieber Helmut«, versetzte der alte Herr gerührt. »Sei mir ein guter Sohn! Vielleicht schaffen wir es mit vereinten Kräften, unseren Zirkus wieder zu dem zu machen, was er einmal war.«

      Natascha umarmte ihren Vater. »Du hast ihn nicht gefragt, ob er überhaupt zum Zirkus will.«

      »Das steht wohl außer Frage«, meinte Ramoni schmunzelnd. »So viel Menschenkenntnis besitze ich.«

      Helmut straffte sich. Mutig brachte er sein Angebot vor und berichtete auch, dass er noch vor anderthalb Stunden mehrere vergebliche Versuche unternommen hatte, seine Bewerbung zu Papier zu bringen.

      »Nur, weil du wieder beim Zirkus sein wolltest?«, fragte Natascha und lächelte ihn strahlend an wie bei seinem ersten Besuch.

      »Nein, Natascha, auch deinetwegen. Werdet ihr mein Geld annehmen, Vater?«, wandte er sich an Ramoni.

      »Mit Freude und Dankbarkeit, mein Sohn. Ich habe das Gefühl, dass es bald wieder aufwärts gehen wird. Vielleicht können wir auch mit den drei Bären etwas Hübsches einstudieren. Ich habe da neulich in einem anderen Zirkus eine Nummer gesehen, die schaffst du mit der Bärin und ihren beiden Jungen sicherlich auch, Helmut.«

      »Vor allem müssen wir Irina und Fedor zurückholen, Vater«, warf Natascha ein. Es klang so, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt. »Wenn die drei Ramonis erst wieder zusammen am Trapez arbeiten, werden sich die großen Städte bald wie früher darum reißen, unseren Zirkus für ein paar Tage einzuladen.«

      »Du willst wieder mit Irina und Fedor auftreten?«, fragte Vater Ramoni überwältigt. »Willst du das wirklich tun?«

      »Helmut hat mir neulich so eindringlich ins Gewissen geredet, dass mir klar geworden ist, wie dumm und falsch es von mir war, immer noch die beleidigte Leberwurst zu spielen«, gestand Natascha freimütig und lachte über ihren eigenen Scherz. »Ich werde selber an Irina schreiben, damit sie sieht, wie leid es mir tut, dass ich ihr eine so unfreundliche Antwort zuschickte, als sie mir anbot, zu uns zurückzukommen. Es wird für uns alle das Beste sein, wenn wir uns endlich wieder vertragen.« Sie griff nach der Hand Helmut Kosters. »Wenn man glücklich ist, fällt es nicht schwer, die Vergangenheit zu vergessen. Sicherlich wäre Fedor Collins nicht der richtige Mann für mich gewesen. Das Schicksal macht es schon richtig mit uns.«

      Dass in dieser Nacht kaum noch geschlafen wurde im Wohnwagen des Direktors und in allen anderen Wagen, deren Insassen von Natascha geweckt worden waren, lässt sich denken. Weinflaschen tauchten auf, ja, sogar Champagner wurde hervorgezaubert, und das fröhliche fahrende Völkchen trank trotz der ungewöhnlichen Stunde auf Wanjas Rettung und auf das Glück der schönen Ramoni-Tochter, die strahlend neben Helmut Koster saß und sich ab und zu in aller Öffentlichkeit von ihm in die Arme nehmen und küssen ließ.

      *

      Es war nur wenige Wochen später, am Ende der Sommerferien, als der Zirkus seine erste wirklich große Galavorstellung mit den drei Ramonis in Stuttgart gab. Alle Kinder von Sophienlust hatten Freikarten erhalten, ebenso die Familie von Schoenecker sowie Dr. von Lehn mit seiner jungen Frau.

      Zum ersten Mal traten die drei berühmten Ramonis wieder gemeinsam auf. Außerdem gab es auch wieder eine große Raubtiernummer und gute Clowns. Plötzlich hatten sich viele hervorragende Artisten erinnert, wie gut sie es früher bei Gregor Ramoni gehabt hatten. Von den Ersparnissen Helmut Kosters war ein neues großes Zelt erworben worden, in dem Hunderte von Menschen Platz fanden. Vom obersten Mast wehte eine grüne Fahne mit einem goldenen R. Das war das wohlbekannte, unvergessene Kennzeichen des Zirkus Ramoni.

      Wanja war längst wieder gesund und hatte Sophienlust für immer Lebewohl gesagt. Vom Herbst an sollte eine Lehrerin zum Zirkus kommen, die ihn und die Kinder der übrigen Artisten ordnungsgemäß

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