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17-jährigen Marie Thérèse.

      Aus seinem Plan, in deren Dienste zu treten, wird freilich nichts: Österreich und Frankreich stehen miteinander im Krieg; der Wiener Hof unternimmt alles, die beiden voneinander fernzuhalten. Nur für sein Auskommen ist gnädig gesorgt: noch am 31. Jänner 1796 erteilt Kaiser Franz II. Obersthofmeister Fürst Starhemberg die Weisung, dem Ankömmling eine Starthilfe von 100 Dukaten sowie eine Pension von jährlich 800 Gulden zu gewähren.

      Auch die Wiener Gesellschaft nimmt den Franzosen freundlich auf; als sich seine Frau nach seinen Lebensumständen erkundigt, schreibt er ihr nach Frankreich, er diniere in den feinsten Wiener Häusern, ein Viertel des Tages bringe er »mit Promenaden, Visiten und Ruhen« zu. Seine Rolle in den letzten Tagen der französischen Monarchie macht Jean Baptiste Cléry zu einer interessanten Persönlichkeit in den tonangebenden Wiener Salons. Die berühmte Malerin Elisabeth-Louise Vigée-Lebrun, die posthume Porträts des Königspaares vor Besteigen des Schafotts anfertigen will, lässt sich – von Petersburg aus – von Cléry in die Details einweihen, gibt jedoch, von seiner Darstellung geschreckt, ihren Plan wieder auf. Geschreckt ist auch Clérys jüngerer Bruder, der eine Stelle als königlicher Kammerdiener in Berlin innehat: Seit zwölf Jahren haben sie einander nicht mehr gesehen, also bittet der Jüngere den Älteren um ein Porträt. Als er den Brief öffnet und das eigens für ihn angefertigte Profil zur Hand nimmt, erfasst ihn Entsetzen: Das Martyrium im Temple hat aus dem noch nicht Vierzigjährigen einen Greis gemacht.

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      Ein neues Leben in Österreich: Jean Baptiste Cléry, der letzte Kammerdiener König Ludwigs XVI.

      Jetzt geht es darum, Clérys »Journal de ce qui s’est passé pendant la captivité de Louis XVI.« zum Druck zu befördern. An interessierten Verlagen wäre kein Mangel, auch die Zahl der Subskribenten kann sich sehen lassen – nur die Wiener Regierung legt sich quer. Also reist Cléry mit seinem Manuskript nach London. Noch im selben Jahr 1798 verlässt die fingerdicke Broschüre mit dem Temple-Turm auf der Titel- und einem Faksimile der Handschrift Ludwigs XVI. auf der Rückseite die Druckerpresse. Übersetzungen in mehrere Sprachen folgen, bald kündigt die Wiener Buchhandlung Schaumburg & Co. auch eine deutsche Fassung an. Einen Gulden beträgt der Ladenpreis. Innerhalb von drei Tagen sind sämtliche 6000 Exemplare der ersten Auflage abgesetzt – ein Bestseller! Noch Jahre danach werden die Buchhändler stöhnen: »In ansehnlichen Büchersammlungen steckten oft bis zu zwanzig Exemplare; kein Antiquar-Katalog, kein Auktionsverzeichnis ohne ›Cléry-Journal‹; kein Mensch in Wien, der es nicht wenigstens gesehen hatte; die Stadt war überschwemmt damit.«

      Auch die Wiener Presse stürzt sich auf das Thema: Sollte das Journal nicht eigentlich erst fünfzig Jahre nach dem Tod seines Autors das Licht der Öffentlichkeit erblicken? Und wohin mag das Manuskript geraten sein? »Ist es in Wien aufbewahrt – und bei wem? Das weiß der Himmel!« Spärlich auch, was man über die Person des Autors zu berichten weiß: »Monsieur Cléry war ein anständiger Mann. Er hatte Geist wie alle französischen Kammerdiener, aber seine Seele war geknickt, und Gram zehrte an seiner Lebenskraft.«

      Mit 44 lässt sich Cléry (der auch eine Reihe von Reisen im Auftrag des späteren Louis XVIII. unternimmt) ein letztes Mal in Paris blicken: Er will seine Kinder wiedersehen. Sohn Karl ist Offizier, die Töchter Benedikta und Hubertine sind Gesellschaftsfräulein in adeligen Häusern. Und Gattin Marie Elisabeth geborene Duverger? Es scheint, wie wenn sie ihren Platz längst an eine Wiener Lebensgefährtin ihres Mannes habe abtreten müssen: an jenes geheimnisumwitterte Fräulein Adelaide Gaudelet, das in Clérys Testament auffallend generös bedacht werden wird … Dass er seinen für drei Monate bemessenen Aufenthalt in Paris vorzeitig abbricht, hat allerdings andere Gründe: Da er nicht bereit ist, der von ihm betriebenen französischen Ausgabe des Journal ein Napoleonfreundliches Nachwort hinzuzufügen, fällt er bei den französischen Behörden in Ungnade und muss neuerlich das Weite suchen.

      In Wien hat er es unterdessen zu Ansehen und Wohlstand gebracht: 40 000 Franken sind in englischen Staatspapieren angelegt, vom Rest erwirbt Cléry zwei Grundstücke auf der Löwelbastei. Als diese günstig weiterveräußert sind, kauft er sich auf der Mölkerbastei an, und hier, in einem ziegelgedeckten einstöckigen Haus mit sieben Wohnräumen und drei Küchen (damalige Anschrift: Kleppersteig 3), bezieht er bis zu seinem frühen Tod Quartier. Als er, eben fünfzig geworden, vier Tage vor seinem Ableben sein Testament abfasst, ist er vom »abzehrenden, schleichenden Fieber« bereits so geschwächt, dass seine zittrige Hand statt der Unterschrift nur noch fünf Kreuze zustande bringt. Sein letzter Wille verfügt das einfachste Begräbnis sowie zwanzig Seelenmessen, und da ihn der Tod nicht in seinem Haus in der Inneren Stadt, sondern in der Maxingstraße ereilt (wo sich vermutlich seine dort wohnhafte Lebensgefährtin Adelaide Gaudelet des Sterbenskranken annimmt), fällt auch für Hietzing einiges an Legaten ab: 20 Gulden für die Pfarre, 10 Gulden für die Normalschule. Auf dem Hietzinger Friedhof wird er auch zur ewigen Ruhe bestattet: am 27. Mai 1809, wenige Tage nach Napoleons Niederlage in der Schlacht bei Aspern. Die französische Botschaft in Wien kommt bis heute für die Grabkosten auf.

      Überflüssig zu erwähnen, dass der ehemalige königliche Kammerdiener und spätere Bestsellerautor und Hausbesitzer sich in seinen letzten Wiener Jahren eigenes Personal leisten konnte. Und nach dem Beispiel seines einstigen Herrn, des Königs von Frankreich, der ihm kurz vor seiner Hinrichtung sein letztes bisschen persönliche Habe überschreibt, versäumt es auch Jean Baptiste Cléry in seinem Testament nicht, seinen Diener zu bedenken: »Je donne à mon domestique six chemises et tous mes habits.«

      Sechs Hemden und alle seine Anzüge.

       Der Lichterbaum

       Henriette von Nassau-Weilburg

      Sie ist eine Lichtgestalt des österreichischen Protestantismus – und nicht etwa nur der Lichter wegen, die sie als eine der Ersten hierzulande am Christbaum anzündet. Den schönen Brauch, zu Weihnachten eine Tanne aus dem Wald zu holen, in der guten Stube aufzustellen und mit Wachskerzen zu bestücken, hat es bis dahin nur in ihrer deutschen Heimat gegeben – nun, im Dezember 1816, führt sie ihn auch in Wien ein. Ihr Name: Henriette von Nassau-Weilburg, geboren am 30. Oktober 1797. Zur Zeit ihrer ersten Wiener Weihnacht ist sie 19 Jahre alt.

      Die Geschichte beginnt mit dem Mann, der sie nach Wien holt. Er ist 26 Jahre älter als Henriette, wird seit sechs Jahren als Nationalheld gefeiert – bis heute zählt sein Denkmal auf dem Wiener Heldenplatz, neben dem des Prinzen Eugen, zu den imposantesten Reiterstandbildern der Welt: Erzherzog Karl, der Bezwinger Napoleons, der Sieger von Aspern. Wann hat es je im Hause Habsburg eine erfolgsträchtigere Geschwisterkonstellation als diese gegeben: Karls drei Jahre älterer Bruder Franz ist (als Franz II.) letzter Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und (als Franz I.) erster Kaiser von Österreich; Joseph ist dessen ungarischer Palatin; und der elf Jahre jüngere Johann geht – nicht nur seiner »unebenbürtigen« Ehefrau, der Postmeisterstochter Anna Plochl, wegen – in die Geschichte der Steiermark ein.

      Karl, jetzt, sechs Jahre nach Aspern, Mitte vierzig, hat nach Zwistigkeiten mit dem kaiserlichen Bruder sein Kommando als Generalfeldmarschall niedergelegt und seinen Posten als Gouverneur von Mainz angetreten, hätte nun also die Muße, sein über viele Jahre vernachlässigtes Privatleben neu zu ordnen, sprich: sich um eine Ehegattin umzusehen und eine Familie zu gründen. Seine Ratgeber sparen nicht mit Vorschlägen; er selbst könnte sich als Gespons vor allem eine Prinzessin aus einem der deutschen Fürstenhäuser vorstellen, selbst wenn diese nicht – wie unter Habsburgern eigentlich obligat – katholischen Glaubens sein sollte.

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       Lichtgestalt des österreichischen Protestantismus: Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg

      Tatsächlich fällt seine Wahl auf die (einzige) Tochter des Herzogs von Nassau-Weilburg, den Karl anlässlich des Wiener Kongresses kennengelernt hat. Nunmehr in Mainz residierend, ist es nur natürlich, dass er dem Herzog im kaum 70 Kilometer entfernten Weilburg einen Höflichkeitsbesuch abstattet

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