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aufgeputzt, versperrte mir unter tausend Entschuldigungen den Weg: »Nicht bös’ sein, dass ich Sie mitten auf der Straße ansprech’, aber ich wollt’ Ihnen nur sagen, die Baskische wär’ wieder da.«

      Es war die Frau vom Wurststand. Sie war fest davon überzeugt, dass ich nur ausgeblieben war, weil sie mit ihren Bemühungen um die Wiederbeschaffung der Baskischen gescheitert war. Nun endlich, nach Jahren, war die Sache aus der Welt geschafft.

      Es mag schon sein, dass es in den großen Dingen sehr oft drunter und drüber geht in dieser Stadt – in der Art, wie sie sich in die kleinen verbeißt, im Bösen wie im Guten, stellt sie tagtäglich ihre eigenen Rekorde ein.

      Als seinerzeit die Mode der schulterlangen Männerhaare auch Österreich (und mich) erreichte, kam das Wort auf: »In Wien drehen sich sogar die Langhaarigen nach den Langhaarigen um.« Na schön, anderswo laufen sie eben aneinander vorbei. Auch das Sich-Umdrehen aus Missgunst ist noch immer eine Art von Kommunikation.

      Das Café H. im 3. Bezirk wurde mein erstes Stammquartier. Es lag günstig, nahm mich durch seinen unprätentiösen Gebrauchscharakter für sich ein und ließ sich vor allem in jeder gewünschten Weise nutzen. Ich weiß, es riecht nach Anekdote, doch es ist die reine Wahrheit: Wann immer ich eine heikle Situation zu bestehen, eine schwierige Verhandlung zu führen hatte, wählte ich dieses Lokal zum Austragungsort und gab den Besitzerinnen – zwei Schwestern, die sich den Tag- und Nachtdienst teilten – vorher die entsprechenden Direktiven: wie ich im gegebenen Fall anzureden, welche Aura um mich zu verbreiten, mit welchen Stichworten mir beizustehen sei. Es hat jedes Mal vorzüglich geklappt, und ich täusche mich nicht: Es hat den beiden auch noch Spaß gemacht.

      So also wird man Wiener?

      Es ist der Punkt gekommen, wo ich gestehen muss: Auch Erpressung war im Spiel. Es war zu einer Zeit, als ich ganz gut verdiente, eine mir befreundete Familie hatte einen momentanen finanziellen Engpass zu überwinden, ich sprang mit einem Darlehen ein. Schon wenige Monate später wäre ohne alle Mühe die Rückzahlung möglich gewesen, dennoch wurde sie von Jahr zu Jahr hinausgeschoben – und immer mit der Begründung: Du weißt, wie sehr wir an dir hängen, wir wollen nicht, dass du auf dumme Gedanken kommst, am Ende gehst du weg aus Wien, wir haben beschlossen, das Geld auf ein Sperrkonto zu legen. Am Tag, als ich im Wiener Rathaus mein frisches Staatsbürgerschaftsdekret in Händen hielt, wurde das Konto geöffnet – wohlverzinst.

      Selbstverständlichkeiten darf ich hier beiseitelassen: dass es mir längst auch die Schönheit der Stadt angetan hatte, ihr kultureller Reichtum, das riesige Reservoir, aus dem ich schöpfen konnte, als ich begann, Bücher zu schreiben. Wien war und ist die ideale Bodenstation für meine literaturtopografischen Umtriebe. Alles an einem Ort, alles in Reichweite: Bibliotheken und Kunstsammlungen, Kulturinstitute und Botschaften, Verkehrsmittel und – die »richtigen Leut’«.

      Bald kam auch das anheimelnde Echo aufs erste Österreich-Buch: die stolze Hausbesorgerin, die darauf bestand, das Ereignis mit einem wappengeschmückten Guglhupf zu feiern, der patriotische Ministerialrat, der sich zu der Wunschvorstellung verstieg, den schreibenden Neubürger (wortwörtlich) »in die österreichische Nationalflagge einzuwickeln«. Gleichzeitig konnte ich lässig auf totale Assimilierung verzichten. Niemand hinderte mich daran, weiterhin »hinten« zu sagen, wenn ich – wie ortsüblich – »rückwärts« in die Straßenbahn stieg; im Gegensatz zu Bayerns Preußen kam ich ohne alle Landestrachtanbiederung aus, und wenn man, einem hiesigen Hang zur Slawisierung folgend, meinen deutschen Familiennamen mitunter zum böhmischen »Krisa« verfremdete, wertete ich es als Zeichen gelungener Integration in meine Wahlheimat Wien.

      Doch genug von mir. Wenden wir uns den anderen zu, den Großen, den Berühmten. Wie lief’s bei denen?

       Wahlwiener in der Politik

       Der Söldner aus Paris

       Prinz Eugen von Savoyen

      Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie und leidenschaftliche Sigmund-Freud-Antipode, hat dem Phänomen eines seiner Hauptwerke gewidmet: Studie über die Minderwertigkeit von Organen. Kernaussage: Jeder Mensch ist von seinem organischen Aufbau her unvollkommen. Aber ebendiese Minderwertigkeit ist es, die ihn zu außergewöhnlichen Kompensationsleistungen anspornen kann. Beispiel Clara Schumann: Weil sie von Kindheit an unter Sprechstörungen leidet, geht sie umso mehr in der Musik auf und wird zur meistgefeierten Klaviervirtuosin ihrer Zeit. Demosthenes, der größte Redner der griechischen Antike, ist von Haus aus ein Stotterer, der Komponist Friedrich Smetana leidet an einem Gehörfehler, der Maler Toulouse-Lautrec ist aufgrund einer Erbkrankheit kleinwüchsig und hinkt.

      Auch Prinz Eugen ist ein »Zwerg«. Wenn man Alfred Adlers Theorie folgt, wird er nicht trotzdem, sondern eben deswegen der größte Feldherr seiner Zeit.

      Kaiser Wilhelm II., dessen linker Arm verkümmert ist, legt sich ein besonders säbelrasselndes Gehabe zu – Schulbeispiel für Alfred Adlers zweite These: Organische Unzulänglichkeit stachelt nicht nur zu Kompensationsleistungen an, sondern begründet auch den Drang zur Macht. Um sich zu behaupten, versucht der scheinbar Unzulängliche umso vehementer, seine Mitmenschen zu beherrschen.

      Als der knapp zwanzigjährige Eugen Franz von Savoyen-Carignan den Entschluss fasst, das Habit des Geistlichen, das ihm so gar nicht passen will, gegen den Militärrock zu tauschen, und König Ludwig XIV. seine Dienste anbietet, weist ihn dieser aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit schroff zurück und treibt ihn so ins Lager Österreichs: Kaiser Leopold I. nimmt den verfemten Fremdling mit offenen Armen auf. Genau sechs Monate nach der demütigenden Audienz am Pariser Hof von Versailles betritt Eugen zum ersten Mal jene Stadt, die ihm fortan zur zweiten Heimat werden soll: Wien.

      Der am 18. Oktober 1663 im Hôtel de Soissons zu Paris Geborene ist das fünfte Kind des Grafen Eugen Moritz von Savoyen-Carignan, der sich zwar verwandtschaftlicher Beziehungen mit drei der großen Herrscherhäuser Europas – den Bourbonen, den Habsburgern und den Wittelsbachern – rühmen darf, selbst aber, ein unbedeutender General der französischen Armee, am Spieltisch bessere Figur macht als auf dem Schlachtfeld. Die Mutter ist Italienerin: Olympia von Manzini, eine Nichte des Kardinals Mazarin, der bis zum Ablauf der Minderjährigkeit des späteren Sonnenkönigs die Geschicke Frankreichs lenkt, erfreut sich der Gunst des Hofes, solange Ludwig XIV. sich ihrer als Mätresse bedient – später, als Verstoßene, schlägt’s ins genaue Gegenteil um. Eugens Elternhaus, übrigens auch nicht mit materiellen Gütern gesegnet, könnte man also eine gute Familie mit schlechtem Ruf nennen.

      Eugen ist noch keine zehn Jahre alt, da wird er Halbwaise: Ein mysteriöses Fieber beendet das Leben des erst 38-jährigen Vaters. Als sechs Jahre darauf in Paris eine Serie von Giftmorden aufgedeckt wird, für die man die Wahrsagerin und Quacksalberin Catherine Deshayes verantwortlich macht, droht auch Eugens Mutter Olympia ein Strafprozess: Die beiden Frauen, heißt es, hätten miteinander konspiriert. Und obwohl der Verdacht des Gattenmordes jeglicher Grundlage entbehrt, ist das schlimme Gerücht nicht zum Verstummen zu bringen, teuflische Intrigen bei Hof tun ein Übriges, und so bleibt der Vierzigjährigen keine andere Wahl, als den Weg in die Verbannung anzutreten: Sie flieht nach Brüssel.

      Im Hôtel de Soissons übernimmt unterdessen Eugens Großmutter das Regiment: Für den 17-Jährigen brechen freudloskarge Zeiten an. Statt mit Leuten von Stand verkehrt er mit den Kammermädchen und Bediensteten; die tratschsüchtige Liselotte von der Pfalz, die in die Verhältnisse Einblick zu haben scheint, nennt den Prinzen in einem Brief an die Kurfürstin Sophie von Hannover einen »schmutzigen, gar liederlichen Buben, der zu nichts Rechtem Hoffnung gibt«. Auch seiner äußeren Erscheinung kann sie nur wenig abgewinnen: »Wenn Prinz Eugen nicht anders geworden ist, werden Euer Liebden ein kurz aufgeschnupftes Näschen, ein ziemlich langes Kinn und so kurze Oberlefzen sehen, daß er den Mund allzeit ein wenig offen hat und zwei breite Zähne sehen läßt …«

      Was soll aus so einem verwachsenen »Gnom« werden? Die Familie denkt an Abschiebung, Mutter Kirche möge sich seiner annehmen; als Gegenleistung wird die Abtretung von Pfründen in Savoyen und Piemont erwogen. Kaum den Kinderschuhen entwachsen, wird Eugen also – es ist das

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