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erliegt Erzherzogin Henriette der tückischen Krankheit; sie ist erst 32 Jahre alt. Und wäre all dies nicht entsetzlich genug, muss sie auch noch über ihren Tod hinaus ein weiteres Mal dafür büßen, dass sie sich zu einem von der österreichischen Norm abweichenden Glauben bekannt hat: Kraft Einspruchs des päpstlichen Nuntius Marchese Spinola soll der »herrlichen Frau« die Beisetzung in der Kapuzinergruft verweigert werden. Ein Machtwort des Kaisers beendet allerdings den unwürdigen Streit: »Sie ist im Leben unter uns gewandelt«, dekretiert Seine Majestät, »sie soll auch im Tode unter uns ruhen.« Erzherzogin Henriette ist somit die einzige in der Kapuzinergruft beigesetzte Protestantin.

      Die Trauer um die vom Volk geliebte Fürstin ist gewaltig, auch die schreibende Zunft huldigt wieder und wieder der Gewissenhaftigkeit, mit der sie ihren Mutterpflichten nachgekommen ist, sowie der Tiefe der Verbundenheit mit ihrem Mann: »Ohne ihn käme mir die Welt wie ausgestorben vor.« Nicht minder zärtlich dessen Stimme – etwa, wenn er, nur wenige Tage von Wien abwesend, der Daheimgebliebenen schreibt: »Obwohl Du es weißt und so oft schon hörtest, muß ich Dir wiederholen, daß ich Dich innigst liebe … In der Ferne fühle ich erst recht, wie ich an Dich geknüpft bin. Es gibt wohl wenige glückliche Menschen wie mich. Viel Glück auf Erden und im Jenseits soll Dir der Himmel geben, um Dir zu lohnen, was Du an mir tust.«

      Sogar einen Dichter wie Franz Grillparzer beschäftigt die Gestalt der Henriette – und zwar aufgrund ihrer Andersgläubigkeit. Ihre Beliebtheit im Volk habe nicht nur den allgemeinen Diskurs über Religionsfreiheit und Toleranz im damaligen Österreich gefördert, sondern ihn selbst, den Dichter, zu seinem Drama Esther inspiriert. Dass er dann doch von dem alttestamentarischen Stoff ablässt und Esther nicht vollendet, hängt mit den Freiheitsbeschränkungen des Systems Metternich zusammen. Grillparzer wörtlich: »Ich hätte ja meine Arbeit sorgfältig vor der Polizei verbergen müssen, und solche Heimlichkeiten waren mir äußerst verhaßt.«

      Wer heute, 190 Jahre nach ihrem tragisch frühen Ableben, Henriettes gedenken will (nicht zuletzt ihre Landsleute beziehungsweise Glaubensbrüder und -schwestern aus Deutschland), findet in Wien die dazugehörigen Örtlichkeiten vor: die Wohnstätten in der Annagasse und im Bereich der Albertina, die Dorotheerkirche und die Kapuzinergruft. Und wer den Zeitpunkt seines Besuchs richtig wählt, kann vielleicht sogar dem bunten Treiben des Henriettenmarkts beiwohnen, der alljährlich im Hof der Dorotheerkirche abgehalten wird. Nur in Baden, im von Henriette so sehr geliebten Helenental, sind die sie betreffenden Spuren ausgelöscht: Ein Brand im April 1945 hat einen Großteil der Weilburg, wo einst alle Granden des Hofes zu Besuch waren und die Musiker Johann Strauß Vater und Joseph Lanner spielten, zerstört. Der Rest wurde 1960 abgetragen.

      P.S.: In jüngster Zeit sind Erzherzogin Henriette und »ihr« Christbaum überraschend ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten – und zwar im Zuge der verstärkten Besucherwerbung für die diversen Wiener Bundesmuseen. Nach der Übersiedlung der erzherzoglichen Familie aus der Annagasse ins Palais des verstorbenen Herzogs Albert von Sachsen-Teschen, die heutige Albertina, hatte Henriette den mit Äpfeln, Lebkuchen, vergoldeten Nüssen, Strohsternen und Windbäckerei geschmückten Tannenbaum regelmäßig in jenem Salon aufstellen lassen, der heute den Audienzsaal der Albertina bildet. Was liegt da für einfallsreiche Werbestrategen näher, als die kunstinteressierten Wiener mithilfe des Christbaummotivs in die Albertina zu locken – und nicht nur in die Albertina, sondern ebenso ins Kunsthistorische Museum, ins Belvedere? Auf jedem Wiener Christbaum – so die Idee – sollte eine der Jahreskarten für den preisgünstigen Besuch der Bundesmuseen hängen …

       Wundersame Verwandlung

       Mitsuko Aoyama

      Die Grafen Coudenhove stammen aus Brabant, sind flämischen Ursprungs. Das Adelsprädikat verdanken sie einem Kreuzritter dieses Namens, der bei der Eroberung Jerusalems anno 1099 in vorderster Reihe stand. Die heutigen Mitglieder des berühmten Geschlechts können auf einen Stammbaum verweisen, der ohne Lücke bis zu dem 1259 verstorbenen Urahn Gerolf zurückreicht.

      Heinrich Coudenhove-Kalergi kommt am 12. Oktober 1859 in Wien zur Welt. Die seit Langem in Österreich ansässige Familie hat dem Kaiserhaus so manchen verdienten Staatsmann gestellt; Schloss Ronsperg in Böhmen ist ihr Stammsitz. Heinrich ist für die diplomatische Laufbahn ausersehen, im Jesuitenkolleg Kalksburg bei Wien erhält er das dafür nötige Rüstzeug. Sein erster Auslandsposten ist Athen, sein zweiter Rio de Janeiro. Als Großwildjäger in den brasilianischen Urwäldern bringt er es zu Weltrekorden, die ihm über seinen Tod hinaus einen Ehrenplatz im Sportman’s Handbook sichern. Noch imponierender ist sein ungewöhnliches Sprachtalent: Als er – nach weiteren Botschaftsposten in Konstantinopel und Buenos Aires – schließlich in Tokio landet, beherrscht der 33-Jährige nicht weniger als 18 Sprachen.

      Besonders die Kultur Japans hat es ihm angetan. Und er unternimmt alles, nicht nur sich selbst die fernöstliche Denkweise anzueignen, sondern sie auch seinen europäischen Landsleuten nahezubringen. »Japan ist heute«, so berichtet er 1894 an das Außenministerium in Wien, »ein Staat voller Kraft, Streben, Jugendfrische und Leben, von einem Optimismus beseelt, der ihn nichts für unerreichbar halten lässt, mit seinen 40 Millionen Einwohnern von gleicher Rasse und gleicher Sprache, seinem gesunden Klima, seiner sicheren insularen Lage, beim glühenden Patriotismus seiner Bewohner, bei der allgemeinen Lust zum Studium und zur Arbeit.« Doch Graf Coudenhove-Kalergi ist seiner Zeit weit voraus: Sein engagierter Hinweis auf die »Ersprießlichkeit der Gründung einer Lehrkanzel für Chinesisch und Japanisch an der Wiener Universität« landet in der Schublade.

      Auch als Privatmann fängt er in seinem Gastland Feuer: Als er die Bekanntschaft der 15 Jahre jüngeren Mitsuko Aoyama macht, Spross eines alten Tokioter Samurai-Geschlechts, ist ihm keine Hürde zu hoch, das Unerreichbare zu erreichen und dieses zauberhafte Wesen zur Frau zu gewinnen.

      Japan und Österreich – dazwischen liegen Welten. Eben noch ein mittelalterlicher Feudalstaat, unternimmt das fernöstliche Kaiserreich die ersten zaghaften Schritte, sich dem Westen zu öffnen – eine Heirat über derart gravierende Grenzen hinweg hat es kaum je gegeben und schon gar nicht auf dieser gesellschaftlichen Stufe. Dass die beiden jungen Leute einander leidenschaftlich zugetan sind, zählt da wenig: Nicht sie haben zu entscheiden, sondern ihre Oberen, und das sind auf der Seite der Braut deren Vater, der Mikado – und auf der Seite des Bräutigams der Wiener Hof. Eine Japanerin als Frau eines künftigen österreichischen Botschafters – wer kann sich das zu dieser Zeit vorstellen? Aber die noch weit größeren Hindernisse stehen einer solchen Verbindung in Japan entgegen: Mitsuko, im Geist des Buddhismus und in der Moral des Konfuzius erzogen, soll ihre Heimat verlassen und den katholischen Glauben annehmen?

      Die Taufe in der Kathedrale von Tokio wird zwar mit allem Pomp gefeiert, bleibt aber in den Augen vieler Landsleute ein unverzeihlicher Verstoß gegen den strengen Sittenkodex Japans, und die Kaiserin, die die Braut zur Abschiedsaudienz empfängt und ihr einen kostbaren Fächer aus geschnitztem Elfenbein überreicht, nimmt der »Abtrünnigen« das feierliche Versprechen ab, in ihrem Leben in der Fremde niemals die Ehre Japans aus dem Auge zu verlieren.

      Mitsuko ist ein Bild von einer Braut: zart und schlank, ebenmäßiges Gesicht und elfenbeinfarbener Teint, tiefschwarzes Haar von bläulichem Glanz. Alles, was man von einem Mädchen ihres Standes erwarten darf, beherrscht sie: die Kunst der Kalligrafie, die Kunst des Blumenbindens, die Kunst des Mandolinenspiels. Sie weiß in kniender Haltung zu sitzen, sich nach den altüberlieferten Höflichkeitsregeln zu verbeugen, sich mit vollendeter Anmut zu bewegen, ihre wahren Gefühle lächelnd zu verbergen. Damit die Gelenkigkeit ihrer Finger die gewünschte Vollkommenheit erreicht, wird sie als Schulkind – die Hände in einen Sack voll trockener Erbsen gesteckt – zu ausdauernden Bewegungsübungen angehalten. Den Gehorsam gegenüber dem Vater, den man ihr anerzogen hat, übt sie nun im Umgang mit ihrem Mann und später – wiederum in strenger Befolgung des altjapanischen Sittenkodex – im Umgang mit ihrem ältesten Sohn. Heinrich Coudenhove-Kalergi weiß es zu schätzen: Der japanische Patriarchalismus ist ganz nach seinem Geschmack, weibliche Emanzipation in seinen Augen ein Gräuel.

      Mitsuko Aoyama, nunmehr den Namen Maria Thekla Mitsu Gräfin Coudenhove-Kalergi tragend, folgt ihrem Gemahl nach Österreich, und Wien,

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