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Einladung der Geographischen Gesellschaft in Wien weilt, um über die Entdeckung des Trans-Himalaja zu referieren, erhebt der 24 Jahre Jüngere in einem leidenschaftlichen Exkurs Anklage gegen sein Gastland, das es zugelassen habe, daß ein von der gesamten Fachwelt Bewunderter »wie ein Händler umherreisen und für wenig Geld Vorträge halten mußte, um sich seinen kargen Lebensunterhalt zu verdienen«.

      Die Payers stammen aus Böhmen, der Vater ist Rittmeister bei den Ulanen, in Schönau bei Teplitz kommt Julius am 2. September 1841 zur Welt. Mit 18 bezieht er die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt. Bei einem Monatssalär von 36 Gulden zum Infanterieregiment Nr. 36 ausgemustert, geht der junge Leutnant in Jägerndorf, Frankfurt, Mainz und Venedig in Garnison; für seinen Einsatz bei der Schlacht von Solferino wird er mit dem österreichischen Verdienstkreuz ausgezeichnet. Aber nicht militärische Ehren sind es, auf die es der nunmehr in Verona Stationierte anlegt: Die Berggipfel, die er von seinem Exerzierplatz aus sieht, haben es dem Zwanzigjährigen angetan. Und noch etwas: Wenn er auf den Monte Baldo, auf den Pasubio oder in die Lessini-Gruppe aufsteigt, steckt er nicht nur Schneebrille und Kompaß in sein Marschgepäck, sondern auch Zeichenstift und Skizzenblock. Er will, was er sieht, unbedingt festhalten: in naturgetreuen Bildern, in exakten Vermessungen, in selbsterstellten Karten.

      Zunächst also in eigener Regie und nur während der Freizeit, nimmt er sich bald auch in offizieller Mission die zum Teil noch unerschlossenen Abschnitte der Ostalpen vor, dokumentiert im Auftrag des Militärgeographischen Instituts an die dreißig Erstbesteigungen und wird so zu einem der Pioniere der modernen Hochgebirgskartographie. Sein Dienst als Geschichtslehrer am Eisenstädter Kadetteninstitut bleibt ein Zwischenspiel: Julius Payer zieht’s in die Natur. Und Natur – das müssen nicht unbedingt Berggipfel sein. Als 1869/70 Karl Koldewey zur zweiten deutschen Nordpolexpedition aufbricht, nimmt er den jungen Österreicher als Topographen und Schlittenführer nach Nordost-Grönland mit. Unter den Materialien, die Payer von diesem ersten Großeinsatz im äußersten Norden mit heimbringt, werden auch Aufnahmen und Karten eines bis dato unbekannten Meeresarmes sein – als loyaler Untertan seines Monarchen wird er ihm den Namen »Kaiser-Franz-Joseph-Fjord« geben.

      Was liegt da näher, als daß man auch in Österreich über einen Einstieg in die Polarforschung nachzusinnen beginnt? Zwei über bedeutende Mittel verfügende und der Förderung von Kunst und Wissenschaft zugetane Männer, die Grafen Wilczek und Zichy, kümmern sich um die Finanzierung, Kriegsminister Freiherr von Kuhn stellt das vierundzwanzigköpfige Team – angeführt von Julius Payer und dem drei Jahre älteren k.k. Schiffsleutnant Karl Weyprecht – vom Dienst frei. Bei der Reederei Tecklen-borg in Bremerhaven wird ein den besonderen Anforderungen entsprechendes Expeditionsschiff in Auftrag gegeben. Der Dreimast-Schoner »Admiral Tegetthoff« ist 32 Meter lang, 7 Meter breit, hat einen Tiefgang von 3,47 Meter und eine Wasserverdrängung von 520 Tonnen, seine Motorleistung beträgt 100 PS, die Geschwindigkeit 6 Knoten.

      Am 13. Juni 1872 sticht – nach erfolgreicher Absolvierung einer Vorexpedition zur Erkundung der Witterungs- und Eisverhältnisse – die »Tegetthoff« von Bremerhaven aus in See. Das Ziel, das man sich gesteckt hat, ist mehr als kühn: Es soll versucht werden, übers Polarmeer bis zum Pazifik vorzustoßen.

      Von Frühsommer 1872 bis Spätsommer 1874 ist das Expeditionsteam unterwegs, immer wieder ist das selbstmörderische Unternehmen von Scheitern und vorzeitigem Abbruch bedroht, schon binnen kurzem reißt auch die letzte Verbindung zur Heimat ab: »Nun ist’s aus, kein Brief mehr möglich!« lautet die am 14. August 1872 aufgegebene Depesche nach Wien. »Ungeheure Eismassen drängen das Schiff an die Küste.« Von Stund an gelten Payer & Co. als verschollen – und dabei wird es volle zwei Jahre bleiben.

      Der extrem starke Frost des Jahres 1872 läßt die das Schiff umschließenden Eisplatten zur festen Scholle erstarren, der weder mit Sägen noch mit Sprengen beizukommen ist. Aber auch, als Monate später endlich Mildluftströme auf Befreiung hoffen lassen, gelingt es nicht, die bis zu 13 Meter dicken Eistafeln zu zertrümmern: Die arktische Wüste hält die Besatzung der »Tegetthoff« gefangen. Man ist zwar in Gebiete vorgedrungen, die vor ihnen keines Menschen Auge erblickt hat, aber man sitzt fest – ohne jede Chance auf Weiterkommen. Oder doch?

      In Julius Payers Tagebuchaufzeichnungen wird sich später, was sich da an jenem 30. August 1873 in 79º 43' nördlicher Breite und 59º 33' östlicher Länge ereignet, wie folgt lesen:

      »Ein denkwürdiger Tag. Er brachte eine Überraschung, wie sie nur in der Wiedergeburt zu neuem Leben liegt. Es war um die Mittagszeit, da wir, über die Bordwand gelehnt, in die flüchtigen Nebel starrten, durch welche dann und wann das Sonnenlicht brach, als eine vorübergehende Dunstwand plötzlich rauhe Felszüge fern in Nordwest enthüllte, die sich binnen wenigen Minuten zum Anblick eines strahlenden Alpenlandes entwickelten.«

      Und weiter:

      »Im ersten Moment standen wir alle gebannt und voll Unglauben da; dann brachen wir, hingerissen von der unver-scheuchbaren Wahrhaftigkeit unseres Glückes, in den stürmischen Jubelruf aus: ›Land, Land, endlich Land!‹ Jahrtausende waren dahingegangen, ohne Kunde von dem Dasein dieses Landes zu den Menschen zu bringen. Und jetzt fiel einer geringen Schar fast Aufgegebener seine Entdeckung in den Schoß als Preis ausdauernder Hoffnung und standhaft überwundener Leiden. Und diese geringe Schar, welche die Heimat bereits zu den Verschollenen zählte, war so glücklich, ihrem fernen Monarchen dadurch ein Zeichen ihrer Huldigung zu bringen, daß sie dem neuentdeckten Lande den Namen ›Kaiser-Franz-Joseph-Land‹ gab.«

      Das heißt konkret, daß auf die erste Meldung hin zunächst einmal die nötigen Lotungen und Peilungen vorgenommen, sodann alle Mann auf Deck versammelt und schließlich – nach einer feierlichen »Anrede seitens des Commandanten« – drei kräftige Hurra-Rufe ausgestoßen werden. So verlangt es das Ritual.

      Aber das Ritual ist die eine Sache, die Realität die andere. Und die Realität ist: Erst drei Monate später können die Leute von der »Tegetthoff« ihren Fuß auf das neuentdeckte Terrain setzen, nicht vor Ende Oktober geben Treibeis und Dauernebel den Weg aufs »Kaiser-Franz-Joseph-Land« frei. Ja, die eigentliche Erkundung des Inselgewirrs kann sogar erst im darauffolgenden Februar in Angriff genommen werden. Mit ausgesucht kleiner Mannschaft gehen Payer und Weyprecht daran, teils per Schlitten, teils zu Fuß das Gelände zu durchstreifen, zu vermessen und zu kartographieren. Bei Temperaturen unter 40 Grad minus (die sich im Nachtlager noch bis zu 50 Grad abkühlen), geschützt nur durch Sturmhaube und Bärenfell, also stets den Erfrierungstod vor Augen, besteigen sie ihre mit elastischen Segeln ausgerüsteten Skischlitten – am Schluß wird es eine Gesamtstrecke von 840 Kilometern sein, die sie, Proviant und Kocher im Gepäck, zurückgelegt haben. Und siehe da, alle – inklusive der Schlittenhunde – überleben!

      Eine Polarexpedition ist keine Konquista, kein Kolonisierungsakt, sondern ein wissenschaftliches Vorhaben ohne alle völkerrechtlichen Ambitionen. Aber ein bißchen Patriotismus wird wohl doch erlaubt sein, und so erhalten die einzelnen Landfunde wenigstens österreichische Namen: vom Cap Grillparzer bis zum Todesco-Fjord, vom Austria-Sund bis zum Simony-Gletscher, vom Wilczek-Land bis zur Teplitz-Bay.

      Zwar glückt den Männern um Payer und Weyprecht die Rückkehr zur im Eis festsitzenden »Tegetthoff«, doch das Schiff selber, soviel steht fest, muß aufgegeben, der Rückzug aufs Festland mit Schlitten und Booten versucht werden. Der Proviant geht zur Neige: Der mörderische Hunger ist nur noch zu stillen, indem man die Kadaver der vor Wochen erlegten Eisbären ausgräbt und für den Verzehr freigibt. Die Logbücher und Schiffspapiere, die Vermessungsberichte sowie die geographischen und zoologischen Handzeichnungen landen in einer blechgefütterten Kiste, die gegen alle Einwirkungen von außen dicht verlötet ist.

      96 Tage dauert der Marsch gen Süden – zuerst über schier endloses Packeis, dann über leichtes Treibeis, bis endlich am 15. August 1874 das offene Meer erreicht ist und die Einbootung erfolgen kann. Am 18. August gehen die Männer um Julius Payer nördlich der AdmiralitätsHalbinsel an Land, und weitere sechs Tage später sind sie gerettet: Der russische Schoner »Nikolaj« nimmt die total Entkräfteten an Bord und bringt sie in rascher Fahrt in den Hafen von Vardö an der äußersten Nordspitze Norwegens, wo sogleich alles für die Weiterreise nach Hamburg und Wien Nötige in die Wege geleitet wird.

      Die

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