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als 15 Kilometer: Itapui liegt auf halber Strecke zwischen Sao Paulo und Rio Grande. Vor allem aber: Seitdem die Landeswährung stark abgewertet ist, kann man sich hier schon mit einem Kapital von 3000 Schilling einen bescheidenen Besitz zulegen.

      Im September 1933 wagt Andreas Thaler einen ersten Siedlertransport, und bereits einen Monat später ist die Gründungsurkunde unterzeichnet: Treze Tilias – auf deutsch: Dreizehnlinden – wird das Tiroler Bergbauerndorf im Süden Brasiliens von Stund an heißen. Und da sich das Experiment gut anläßt, kehrt Thaler im Frühjahr 1934 nach Österreich zurück, um seinen verarmten Landsleuten für einen weiteren Auswanderungsschub Mut zu machen. Raschen Reichtum, so hält er in seiner vom Katholischen Preßverein Linz verbreiteten Aufklärungsschrift vorsorglich fest, könne er den Kandidaten zwar nicht versprechen, wohl aber »ein auskömmliches Leben«. Sein Leitspruch: »Wäge! Wäge genau! Dann erst wage!«

      Der zweiten Gruppe, die er noch im selben Jahr nach Südamerika führt, gehört auch seine vielköpfige eigene Familie an: Thaler, der selber keinen Grund hätte, Österreich den Rücken zu kehren, weiß genau, daß sein persönlicher moralischer Rückhalt für das Gelingen des Experiments von größter Bedeutung ist, und so siedelt auch er sich mit den Seinen in Dreizehnlinden an. Ja, er opfert ihm sogar sein Leben: Als im Sommer 1939 der hochwasserführende Rio Sao Bento den tiefer gelegenen Teil des Dorfes zu überschwemmen droht, muß zwecks Abdrängung der Fluten die über den Fluß führende Brücke abgetragen werden. Thaler legt selber mit Hand an. Und da passiert das Unglück: Die Brücke birst vorzeitig und reißt ihn und drei weitere Männer aus dem Ort in die Tiefe. Während jedoch die anderen sich allesamt retten können, wird Thaler von den Sturzwellen des Wildwassers verschlungen. Erst am Tag darauf wird man einige Kilometer flußabwärts die Leiche des Fünfundfünfzigjährigen bergen.

      So tragisch das Leben des Gründers von Dreizehnlinden endet, eines bleibt Thaler durch seinen frühen Tod erspart: mitanzusehen, wie mit Österreichs Anschluß an Hitler-Deutschland und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gewaltige neue Probleme auf das Tirolerdorf zukommen. Nicht nur, daß schlagartig die Verbindung zur Heimat abgeschnitten ist, bringen die offen mit den Nationalsozialisten sympathisierenden Deutschbrasilianer anderer Siedlungen auch Dreizehnlinden in Verruf. Außerdem tritt im August 1942 Brasilien in den Krieg gegen die Achsenmächte ein.

      Doch allen Rückschlägen zum Trotz: Unsere Exil-Tiroler wissen sich zu behaupten, und als bei Kriegsende ganz Österreich Hunger leidet, schicken sie sogar Lebensmittelpakete und Geldspenden in die alte Heimat. Ihre landwirtschaftlichen Betriebe florieren, ihre Produkte finden Absatz, neue Siedlertransporte rücken nach. 1956 ist es so weit, daß Dreizehnlinden mit den Nachbardörfern Babenberg und Rosengarten zu einem eigenen Bezirk von knapp 6000 Einwohnern vereinigt wird. Außer Kirche, Schule und Spital verfügt man nun auch über ein Sportstadion, ein Kulturhaus und ein Gymnasium. Und schließlich entdecken auch die Touristen die exotischen Reize der im alpenländischen Stil errichteten Tirolerhäuser mit den blumengeschmückten Balkons: Nicht weniger als 600 Fremdenbetten stehen den Gästen des Höhenluftkurortes Treze Tilias zur Verfügung. Dreizehnlinden macht Österreich alle Ehre. Andreas Thaler, der dafür sein Leben hingegeben hat, könnte auf sein Werk wahrlich stolz sein.

      Der Kamelienmann

       Georg Joseph Kamel

      Sie teilt das Schicksal von Reseda und Levkoje: Die Kamelie ist aus der Mode gekommen, auch Blumen unterliegen Trends. Doch dafür haben die rosenähnlichen Blüten des ostasiatischen Zierstrauchs mit den immergrünen Blättern ihren festen Platz in der Literatur: Alexandre Dumas hat sie in seinem Gesellschaftsroman »La Dame aux Camélias«, Giuseppe Verdi in seiner Oper »La Traviata« verewigt. Und auf dem Friedhof von Montmartre pilgern manche Touristen nach wie vor ans Grab jener mit 23 Jahren von der Schwindsucht dahingerafften Pariser Kurtisane Alphonsine Plessis alias Marguérite Gautier, die ihren Liebhabern mit einem ebenso offenherzigen wie blumigen Signal zu verstehen gab, wann sie mit ihr zu rechnen hätten: 25 Tage jeden Monats heftete sie sich eine weiße Kamelienblüte an den Busen, die restlichen fünf eine rote.

      In den botanischen Lehrbüchern findet man alles Nähere: 1739 taucht die Kamelie zum erstenmal in Europa auf, und Carl von Linné, der berühmte schwedische Pflanzenforscher, gibt dem floralen Import den Namen, den er von nun an in aller Welt tragen wird.

      Fragt sich nur: Wieso nennt er ihn (lateinisch, wie sich’s gehört) Camellia?

      Er tut es, um dem Mann zu huldigen, der sie entdeckt und als erster beschrieben hat. Und dieser Mann heißt Georg Joseph Kamel und ist ein mährischer Ordensmann.

      In Brünn kommt er als Sproß einer alten deutschsprachigen Sippe am 21. April 1661 zur Welt. Die Eltern schicken ihn aufs Gymnasium, mit 21 tritt er als Novize in die »Societas Jesu« ein. In den böhmischen Jesuitenkollegs von Neuhaus und Krumau wird er dem »Infirmarius« zugeteilt, erlernt das Apothekerhandwerk. Frater Georgius Josephus begnügt sich jedoch nicht mit dem Studium der gängigen Heilpflanzen, sondern experimentiert auch mit allerlei Neuem, bis dato Unerforschtem, geht in punkto Verabreichung und Dosierung eigene Wege, und vor allem: Er weiß für jeden Patienten – auch für jene Ärmsten, die sich nie im Leben einen Arzt leisten könnten – Rat. Als wieder einmal einer jener Missionar-Trupps zusammengestellt wird, die in den überseeischen Ordensniederlassungen Aufbauarbeit leisten sollen, ist Georg Joseph Kamel mit von der Partie.

      Vor etwas über 100 Jahren ist Manila gegründet worden, die Hauptstadt der von den spanischen Kolonialisten ausgebeuteten Philippinen-Insel Luzon ist ein wichtiger Umschlagplatz für den Warenverkehr zwischen China und Europa. Und Sitz eines Jesuitenkollegs. Doch Frater Georgius Josephus hat weder mit der Eroberung neuer Territorien, der Erschließung verborgener Reichtümer und der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte noch mit der Christianisierung der Eingeborenen zu tun: Er soll sowohl seinen Ordensbrüdern wie den Einheimischen pharmazeutische Hilfe leisten.

      Über Tirol, Mailand und Genua erreicht der Siebenundzwanzigjährige die Südküste Spaniens, in Cadiz besteigt er die Galeone »Santisima Trinidad«, die ihn und sechs weitere Gottesmänner nach dreimonatiger Überfahrt via Mexiko ans Ziel bringt.

      Eine Menge Arbeit wartet im Jesuitenkolleg von Manila auf den Neuankömmling: Frater Georgius Josephus muß den Insulanern den Arzt ersetzen. Und da es der nach dem Muster seiner mährischen Heimat errichteten Apotheke an Nachschub fehlt, geht er daran, seine Bestände mit Heilkräutern anzureichern, die ihm die Eingeborenen ins Haus bringen. Mit aller gebotenen Sorgfalt erprobt er ihre Wirkung, setzt die Dosierung fest, räumt auch mancherlei Aberglauben aus und beginnt eines Tages, jene Pflanzen, die für ihn selber neu sind, systematisch zu erfassen: sammelt sie in Herbarien, schreibt Berichte über sie, fertigt mit Feder und Tinte Zeichnungen von Wurzeln, Blättern und Früchten an. Und da er sich nicht nur als Heilpraktiker, sondern auch als Wissenschaftler versteht, macht er von alledem Duplikate, die von Manila aus den Weg nach Europa antreten. Vor allem englische Botaniker, mit denen er in Verbindung steht, empfangen laufend Sendungen von ihm. Bei einem Postweg von bis zu anderthalb Jahren müssen sie sorgfältig, vor allem wetterfest verpackt sein. Doch zum Glück gelangt das Meiste wohlbehalten ans Ziel (und zählt heute zu den Schätzen des Jesuitenkollegs in der belgischen Universitätsstadt Löwen sowie des Britischen Museums in London).

      Um für seine botanischen Wanderungen, seine Zuchtversuche und vor allem für die tägliche Heilpraxis gerüstet zu sein, lernt Georgius Josephus die Sprachen der Eingeborenen: Sie danken es ihm mit immer wieder neuen Funden, auf die sie sein Auge lenken, und mit der Weitergabe ihres eigenen Wissens. Jene halb mannshohe Pflanze mit den teils weißen, teils roten Blüten, den immergrünen Blättern, den holzigen Kapselfrüchten und dem in späterer Zeit für die Herstellung von Schmiermitteln und Seifen verwendeten Samenöl, die nach Kamels Tod dessen Namen erhalten wird, nennt er selber Thea japonica – die Kamelie ist eine nahe Verwandte des Teestrauchs.

      Zu besonderer Kennerschaft bringt es Kamel als Orchideensammler, und bald geht er dazu über, seine Forschungen auch auf die Tierwelt der Philippinen zu erstrecken: Er beschreibt Schmetterlinge, Käfer und Spinnen, Schnecken, Vögel und Fische. Nur in einem Punkt versagt der gelehrte Mann aus fernen Landen: Er unterschätzt die Tücken des Tropenklimas, die Folgen der einseitigen Ernährung und die latente

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