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fängt schon damit an, daß sich der ursprüngliche Plan, den via Görz, Laibach, Cilli, Marburg und Graz anreisenden Papst von Bruck an der Mur abzuholen und von dort via Mariazell nach Wien zu geleiten, im letzten Augenblick zerschlägt: Unter Hinweis auf eine akute Augenentzündung, die ihn zeitweise dazu zwinge, sein Gesicht zu bandagieren, läßt Kaiser Josef II. seinen Gast wissen, er werde ihm nur bis zum näher gelegenen Neunkirchen entgegenreisen können – und auch dies ohne großes Gefolge, nur begleitet von seinem Bruder, Erzherzog Maximilian Franz, und Oberstallmeister Graf Dietrichstein. »Um allem Zeremoniell und wie immer gearteten Komplimente auszuweichen«, solle die Begegnung außerdem auf offener Straße stattfinden.

      Die Entourage des Papstes umfaßt neben der ihm assistierenden hohen Geistlichkeit zwei Adjutanten, zwei Ärzte, einen Koch, einen Wagenmeister, einen Packknecht, zwei Stallknechte, zwei dem Zug voranreitende Kuriere sowie weitere Dienerschaft. Die letzte Nacht hat Pius VI. als Gast des Grafen Walsegg in dessen Schloß Stuppach nahe Gloggnitz zugebracht, für den Kaiser wurde ein Schlafgemach in der Wiener Neustädter Burg hergerichtet. Als dort am Morgen des 22. März die Meldung eintrifft, die päpstliche Reisegesellschaft sei soeben zur Weiterfahrt aufgebrochen, macht sich auch Josef II. auf den Weg und fährt seinem Gast entgegen.

      Sobald die Wagenkolonne des Pontifex in Sichtweite gerät, steigen der Kaiser und sein Bruder aus der zweisitzigen Galakutsche und nähern sich dem Wagen des Gastes, der seinerseits, gefolgt von den ihn begleitenden Bischöfen Marcucci und Contessini, die Fahrstraße betritt und seinen Gastgeber huldvoll in die Arme schließt. Für die Weiterfahrt nach Wien wechselt Pius VI. von seiner Kutsche in die des Kaisers; unter feierlichem Glockengeläut trifft man in Wiener Neustadt ein, wo während des Pferdewechsels Dom und Militärakademie besichtigt werden.

      Schon während der dreistündigen Reststrecke Richtung Wien trifft man auf eine stetig anwachsende Schar von Schaulustigen, die aus den Ortschaften ringsum herbeieilen, um dem Ankömmling zuzuwinken; ab Wiener Neudorf drängen sie sich in dichtem Spalier. Beim Einzug in die Reichshaupt- und Residenzstadt übernehmen vier ungarische und vier galizische Nobelgarden das Geleit. Als Logis für den hohen Gast ist die Hofburg vorgesehen: Es sind jene prachtvoll ausgestatteten Gemächer, in denen vormals Maria Theresia residiert hat.

      Bereits hier, bei der Vorstellung der Minister und des Staatskanzlers, erhält Pius VI. einen ersten Vorgeschmack von der frostigen Stimmung, die ihm an den folgenden Tagen seitens des offiziellen Österreichs entgegenschlagen wird: Keiner der hohen Herren zeigt sich zu einem Kniefall bereit. Zum Empfang in der Josefskapelle stimmt die Hofmusik zwar das Te Deum an, doch die Kanonensalven, die in früheren Zeiten bei einem solchen Anlaß abgefeuert worden wären, bleiben auf höhere Weisung aus.

      Ein dichtes Programm wartet auf den Gast aus Rom. Obwohl Pius VI. sich einen vollen Monat – vom 22. März bis zum 22. April – in Wien aufhält, kommt der Vierundsechzigjährige Tag für Tag auf ein Vierzehnstunden-Pensum: Bei Tagesanbruch steht er auf, dann zelebriert er die heilige Messe, empfängt in den Sakristeien der diversen Kirchen die Gläubigen zum Fuß- und Handkuß, unternimmt zahlreiche Höflichkeitsbesuche, trifft sich zu den gewünschten Geheimverhandlungen mit dem Kaiser und stattet zwischendurch den Wiener Sehenswürdigkeiten – vom Arsenal bis zur Hofbibliothek, von der Schatzkammer bis zu den Kunstsammlungen und Naturalienkabinetten, von den örtlichen Waisenhäusern bis zur Herzgruft der Habsburger, vom Augarten bis zum Prater – Visiten ab. Erst gegen 16 Uhr nimmt er das Mittagsmahl ein, es folgen Privataudienzen und öffentliche Empfänge; mit Schreiben, Lesen und Beten beschließt er den Tag. Erst kurz vor Mitternacht gehen in den päpstlichen Gemächern die Lichter aus.

      So mühsam und so wenig ergiebig die Verhandlungen mit dem Kaiser verlaufen, von deren Inhalt im übrigen kaum etwas an die Öffentlichkeit dringt, so herzlich ist die Anteilnahme der Bevölkerung, die bei jeder seiner vielen Ausfahrten dem Heiligen Vater huldigt, die Straßen und Plätze säumt, um seinen Segen zu empfangen, mit Bildern, Kreuzen und Rosenkränzen anrückt oder sich bei den zahlreichen ambulanten Devotionalienhändlern mit Medaillen, Kupferstichen und Wachsreliefs eindeckt, die allesamt (und in unterschiedlicher Qualität) mit dem Antlitz des Heiligen Vaters versehen sind. Nicht nur Adel und Militär, nicht nur Hofstaat und Beamtenschaft sind zu den nachmittäglichen Audienzen zugelassen, sondern auch das gemeine Volk: Hausherr und Hausknecht friedlich vereint, der Kammerdiener neben dem Mundkoch, der Großkaufmann neben dem Perückenmachergesell.

      Einer der Höhepunkte ist die für den Nachmittag des Ostersonntags angesetzte Absolutionsfeier auf dem Platz Am Hof, bei der Pius VI. im Kreise der in Wien versammelten Kardinäle und Bischöfe vom Balkon der ehemaligen Jesuitenkirche den über 50 000 herbeigeströmten Gläubigen den »vollkommenen Ablaß«, also die »Nachlassung aller Sünden« erteilt. Vierhundert Chorsänger teilen sich mit dem Pontifex die Intonierung der feierlichen Formel, die »allen denjenigen, welche an diesem Tage oder in dieser Karwoche gebeichtet und kommuniziert haben«, Gottes immerwährende Gnade verheißt. »Nur Seufzen und Schluchzen unterbrachen die tiefe Stille, welche unter der zur Erde gesunkenen Menschenmenge herrschte«, lesen wir in einem der Berichte. Umso lauter wird es, als der Papst zum Abschluß der Zeremonie seine Hand zum Segen urbi et orbi erhebt: Ein auf der nahen Freyung postiertes Grenadierkommando feuert eine Salve ab, der die auf den Wällen der Vorstädte aufgestellten Kanonen mit vielfachem Geschützfeuer antworten.

      Ostern in Wien – das verlangt dem »spätberufenen« Giovanni Braschi, der ursprünglich Jus studiert und erst mit 41 die Priesterweihe empfangen hat, das Äußerste an Kraftanstrengung ab. Am Gründonnerstag nimmt er in der sogenannten Antekamera der Hofburg an zwölf Greisen die traditionelle Fußwaschung vor, am Karfreitag besucht er zu Fuß die Heiligen Gräber in den Kirchen der Minoriten und der Schotten, in St. Peter, in St. Michael und Am Hof; am Ostersonntag zelebriert er im Stephansdom das Hochamt (dem Kaiser Josef II. fernbleiben muß, weil sich sein Augenleiden verschlimmert hat und die Ärzte Breiumschläge und Bandagen sowie strikte Bettruhe im abgedunkelten Schlafzimmer verordnet haben).

      Auch die letzten Tage seines Wien-Aufenthaltes sind randvoll mit Terminen gefüllt. Beim öffentlichen Konsistorium im Rittersaal der Hofburg tauscht man – ungeachtet des unbefriedigenden Verlaufes der Geheimverhandlungen zwischen Kaiserthron und Heiligem Stuhl – überschwengliche Komplimente aus, die insbesondere die Gastfreundschaft des Monarchen, seine Leutseligkeit, seine »außerordentlichen Geistesgaben« und seinen »unbeschreiblichen Fleiß in der Führung der Geschäfte« hervorheben, was in krassem Gegensatz zu dem vor acht Tagen ausgebrochenen Streit steht, in dessen Verlauf Pius VI. seinen Widersacher unverhohlen der offenen Häresie bezichtigt hat.

      Hinter vorgehaltener Hand machen unter den wenigen Eingeweihten Spekulationen die Runde, von Rechts wegen hätte der Papst in dieser zugespitzten Situation dem Kaiser den Empfang der Sakramente verweigern, ja seine Exkommunikation in die Wege leiten müssen. Sogar ein jäher Abbruch der Gespräche und eine vorzeitige Abreise aus Wien liegen vorübergehend in der Luft. Für weitere Verstimmung sorgt die offene Brüskierung des Heiligen Vaters durch den aufsässigen Fürsten Kaunitz, der dem hohen Gast bei dessen Besuch in der Gemäldegalerie des Staatskanzlers sowohl Kniefall wie Handkuß verweigert, ja nicht einmal den Hut abnimmt.

      Da ist es immerhin ein Trost, daß wenigstens die weiblichen Mitglieder der österreichischen Hocharistokratie sich darum reißen, an den Papst heranzukommen und ihm die Füße zu küssen. Um ihres Ansturms Herr zu werden, muß man sich dazu entschließen, einen der beiden seidenen Pantoffeln des Heiligen Vaters in die diversen Adelshäuser zu schicken – ein Vorgang, den der Schriftsteller Johann Pezzl mit den Worten beschreiben wird: »Auf einem silbernen Tablett ruhend, ward das Heiligtum von der Dienerschaft von Haus zu Haus getragen und dort von den also ausgezeichneten Damen ehrerbietig betrachtet und geküßt.«

      Am 22. April gegen 7 Uhr früh verläßt der Papst Wien. Kaiser Josef II. gibt ihm das Geleit bis Mariabrunn, dem westlich von Wien gelegenen Kloster der Unbeschuhten Augustiner, von wo Pius VI. via St. Pölten, Melk und St. Florian die Weiterreise nach Bayern antritt. Obwohl er das eigentliche Ziel seiner Mission, den Kaiser zur Rücknahme seiner säkularen Reformschritte zu bewegen, verfehlt hat, siegt auch in der Stunde des Abschieds die Diplomatie über die Realität. »Der Monarch«, so lesen wir in der wenige Monate darauf veröffentlichten »Ausführlichen Geschichte der Reise des Pabstes Pius VI. von Rom nach Wien«, »wurde

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