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Frieden. Das nahe Dorf war nur klein, dort liefen Hühner gackernd über die Straße, auf dem runden Platz vor der Kirche machten die Männer ihr Kugelspiel, das Boule. Doch bloß das Läuten der Glocke drang bis hier herauf in die Stille.

      Clemens Fabrizius mußte zugeben, daß der Kauf dieses Hauses keine Fehlinvestition gewesen war. Auch die Einrichtung, die Bianca vom Vorgänger übernommen hatte, war geschmackvoll und entsprach allen Ansprüchen.

      Es hätte wunderschön sein können, wenn Bianca nicht bar jeder Lebensfreude gewesen wäre. Im kühlen, abgedunkelten Zimmer war sie ausgestreckt auf einer Liege und ließ sich von Lucy bedienen. Das war eine eher kleine, flinke Frau um die Vierzig mit hellwachen Augen, denen nichts entging.

      »Ihre Frau war völlig überarbeitet, sonst wäre das wahrscheinlich gar nicht passiert«, hatte sie zu Clemens bald nach seiner Ankunft gesagt. »Ich hatte ihr so geraten, die letzten Auftritte abzusagen, aber sie hörte ja nicht auf mich. Und der Lübbert ist ein Hai, der nur ans große Geld denkt.«

      Es war Biancas Manager, von dem sie so verächtlich sprach.

      »Es ist sehr dankenswert, daß Sie bei ihr geblieben sind, Lucy«, sagte Clemens.

      »Ich konnte sie doch nicht im Stich lassen, als sie sich hier verkriechen wollte, Herr Doktor.«

      Clemens versuchte es mit Güte, aber auch mit energischem Zureden, seine Frau aus ihrer Lethargie zu reißen.

      »Du trägst den Arm in Gips, aber du bist nicht krank«, sagte er. »Du wirst es werden, wenn du dich nicht endlich aufraffst, Bianca.«

      Doch sie wandte nur den Kopf beiseite und sah gegen die Wand.

      Sandra wußte auch bald nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte. Da war die große Sehnsucht in ihr, sich zärtlich über ihre Mama zu werfen, aber sie fürchtete, ihr weh zu tun, wo sie doch den »schlimmen« Arm hatte. So saß sie oftmals still neben ihr und wagte kaum, ihr von alldem zu erzählen, was sie erlebt hatte, mit Felix und mit Tante Beate, wagte nicht, von ihrem und ihres Papas langem Warten auf sie zu sprechen.

      Clemens suchte eine Unterredung mit seinem Kollegen in

      Nizza, als Bianca wieder zur Untersuchung dorthin mußte.

      »Sie sehen, es ist kein glatter Bruch«, erklärte ihm dieser, während er Fabrizius das Röntgenbild zeigte. »Bis zur Heilung werden Monate vergehen, und eine gewisse Steifheit wird noch längere Zeit zurückbleiben.«

      »Wieviel Zeit! Was schätzen Sie?« wollte Clemens wissen.

      Dr. Prévert wiegte den Kopf. »Das läßt sich schlecht voraussagen, Herr Kollege. Ein Jahr, zwei Jahre? Das Gelenk muß durch Massagen und Übungen zu seiner Beweglichkeit zurückfinden.«

      »Wird meine Frau dann wieder Klavierspielen können?«

      »In beschränktem Maße, ja, das ist wohl anzunehmen. Nur keine großen Konzerttournéen mehr.« Der Arzt rückte an seiner Brille. »Ihre Gattin hat wohl in letzter Zeit überhaupt ziemlich Raubbau mit ihren Kräften getrieben«, fügte er hinzu.

      »Nicht nur in letzter Zeit«, bemerkte Clemens düster. »Ihr Terminkalender war immer prallvoll.«

      »Sie war ja auch eine wunderbare Pianistin. Ich habe Aufnahmen von ihr.« Er seufzte. »Ja, es ist schon eine Tragik, daß das passieren mußte.«

      »Was hat er gesagt?« fragte Bianca, als sie zurückfuhren.

      »Daß du Geduld haben mußt«, antwortete ihr Mann einsilbig.

      Tragik – dieses Wort erschien ihm trotz allem zu gewaltig.

      Am Abend, als die Sonne im Meer versunken war, brachte er seine Frau dazu, mit ihm einen kurzen Spaziergang im pinienduftenden Wäldchen zu unternehmen. Als sie zurückkamen, hatte Lucy eine Flasche von dem köstlichen Landwein und zwei Gläser auf den runden Tisch auf der Terrasse gestellt. Sie sorgte für alles, sie kaufte ein, sie bereitete leichte Mahlzeiten und hielt Ordnung im Haus, und es geschah mit leichter Hand. Zudem war sie bemüht, wieder einmal ein Lächeln auf Biancas Gesicht zu zaubern.

      Clemens war es jetzt, der über Lucys Fürsorge erfreut lächelte. Es war die rechte Stunde, um ein Glas Wein unter einem Sternenhimmel zu trinken.

      »Bianca«, begann er, nachdem sie den Wein probiert und eine kleine Weile geschwiegen hatten, »Prévert hat deinen Unfall tragisch genannt. Ich meine, es gibt tragischere Schicksale.«

      »Meinst du das? Und was würdest du sagen, wenn du dein Skalpell nicht mehr in die Hand nehmen könntest?«

      »Der Vergleich hinkt, Bianca. Ärzte, Internisten und Chirurgen gibt es jede Menge. Große Künstlerinnen wie dich aber nur wenige.«

      »Nun, und, worauf willst du hinaus?«

      »Ich möchte dir vor Augen halten«, sagte ihr Mann ernst, »daß Menschen viel grausamer geschlagen sein können, als es dir geschehen ist. Ich könnte dir Fälle aus meiner Praxis erzählen – oder du müßtest einmal einen Blick in unsere Intensivstation tun – nein, nein, ich höre schon auf«, unterbrach er sich, als Bianca eine abwehrende Bewegung machte. »Aber denke doch bitte darüber nach, was dir geblieben ist und sei dankbar dafür.«

      »Soll ich dankbar sein, daß mein Flügel in aller Zukunft zugedeckt bleiben muß?« fragte sie bitter.

      »Erstens wird es nicht in aller Zukunft sein, denn die Aussicht besteht absolut, daß du eines Tages wieder wirst spielen können«, hielt Clemens ihr entgegen, »und zweitens, wäre es nicht denkbar, daß du einen gewissen Ausgleich darin finden könntest, mehr Zeit für Sandra und mich zu haben? Wir lieben dich, Bianca. Achte das nicht gering.«

      Bianca legte den Kopf gegen die Lehne des Gartensessels und sah zu den funkelnden Sternen empor. Nur der Gesang der Zikaden in den Bäumen war in der großen Stille zu vernehmen. Im Haus schlief das Kind, allein aus Lucys Zimmer fiel noch ein schwacher Lichtschein.

      »Ich liebe euch auch«, murmelte Bianca endlich langsam und gedankenvoll. »Es ist wahr, ich habe es euch oftmals zu wenig spüren lassen…«

      Clemens horchte ihren Worten nach. War sie doch auf dem Wege, zur Einsicht zu kommen?

      »Es ist nicht zu spät, Bianca«, sagte er weich.

      Sie schwiegen, sie tranken den Wein, und dann gingen sie zusammen in das blütenumrankte Haus. Von der Dorfkirche schlug es Mitternacht.

      *

      Für Nils Eckert war es sein letzter Urlaubstag. Morgen mußte er wieder zurück auf sein Schiff, das erneut zu großer Fahrt in See stechen würde.

      »Nur diese Fahrt noch, Beate, dann bewerbe ich mich bei einer Seehandelsgesellschaft an Land«, sagte er.

      »Nur diese Fahrt noch«, wiederholte Beate. »Diese Worte hast du mir vor ungefähr sieben Jahren schon einmal geschrieben, Nils.«

      »Diesmal ist es mir ernst wie niemals zuvor«, versicherte er beschwörend. »Wir werden zusammenleben, ich werde uns ein schönes Heim schaffen. Sag doch ja, Beate!«

      Sie hob den Blick, ihre Lider zuckten. »Du wirst nicht froh sein mit einem Leben an Land«, hielt sie ihm entgegen. »Es wird dich immer wieder hinausziehen. Es steckt doch in dir, dieser Hunger nach Weite und abenteuerlichem Erleben.«

      »Der ist gestillt, Beate, ich schwöre es dir. Weißt du«, mit großem Ernst sah er sie an, »so lustig ist die Seefahrt nicht. Mit den Jahren erkennt man doch, daß die meisten von uns am Ende ziemlich einsam sind. Ich möchte es nicht sein. Ich möchte eine Familie haben, die ich nicht nur alle paar Monate einmal sehen kann. Und habe ich sie denn nicht schon?«

      In seinen blauen Augen war ein Glanz, er streckte seinen Arm nach ihr aus. Aber Beate tat nicht den letzten Schritt zu ihm hin.

      »Es wäre wegen Felix«, sagte sie stockend. »Sein Herz ist dir zugeflogen!«

      »Doch nicht nur!« brach es aus Nils heraus. »Ich habe das Mädchen wiedergefunden, das ich vor allen anderen geliebt habe. Es ist eine schöne junge Frau

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